Unser Garten – ein kleines Paradies
Eugenie Haunhorst erzählt aus ihrer Jugend in Warendorf vor 100 Jahren.

Es war schon immer so: Wenn die Schneeglöckchen und Krokusse blühen, dann zieht es den Gärtner in den Garten! Die Spuren des Winters müssen beseitigt werden.

Ja, früher hatten auch die Bewohner der Innenstadt einen Garten, der allerdings „vor den Toren der Stadt“ lag, also außerhalb der Altstadt. Die kleinen Gärten und Innenhöfe hinter den Wohnhäusern in der Innenstadt wurden als Spielfläche mit einem Sandkasten für die kleineren Kinder gebraucht und zum Aufhängen der Wäsche. Oft gab es dort auch noch einen kleinen Auslauf für die Hühner und einen Brunnen, neben dem eine Bank für eine Verschnaufpause stand. In diesen Innenhof gelangte man entweder durch das Haus oder durch die schmale Gasse, die zwischen den Häusern lag. Sie war gerade so breit, dass man mit dem Bollerwagen durchfahren konnte.

Das Gartenland außerhalb der Altstadt war meistens Pachtland, das im Besitz von Bürgerfamilien oder oft auch der Kirche war. Es war parzelliert und mit einem Geflecht von Wegen durchzogen, den Gartenstiegen.

unser Gartenhäuschen,
gemalt von unserem Bruder Otto Göcke
 
 

Auch wir hatten einen Garten, den unser Vater von der Kirche gepachtet hatte. Durch das Münstertor gingen wir über den Wilhelmsplatz und den Bahndamm (heute B 64) in die Gartenstiegen mit den über zwei Meter hohen Hecken. Diese Buchenhecken umgrenzten die Gärten. Ende Juni und zu Mariä-Himmelfahrt waren die Gartenbesitzer mit dem Schneiden der üppig gewachsenen Hecken beschäftigt. Das musste damals noch „mit der Hand“ gemacht werden, elektrische Heckenscheren gab es noch nicht. Das Unkraut unter der Hecke in der Gartenstiege wurde regelmäßig „weggeschuffelt“. Schon von außen sollte der Garten prick und sauber aussehen. Die Gartentore waren sehr einfach, sie bestanden aus einem großen Brett, das in einem robusten Balkengerüst aufgehängt war und mit einem Vorhängeschloss abgesperrt werden konnte.

Durch die Mitte unseres Gartens führte ein breiter Weg zur Laube, vorbei an einem bunten, mit Buchsbaum eingefassten Blumenbeet. Diese Laube hatte Vater aus Holz vom Schreiner erbauen lassen. Unser Bruder Otto hat sie in einem Bild verewigt. Die Gartenlaube war der Ruheplatz für unsere Eltern. Im hinteren Teil befand sich ein Verschlag für die Gartengeräte.

Vater führte ein Heft mit dem Titel „Garten“, in dem auf der ersten Seite der Namen des Gartenbesitzers stand mit dem Pachtpreis und wann bezahlt werden musste. Auf den folgenden Seiten wurden die Fruchtfolge und der Pflanzplan des jeweiligen Jahres beschrieben.

Spätestens mit dem Namensfest der hl. Gertrud am 17. März begann die Gartenarbeit. Eine alte Bauernweisheit sagt: „Gertrud driv de Fulen rut!“ (Gertrud treibt die Faulen raus!) Im frühen Frühjahr war schon kräftig gedüngt worden. Der wichtigste Dünger war die Jauche. An diesen „natürlichen Dünger“ konnte man leicht kommen, denn die meisten Toiletten waren nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen, sondern hatten ihre eigene Aalgrube. Die musste regelmäßig geleert werden.

Holzken Stielfass Zum "Jauchzen"

Wir wohnten in der Münsterwallschule und ich erinnere mich an den Gestank auf dem Schulhof, wenn unsere Aalgrube geleert wurde. Der Deckel der Aalgrube wurde dann abgehoben und mit dem Stielfass, so nannte man den eimerartigen Schöpflöffel mit dem langen Stiel, rührte man im Jauchekump. Dann wurde die Jauche Stielfass für Stielfass herausgehoben und durch einen großen Trichter in das Aaltönnchen gefüllt, das genau auf unseren Bollerwagen passte. War unser Aalfässchen bis oben voll, wurde es gut verschlossen und wir mussten es mit dem Bollenwagen zum Garten bringen. Das taten wir gar nicht gerne, aber danach wurden wir nicht gefragt. Im Garten wurde die Jauche dann mit dem Stielfass auf dem Acker verteilt und konnte in den Boden einsickern. Das stank zwar zuerst, aber der Boden brauchte Dünger - Kunstdünger gab es damals noch nicht.

Unser Garten war durch die beiden Hauptwege in vier Quadrate aufgeteilt. Die sollten nun „rigolt“, d.h. tief umgegraben werden. Die Mädchen verrichteten die leichtere Arbeit: mit einer Schaufel hoben wir die obere Schicht Erde mit dem verfilzten Unkraut ab und warfen die Scholle umgekehrt in die ausgeschaufelte Rinne. Unser Bruder Otto musste dann mit dem Spaten senkrecht graben und die Rinne mit Erde füllen. Manchmal besorgte Vater für diese schweren Arbeiten eine Hilfskraft. War das Umgraben getan, wurde die Fläche glatt geharkt und in Beete eingeteilt. Mit Holzschuhen wurden schmale Wege, die Pättkes, getreten, nachdem an beiden Seiten eine Pattleine gespannt worden war, damit der Weg akkurat gerade wurde.

Zuerst kamen die dicken Bohnen in die Erde. Sie konnten Kälte und etwas Frost vertragen. Eine große Fläche wurde mit Pflanzkartoffeln belegt. Nach und nach wurden die Pläne des Gartenheftes umgesetzt. Nachdem die Eisheiligen überwunden waren - am 12. Mai der hl. Pankratius, dann der hl. Servatius und Bonifatius und am 15. die kalte Sophie - konnte alles gepflanzt oder gesät werden. Für die Kohlsorten kaufte Mutter in einer Gärtnerei kleine Pflanzen. Das war praktisch und auch nicht sehr teuer.

Der Kampf gegen das Unkraut gehörte ganzjährig zu den Gartenmühen; nur ein   gepflegtes und unkrautfreies  Gemüsebeet versprach reiche Ernte. Mutter trug bei der Gartenarbeit immer ihren Sonnenschutz, denn damals war es vornehm, eine blasse Gesichtsfarbe zu haben.

Auch die Wege und Pättkes wurden regelmäßig mit dem „Schüffelken“ von Unkräutern befreit. Samstags wurden sie fein säuberlich geharkt. Mit großem Stolz betraten unsere Eltern dann sonntags nach der Kirche den gepflegten Garten und freuten sich, wenn auch der Nachbar einen Blick über den Zaun warf.

Jeden Tag ging unser Vater zum Garten und sah nach dem Rechten. Alle Gartenmühe wurde belohnt, wenn er den ersten Salat und einen Korb voll dicker Bohnen und einem schönen Blumenstrauß mit nach Hause brachte. Nach dem langen Winter war frisches Gemüse eine Köstlichkeit. Gekauftes Gemüse gab es damals so gut wie gar nicht.

Wenn die Wallfahrtsprozession nach Telgte ging, also Anfang Juli, gab es erstmals frische Erbsen und Wurzeln aus dem eigenen Garten, dazu ein gebratenes Hähnchen. Welch ein Hochgenuss! Unsere Mutter machte eine gute Suppe dazu und zum Nachtisch gab es Stippmilch mit frischen Erdbeeren - ein echtes Festessen. Über den gesundheitlichen Wert von Obst und Gemüse wurde gar nicht gesprochen, das war selbstverständlich. Unsere Mutter war sehr darauf bedacht, jeden Tag frisches Gemüse und Salat auf den Tisch zu bringen. Bei seinem nachmittäglichen Gang in den Garten bekam Vater die Order: „Bring bitte einen Bund Wurzeln und Kartoffeln mit und guck mal, ob wieder ein paar Erdbeeren und Himbeeren reif sind!“ Und Vater brachte es am Abend heim.

 

 

Oft fuhr Mutter mit dem Rad zum Garten. Mit einem Blick sah sie, was für die nächsten Mahlzeiten geeignet war. Der Garten war ein Gesundbrunnen für die ganze Familie. Selbstverständlich kamen alle Kräuter täglich frisch aus dem Garten. In Haunhorsts Garten, unserem Nachbargarten, gab es sogar ein Spargelbeet. Jeden Morgen und jeden Abend wurden die Spargelstangen, die ihr weißes Köpfchen aus der Erde steckten, mit dem langen Spargelmesser gestochen und in ein Rhabarberblatt gewickelt, das dann in ein tiefes Erdloch gelegt wurde. Wieder mit Erde bedeckt blieb der Spargel frisch, bis sich genug für eine Mahlzeit angesammelt hatte. Manchmal reichte der Nachbar ein Spargelbündel über den Zaun, dann gab es auch bei uns sonntags Spargel.

Im Frühjahr erfreute uns die Pracht der blühenden Bäume. Der Pfirsichbaum wechselte mit dem Pflaumenbaum, rosa und weiß, später blühte der rosa-weiße Apfelbaum. Unser aller Lieblingsapfel war der Grafensteiner. Meine Schwester Hildegard und später mein Neffe Peter hatten Ende August Geburtstag. Sie durften die ersten Grafensteiner ernten und voll Genuss in den saftigen Apfel beißen.

Aufmerksam beobachtete Vater, ob die Beerensträucher ordentlich Früchte ansetzten. Das war wichtig für den Wintervorrat. Wir Kinder halfen fleißig beim Ernten der Erdbeeren, Himbeeren, Stachelbeeren und Johannisbeeren. Mutter war eigentlichen den ganzen Sommer über mit dem Einkochen beschäftigt. War die Erdbeer-Rhabarber-Marmelade fertig, kam die Vierfrucht-Marmelade aus Stachelbeeren und roten und schwarzen Johannisbeeren und Himbeeren an die Reihe.  Viele Einmach- und Marmeladengläser standen in unserem Keller in Reih und Glied und wir freuten uns schon auf die leckere Stachelbeertorte im Winter. Der Saft aus Holunderbeeren war unser Wintervorrat an Vitaminen.

Im Herbst fuhren wir mit dem Bollerwagen die Apfelernte nach Hause. Die guten Äpfel packten wir in die Apfelregale im Keller und die beschädigten wurden zu Apfelkompott eingeweckt. Köstlich roch es in der Küche, wenn Mutter Apfelringe und Pflaumen im Backofen trocknete.

Möhren, Rüben, Rotkohl und Weißkohl wurden in einer „Miete“ frisch gehalten, einer sehr alten und bewährten Vorratshaltung. In der Laube im kleinen Garten am Schulhof hob unser Vater im Herbst eine kleine Grube aus und legte sie mit Stroh aus. Das Gemüse wurde ordentlich darin gestapelt und dann mit Stroh abgedeckt. So lagerte es frostsicher und Mutter konnte sich jederzeit das gewünschte Gemüse für das Mittagessen aus der Miete holen.

Zu jeder Mittagsmahlzeit gab es in unserer siebenköpfigen Familie Kartoffeln. Wir deckten uns zu Fettmarkt mit etwa 20 Zentnern Kartoffeln ein. Dazu kamen zwei Zentner kleine, fest kochende Sonntagskartöffelchen, die uns der Bauer Fressmann vom Sassenberger Landweg brachte. In unserem kühlen Keller, der gut belüftet war, lagerten sie in großen Kartoffelkisten. Der Vorrat reichte bis Ende Juni, dann gab es die Frühkartoffeln aus dem Garten.

Die Wasserversorgung im Garten wurde früher dem Himmel überlassen. Für sehr trockene Tage gab es an der Gartenlaube eine kleine Tonne, die vom Regenwasser des Laubendaches gefüllt wurde.

Der Erfolg der liebevollen Pflege des Gartens blieb nicht aus. Viele Körbe voll mit Gemüse und Obst sorgten für die ausgewogene und gesunde Ernährung der Familie. Der wirtschaftliche Vorteil wurde nie errechnet, von der schweren Arbeit bei oft sengender Hitze, den Rückenschmerzen und den schwarzen Händen wurde nie gesprochen. Gartenarbeit gehörte zum normalen Alltag und hat uns trotz aller Mühen immer mit Freude und Zufriedenheit erfüllt.

 

Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke

wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern in der Münsterwallschule auf. Im Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen aus ihrem Leben im Warendorf der 1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von 103 Jahren.

 

 

Bilder: Archiv Wolff

 

Gurt vettig Lüe bin Krinknommdag
von Franz Schulte Nahrup (7. 2. 2024)

Bin lesten Krinknommdag int Malteser Marienheim konn de Baas, Franz Schulze Nahrup, gurt vettig Lüe begrüßen. Dat ösige Wiär konn de Besökers nich daovon affholn, en lük fö de Moderspraoke to dohen.  Met dat Leed „Freit ju ant Liäben“ gong et loss.  Josef Bussmann harr wat üöwe Lichtmess to vetelln. Fröher leip alls mä nao dat Kiärkenjaohr.  Von Dage hät de Kalenner den Afflaup von dat Jaohr to bestimmen. Bie gurt Wiär kammen daomols dann auk oll de ersten dicken Baunen  in de Iäre. Auk dat Vetellsels von den Blaosiussiängen kam von em.  Heinz Beckhove harr passend wat üöwe den vierlen Riägen.  „Dat Water stötere men so ut den Hirmel“.  Auk konn he daorüöve berichten, dat de Westfaolen alle toiärst in de Hölle kammen.  Bie dat Leed „Wenn alle Pütts vull Water sin, dann mot man drinken“ konnen de Besökers es wiee  derbe Damp aflaoten, well dat se de ganz Tiet tohöen mossen.

Ernst Ruhe harr sick  lustige Vetellsels trechte legget. He brach „Dat Goldpaar bie Petrus“ und „ De Besök kam up den besten Stuorm“. Auk de Baas har nen Riemsel metbracht „ Wenn sovull Riägen von bouben kümp mot man den HerrGott danken, well dat he an dat schöne Mönsterland denkt“.  Auk „En Panker hät bien Friseur sine Müske wiee funnen“ kam von em. Wiede gongt met dat Leed „O wu schön is mien Westfaolen“. Auk de Karneval kam nich  te kuort. So gawt wiee allerhand to lachen un met dat Toropleed „ Gurd gaohn, auk so, bes en anner Maol“ gong man vegnögt nao Huuse. De neichte Krinknommdag is an,n 10.April, wiee  int Malteser Marienhiem.

   

Das Gadem am Zuckertimpen 4 – ein „Kleine-Leute-Haus“
Ein Leitfaden, nicht nur für Kinder
von Mechtild Wolff (1. 2. 2024)

Wenn man vor dem Gadem steht, hat man nicht den Eindruck, vor einem Museum zu stehen. Ein Museum, das ist ein Schloss, eine Burg oder doch wenigstens ein prächtiges Haus. In Warendorf ist das etwas anders. Wir haben hier kein zentrales Heimatmuseum im üblichen Sinne, in dem alle Schätze ausgestellt werden, die unsere Stadt besitzt. Warendorf hat ein „Dezentrales Stadtmuseum“, das aus fünf Museumshäusern besteht, in denen das Alltagsleben in einem kleinen Landstädtchen gezeigt wird, in denen gezeigt wird, wie die Menschen zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Lebenssituationen gelebt haben.

Dazu gehört das Rathaus am Marktplatz mit dem historischen Ratssaal – das hochherrschaftliche Haus Klosterstraße 7 mit den prächtigen handgedruckten Bildtapeten, das von dem preußischen Hof Dr. Katzenberger erbaut wurde – das Fabrikantenhaus Bispinck an der Münsterstraße, in dem eine Fabrikantenfamilie wohnte – das Torschreiberhaus mit dem Büro und der Wohnung des Torschreibers – und das Gadem am Zuckertimpen, in dem man das Leben der „einfachen Menschen“ erleben kann.

All diese Museumshäuser kann man jeden Sonntag von 15-17 Uhr kostenfrei besichtigen. Man erkennt sie an der kleinen Warendorf-Fahne.

Das Gadem am Zuckertimpen Nr. 4
von Mechtild Wolff (1. 2. 2024)

Ein Gadem ist ein „Kleine-Leute-Haus“, meistens in einer Seitenstraße, im Hinterhof oder am Stadtrand gelegen.  Oft wurde es von Kaufleuten als Altenteil erbaut oder als Mietobjekt zur Altersversorgung. In einem Miet-Gadem - es gab früher 360 Gademe in Warendorf, heute sind es noch ca. 60 - wohnten einfache Handwerker, Tagelöhner und auch einfache städtische Beamte, wie z.B. der Lampenanzünder, der Turmbläser oder der Nachtwächter, aber auch Witwen und unverheiratete Frauen, also Menschen, die zwar nicht arm, aber auch nicht zur wohlhabenden Bürgerschaft gehörten. Interessant ist, dass damals auch Chirurgen und Notare zu  dieser Bevölkerungsschicht gehörten und in Miet-Gademen wohnten. In diesen kleinen Häuschen lebten oft mehr als 10 Personen, mit ihrem Schwein, ihrer Ziege, den Hühnern und dem Hund und der Katze. Die Tiere kamen aber nur abends ins Haus, über Tag wurden sie auf die Straße getrieben und ernährten sich von den Abfällen, die auf die Straße geworfen wurden. Eine Müllabfuhr gab es damals noch nicht, darum hatte jedes Haus einen Misthaufen vor der Tür, auf den alles, was man nicht mehr brauchte, geworfen wurde. Schmutziges Wasser kippte die Hausfrau nach dem Spülen und nach dem Waschen in die „Gosse“. Das tat jeder so, darum entstand hier ein kleines Rinnsal. Man verbrauchte aber längst nicht so viel Wasser wie heute, denn alles Wasser musste mit dem Eimer von der Pumpe geholt werden. Fließendes Wasser gab es in Warendorf erst ab 1907, hier in diesem Gadem gab es auch 1925 noch keinen Wasseranschluss.

Gepflastert waren die Straßen damals noch nicht, bei Trockenheit staubte es hier sehr und bei Regen war es noch viel schlimmer, dann verwandelte sich die Straße in Schlamm und Matsch und war kaum passierbar.

Im 18. Jahrhundert wurden die Gademe zunehmend von Kleinbürgern erworben, so auch das Gadem Zuckertimpen 4. Heute wird hier gezeigt, wie das Wohnen in den 1920er Jahren im Gadem ausgesehen haben könnte.

1925 war der Fuhrmann Heinrich Rolf (*1879) der Besitzer dieses kleinen Häuschens. Er wohnte hier mit seiner Frau Elisabeth und seinen drei Kindern Paul, Hedwig und Robert. Fuhrmann Rolf verdiente sein Geld mit dem Transport von Waren, vielleicht mit einem Pferdewagen oder auch mit einem Handwagen oder einer Schubkarre. Damit konnte er den Lebensunterhalt seiner Familie sichern und sich dieses kleine Häuschen kaufen. Aber das Geld reichte nicht, um allein in dem Haus zu wohnen, darum hatte er einen Einlieger, also eine Familie, die mit ihm das Haus bewohnte. Das war der Lokomotivputzer August Droste mit seiner Frau und zwei Kindern.

Im Gadem rechts von der Eingangstür liegt die „Gute Stube“ der Familie des Hauseigentümers Rolf. Sie wurde nur zu besonderen Gelegenheiten geheizt, zu Weihnachten, zu Ostern, zu Familienfesten und wenn der Pastor zu Besuch kam. Die Gardinen in der guten Stube sind besonders elegant. Sie wurden aus einem ehemaligen Bettüberwurf genäht, der in einer wohlhabenderen Kaufmannsfamilie als Tagesdecke gedient hatte. Ein gutes Beispiel für die Weiterverwendung von Textilien.

Das Alltagsleben der Hausbesitzerfamilie fand in der kleinen Wohnstube statt. Die Familie des Fuhrmanns saß um den Tisch herum und wer Glück hatte, bekam den gemütlichen Platz auf dem alten Ledersofa. Hier machten die Kinder ihre „Schularbeiten“, hier stopfte die Mutter die Socken und der Vater rauchte nach Feierabend sein Pfeifchen.

Der Mieter August Droste hatte vorne links seine Wohnstube, in der das tägliche Leben stattfand. Auf dem kleinen Kanonenofen konnte auch gekocht werden, aber die Mahlzeiten wurden sicher auf dem großen Herd in der Küche zubereitet. Im Obergeschoss hatte die Familie ihre Schlafkammer, in der sie alle zusammen in einem Zimmer schliefen. Die Kinder teilten sich ein Bett.

In der Flurküche fällt der erste Blick auf den Herd, auch Kochmaschine genannt, der mit Holz oder Kohle beheizt wurde. Hier kochten die Besitzerfamilie Rolf und sicher auch der Einlieger Droste - der Herd war das Zentrum des Hauses. In dem großen Küchenschrank befanden sich alle Lebensmittel. Im Brotkasten sind noch heute „Knabbeln“ zu finden, denn Vater aß morgens „Kaffee mit Beschüte“.

Links neben dem Küchenschrank hängt ein „Ewiges Handtuch“, ein Gerstenkornhandtuch, das mit einem Spitzendurchsatz aneinander gehäkelt und über einen Rundstab gehängt wurde. Hier suchte sich jeder eine trockene Stelle zum Abtrocknen der Hände.

 

Die Vorratskammer

Neben dem Küchenschrank ist der Vorrat und wenn man die Bodenklappe öffnet, kann man eine kleine Treppe in eine weitere Vorratskammer heruntergehen. Sie liegt etwas tiefer, damit die Vorräte kühl bleiben. Im Vorratsraum sieht man den Stolz der Hausfrau: viele Einmachgläser mit Birnen, Pflaumen, Pfirsichen und Stachelbeeren, dazu die Marmeladengläser und die Schmalztöpfe. Das Pökelfass mit den Schnibbelbohnen und das Sauerkrautfass durften auch nicht fehlen. In einem braunen Tontopf wurden die Eier in Wasserglas eingelegt, damit auch in der eierarmen Zeit ein leckerer Kuchen gebacken werden konnte. Möhren und Kartoffeln kamen in die Miete im kleinen Garten hinter dem Haus. So hatte die Hausfrau das gute Gefühl, gut für den Winter vorgesorgt zu haben.  Ja, ein gut gefüllter Vorratskeller war der Stolz der Hausfrau.

Früher, und das ist noch gar nicht so lange her, kaufte die Hausfrau nur das, was sie nicht selbst herstellen konnte: Salz, Gewürze, Mehl, Hering und beim Milchmann Butter und Käse und die Milch in der guten alten Milchdüppe. Wer es sich leisten konnte, kaufte gelegentlich Fleisch beim Metzger oder Fisch im Fischgeschäft. Zu Weihnachten wurden Nüsse und Mandeln und Kardamom im Kolonialwarenladen gekauft - diese Waren kamen aus den Kolonien.

Im Stall hinter der Spülküche wurde ein Schwein fettgefüttert. Vor Weihnachten kamen der Schlachter und die „Wurstefrau“ und endlich gab es Fleisch im Überfluss. Aber auch das Fleisch musste lange reichen, es wurde in Gläser eingekocht, eingepökelt und zu Würsten verarbeitet, die mit dem Schinken zusammen im Rauchfang geräuchert wurden, um haltbar gemacht zu werden. Der Flomen wurde ausgelassen, so wurden auch die Schmalztöpfe wieder gefüllt.

Fast jeder Bürger hatte damals einen Kamp, also einen Acker oder einen Garten vor den Toren der Stadt. Da pflanzte man Gemüse und Obst, Kartoffeln und Kräuter an, pflegte den Garten über den Sommer und erntete im Herbst.

 

Die Waschküche

Geht man links am Herd vorbei, kommt man in die Waschküche. Hier finden sich alle Gerätschaften, die um 1925 zum Waschen gebraucht wurden, Kernseife, Sand und Soda, Rubbelbrett und Stampfer, Eimer, Kannen und die Waschbütt. Auf der Wasserbank standen die Eimer, die an der Pumpe mit Wasser gefüllt worden waren, denn dieses Haus hatte ja 1925 noch kein fließendes Wasser, jeder Eimer Wasser musste von der Pumpe geholt werden, eine sehr mühsame Arbeit. Darum ging man zum Waschen und Spülen der „Großen Wäsche“ gern an die Ems zum Waschbrett. Zum Trocknen wurde die Wäsche im Garten aufgehängt. In der Ecke der Waschküche hängt eine Klammerschürze mit dem guten Wunsch „Schön Wetter“ - sie ist gefüllt mit schönen, oft noch handgeschnitzten Holzwäscheklammern.

Die fertige Wäsche kam in einen Wäschekorb, der mit einem bestickten „Rolltuch“ abgedeckt war. So wurde die saubere Wäsche geschützt, wenn sie auf Rollen gewickelt zum Kaltmangeln gebracht wurde. An der Wand in der Waschküche hängt ein Wandschoner mit dem Spruch: „Wie alles in der Küche blank, so sei es auch die Wasserbank.“ Hinter diesen Tüchern verbarg man oft stockfleckige oder unansehnliche Wandflächen.

Die Schlafräume

Vom Flur aus geht eine enge Treppe hoch zu den Schlafräumen. Vorne befindet sich das Schlafzimmer der Eigentümerfamilie Rolf. Auf den Betten liegen warme Federbetten mit einem Leinenbezug. Im Spitzeneinsatz steht „Gute Nacht“ und „Schlafe wohl“. Ausgebreitet auf dem Bett liegt ein Männerhemd, das sowohl als Tageshemd als auch ein Nachthemd dienen konnte. Auf dem anderen Bett sieht man ein Frauennachthemd mit passender Hose, verziert mit Klöppelspitzen und Monogramm. Die dazu passende Nachtmütze, die um 1925 noch vielfach getragen wurde, hängt auf dem Bettpfosten. Am Fußende steht die Babywiege für den jüngsten Spross der Familie.

Elternschlafzimmer Mantelstock Kinderzimmer

Im Leinenschrank präsentiert sich der ganze Stolz der Hausfrau: die Wäscheaussteuer mit Bettwäsche, Tischwäsche, Handtüchern, Überhandtüchern und Schürzen. Am Schrank hängt der Gehrock, das Kleidungsstück für festliche Anlässe oder den sonntäglichen Kirchgang. Außerdem sieht man leinene Männerhemden und eine tailiierte Jacke, „Taille“ genannt mit Streifen im Blaudruckverfahren. Das Kinderzimmer befindet sich neben der Bodentreppe. Hier schliefen die zwei älteren Kinder der Besitzerfamilie. Auf den Stühlen sieht man eine geteilte Unterhose für Mädchen und viele andere, auch indigogefärbte Leinen-Unterwäsche. Auch der Schutzengel darf nicht fehlen, hier ist er gestickt auf einem Wandbehang.

Im nächsten Raum schlief die Mieterfamilie Droste: Vater, Mutter und die zwei Kinder, die sich ein Bett teilten. Die Hauswäsche und die Kleidungsstücke wurden in einer Truhe aufbewahrt. Kleider, die nicht gefaltet werden sollten, hingen im Mantelstock in der Ecke.

Die Kammer direkt links an der Treppe mit der besonders schön gestalteten Glastür bewohnte die unverheiratete Tante Lucie. Sie arbeitete im Krankenhaus und nähte gerne, darum stand in der guten Stube auch die hochmoderne Nähmaschine. Auf der blauseidenen Steppdecke des Bettes, liegt eine Tasche mit  Spitzenbesatz und dem Schriftzug „Gute Nacht“, in der tagsüber die Nachtwäsche und nachts die Tageswäsche aufbewahrt wurden. Die Bretter des Wäscheschrankes tragen den so gerne verwendeten gestickten Spruch:

„Geblümt im Sommerwinde, gebleicht auf grüner Au,
liegt still es hier im Spinde, als Stolz der deutschen Frau“.

 

Die Kostgänger

Ein schöner Nebenverdienst war auch das Vermieten von Betten an Kostgänger. Das waren meistens junge Leute, oft sogar Schüler des Gymnasium Laurentianum, die bei der Familie Rolf in Kost und Logis waren. Sie hatten ihr Bett wahrscheinlich in dem mittleren Zimmer. Oft teilten sich mehrere junge Leute ein Zimmer. Sie aßen als „Kostgänger“ mit am Tisch der Familie.

In jedem der Schlafräume findet sich noch eine Vielfalt an Kleidungsstücken und insbesondere die „Unaussprechlichen“, die Unterhosen mit langen, geteilten Beinen, die Klapphosen und die feinen Hosen mit Rüschen und Spitzen.

Natürlich hat jeder Schlafraum sein „Waschlampet“, die Waschschüssel mit der Kanne. Auch das Nachttöpfchen unter dem Bett und der bequeme Nachstuhl neben dem Bett dürfen nicht fehlen.

 

Das Plumpsklo

Warum das Nachtgeschirr im Schlafzimmer so wichtig war, begreift der Besucher schnell, wenn er den weiten Weg durch den Flur, die Wasch- und Spülküche, den kleinen Stall, wo das Schweinchen gemästet wurde, bis in den Hof gegangen ist. Dort befindet sich die Tür mit dem Herzchen, hinter der sich ein echtes Plumpsklo verbirgt, mit fein säuberlich geschnittenem Zeitungspapier für besondere Zwecke, aufgespießt auf einem festen Drahthaken.

Im Stall wurde das Schweinchen fett gefüttert, Weihnachten überlebte es  meistens nicht. Hier stehen auch der Bollerwagen und die Acker- und Gartengeräte, hier hängen eine blaue Arbeitsschürze aus indigogefärbtem Leinen und der „Schlapphut“, der bei der Feld- und Erntearbeit von den Frauen getragen wurde. Er schütze gegen die Sonne und den Staub. Der mit Peddigrohr versteifte Rand sorgte für einen luftigen Abstand von Kopf und Nacken.

 

Der Garten

All diese Gerätschaften werden gebraucht für die Pflege des kleinen Gartens, in dem natürlich auch ein paar Hühner herumlaufen. Darum ist das Beet mit den Blumen auch eingezäunt. Eine gute Hausfrau hatte immer frische Blumen auf dem Tisch stehen, die sie hier aus dem Garten holte. An der Wand zum Nachbargarten findet man noch heute eine Vielzahl Küchenkräuter, die für jede Mahlzeit frisch gepflückt wurden. Die Hühner versorgten die Familie mit frischen Eiern und sie und das Schwein fraßen alles, was in der Küche nicht mehr gebraucht wurde - Kartoffelschalen, Möhrenschalen und Erbsenschoten, Salatblätter und alle Essensreste. Man ließ nichts verkommen!

Sonntags setzte sich die Familie gern in den Garten unter den Pflaumenbaum. Eine Ruhebank gab es auch in der Ecke an der alten Stadtmauer, ein ganz besonders schöner Platz zum Kartoffeln schälen oder für eine kurze Verschnaufpause.


Bollerwagen (Leiterwagen) zum Transport der Gartengeräte, der Ernte, etc.


Mechtild Wolff (1. 2. 2024)

 

 

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