Wenn man vor dem Gadem steht, hat man nicht den Eindruck, vor
einem Museum zu stehen. Ein Museum, das ist ein Schloss, eine Burg oder
doch wenigstens ein prächtiges Haus. In Warendorf ist das etwas anders.
Wir haben hier kein zentrales Heimatmuseum im üblichen Sinne, in dem
alle Schätze ausgestellt werden, die unsere Stadt besitzt. Warendorf hat
ein „Dezentrales Stadtmuseum“, das aus fünf Museumshäusern besteht, in
denen das Alltagsleben in einem kleinen Landstädtchen gezeigt wird, in
denen gezeigt wird, wie die Menschen zu verschiedenen Zeiten und in
verschiedenen Lebenssituationen gelebt haben.
Dazu gehört das Rathaus am Marktplatz mit dem historischen
Ratssaal – das hochherrschaftliche Haus Klosterstraße 7 mit den
prächtigen handgedruckten Bildtapeten, das von dem preußischen Hof Dr.
Katzenberger erbaut wurde – das Fabrikantenhaus Bispinck an der
Münsterstraße, in dem eine Fabrikantenfamilie wohnte – das
Torschreiberhaus mit dem Büro und der Wohnung des Torschreibers – und
das Gadem am Zuckertimpen, in dem man das Leben der „einfachen Menschen“
erleben kann.
All diese Museumshäuser kann man jeden Sonntag von 15-17 Uhr kostenfrei besichtigen. Man erkennt sie an der kleinen Warendorf-Fahne.
Ein Gadem ist ein „Kleine-Leute-Haus“, meistens in einer
Seitenstraße, im Hinterhof oder am Stadtrand gelegen. Oft wurde es von
Kaufleuten als Altenteil erbaut oder als Mietobjekt zur
Altersversorgung. In einem Miet-Gadem - es gab früher 360 Gademe in
Warendorf, heute sind es noch ca. 60 - wohnten einfache Handwerker,
Tagelöhner und auch einfache städtische Beamte, wie z.B. der
Lampenanzünder, der Turmbläser oder der Nachtwächter, aber auch Witwen
und unverheiratete Frauen, also Menschen, die zwar nicht arm, aber auch
nicht zur wohlhabenden Bürgerschaft gehörten. Interessant ist, dass
damals auch Chirurgen und Notare zu dieser Bevölkerungsschicht gehörten
und in Miet-Gademen wohnten. In diesen kleinen Häuschen lebten oft mehr
als 10 Personen, mit ihrem Schwein, ihrer Ziege, den Hühnern und dem
Hund und der Katze. Die Tiere kamen aber nur abends ins Haus, über Tag
wurden sie auf die Straße getrieben und ernährten sich von den Abfällen,
die auf die Straße geworfen wurden. Eine Müllabfuhr gab es damals noch
nicht, darum hatte jedes Haus einen Misthaufen vor der Tür, auf den
alles, was man nicht mehr brauchte, geworfen wurde. Schmutziges Wasser
kippte die Hausfrau nach dem Spülen und nach dem Waschen in die „Gosse“.
Das tat jeder so, darum entstand hier ein kleines Rinnsal. Man
verbrauchte aber längst nicht so viel Wasser wie heute, denn alles
Wasser musste mit dem Eimer von der Pumpe geholt werden. Fließendes
Wasser gab es in Warendorf erst ab 1907, hier in diesem Gadem gab es
auch 1925 noch keinen Wasseranschluss.
Gepflastert waren die Straßen damals noch nicht, bei
Trockenheit staubte es hier sehr und bei Regen war es noch viel
schlimmer, dann verwandelte sich die Straße in Schlamm und Matsch und
war kaum passierbar.
Im 18. Jahrhundert wurden die Gademe zunehmend von Kleinbürgern
erworben, so auch das Gadem Zuckertimpen 4. Heute wird hier gezeigt, wie
das Wohnen in den 1920er Jahren im Gadem ausgesehen haben könnte.
1925 war der Fuhrmann Heinrich Rolf (*1879) der Besitzer dieses
kleinen Häuschens. Er wohnte hier mit seiner Frau Elisabeth und seinen
drei Kindern Paul, Hedwig und Robert. Fuhrmann Rolf verdiente sein Geld
mit dem Transport von Waren, vielleicht mit einem Pferdewagen oder auch
mit einem Handwagen oder einer Schubkarre. Damit konnte er den
Lebensunterhalt seiner Familie sichern und sich dieses kleine Häuschen
kaufen. Aber das Geld reichte nicht, um allein in dem Haus zu wohnen,
darum hatte er einen Einlieger, also eine Familie, die mit ihm das Haus
bewohnte. Das war der Lokomotivputzer August Droste mit seiner Frau und
zwei Kindern.
Im Gadem rechts
von der Eingangstür liegt die „Gute Stube“ der Familie des
Hauseigentümers Rolf. Sie wurde nur zu besonderen Gelegenheiten geheizt,
zu Weihnachten, zu Ostern, zu Familienfesten und wenn der Pastor zu
Besuch kam. Die Gardinen in der guten Stube sind besonders elegant. Sie
wurden aus einem ehemaligen Bettüberwurf genäht, der in einer
wohlhabenderen Kaufmannsfamilie als Tagesdecke gedient hatte. Ein gutes
Beispiel für die Weiterverwendung von Textilien.
Das Alltagsleben der Hausbesitzerfamilie fand in der kleinen
Wohnstube statt. Die Familie des Fuhrmanns saß um den Tisch herum und
wer Glück hatte, bekam den gemütlichen Platz auf dem alten Ledersofa.
Hier machten die Kinder ihre „Schularbeiten“, hier stopfte die Mutter
die Socken und der Vater rauchte nach Feierabend sein Pfeifchen.
Der
Mieter August Droste hatte vorne links seine Wohnstube, in der das
tägliche Leben stattfand. Auf dem kleinen Kanonenofen konnte auch
gekocht werden, aber die Mahlzeiten wurden sicher auf dem großen Herd in
der Küche zubereitet. Im Obergeschoss hatte die Familie ihre
Schlafkammer, in der sie alle zusammen in einem Zimmer schliefen. Die
Kinder teilten sich ein Bett.
In der Flurküche fällt der erste Blick auf den Herd, auch
Kochmaschine genannt, der mit Holz oder Kohle beheizt wurde. Hier
kochten die Besitzerfamilie Rolf und sicher auch der Einlieger Droste -
der Herd war das Zentrum des Hauses. In dem großen Küchenschrank
befanden sich alle Lebensmittel. Im Brotkasten sind noch heute
„Knabbeln“ zu finden, denn Vater aß morgens „Kaffee mit Beschüte“.
Links neben dem Küchenschrank hängt ein „Ewiges Handtuch“, ein
Gerstenkornhandtuch, das mit einem Spitzendurchsatz aneinander gehäkelt
und über einen Rundstab gehängt wurde. Hier suchte sich jeder eine
trockene Stelle zum Abtrocknen der Hände.
Neben dem Küchenschrank ist der Vorrat und wenn man die
Bodenklappe öffnet, kann man eine kleine Treppe in eine weitere
Vorratskammer heruntergehen. Sie liegt etwas tiefer, damit die Vorräte
kühl bleiben. Im Vorratsraum sieht man den Stolz der Hausfrau: viele
Einmachgläser mit Birnen, Pflaumen, Pfirsichen und Stachelbeeren, dazu
die Marmeladengläser und die Schmalztöpfe. Das Pökelfass mit den
Schnibbelbohnen und das Sauerkrautfass durften auch nicht fehlen. In
einem braunen Tontopf wurden die Eier in Wasserglas eingelegt, damit
auch in der eierarmen Zeit ein leckerer Kuchen gebacken werden konnte.
Möhren und Kartoffeln kamen in die Miete im kleinen Garten hinter dem
Haus. So hatte die Hausfrau das gute Gefühl, gut für den Winter
vorgesorgt zu haben. Ja, ein gut gefüllter Vorratskeller war der Stolz
der Hausfrau.
Früher,
und das ist noch gar nicht so lange her, kaufte die Hausfrau nur das,
was sie nicht selbst herstellen konnte: Salz, Gewürze, Mehl, Hering und
beim Milchmann Butter und Käse und die Milch in der guten alten
Milchdüppe. Wer es sich leisten konnte, kaufte gelegentlich Fleisch beim
Metzger oder Fisch im Fischgeschäft. Zu Weihnachten wurden Nüsse und
Mandeln und Kardamom im Kolonialwarenladen gekauft - diese Waren kamen
aus den Kolonien.
Im Stall hinter der Spülküche wurde ein Schwein fettgefüttert.
Vor Weihnachten kamen der Schlachter und die „Wurstefrau“ und endlich
gab es Fleisch im Überfluss. Aber auch das Fleisch musste lange reichen,
es wurde in Gläser eingekocht, eingepökelt und zu Würsten verarbeitet,
die mit dem Schinken zusammen im Rauchfang geräuchert wurden, um haltbar
gemacht zu werden. Der Flomen wurde ausgelassen, so wurden auch die
Schmalztöpfe wieder gefüllt.
Fast jeder Bürger hatte damals einen Kamp, also einen Acker
oder einen Garten vor den Toren der Stadt. Da pflanzte man Gemüse und
Obst, Kartoffeln und Kräuter an, pflegte den Garten über den Sommer und
erntete im Herbst.
Geht man links am Herd vorbei, kommt man in die Waschküche.
Hier finden sich alle Gerätschaften, die um 1925 zum Waschen gebraucht
wurden, Kernseife, Sand und Soda, Rubbelbrett und Stampfer, Eimer,
Kannen und die Waschbütt. Auf der Wasserbank standen die Eimer, die an
der Pumpe mit Wasser gefüllt worden waren, denn dieses Haus hatte ja
1925 noch kein fließendes Wasser, jeder Eimer Wasser musste von der
Pumpe geholt werden, eine sehr mühsame Arbeit. Darum ging man zum
Waschen und Spülen der „Großen Wäsche“ gern an die Ems zum Waschbrett.
Zum Trocknen wurde die Wäsche im Garten aufgehängt. In der Ecke der
Waschküche hängt eine Klammerschürze mit dem guten Wunsch „Schön Wetter“
- sie ist gefüllt mit schönen, oft noch handgeschnitzten
Holzwäscheklammern.
Die
fertige Wäsche kam in einen Wäschekorb, der mit einem bestickten
„Rolltuch“ abgedeckt war. So wurde die saubere Wäsche geschützt, wenn
sie auf Rollen gewickelt zum Kaltmangeln gebracht wurde. An der Wand in
der Waschküche hängt ein Wandschoner mit dem Spruch: „Wie alles in der
Küche blank, so sei es auch die Wasserbank.“ Hinter diesen Tüchern
verbarg man oft stockfleckige oder unansehnliche Wandflächen.
Vom
Flur aus geht eine enge Treppe hoch zu den Schlafräumen. Vorne befindet
sich das Schlafzimmer der Eigentümerfamilie Rolf. Auf den Betten liegen
warme Federbetten mit einem Leinenbezug. Im Spitzeneinsatz steht „Gute
Nacht“ und „Schlafe wohl“. Ausgebreitet auf dem Bett liegt ein
Männerhemd, das sowohl als Tageshemd als auch ein Nachthemd dienen
konnte. Auf dem anderen Bett sieht man ein Frauennachthemd mit passender
Hose, verziert mit Klöppelspitzen und Monogramm. Die dazu passende
Nachtmütze, die um 1925 noch vielfach getragen wurde, hängt auf dem
Bettpfosten. Am Fußende steht die Babywiege für den jüngsten Spross der
Familie.
Elternschlafzimmer | Mantelstock | Kinderzimmer |
Im
Leinenschrank präsentiert sich der ganze Stolz der Hausfrau: die
Wäscheaussteuer mit Bettwäsche, Tischwäsche, Handtüchern,
Überhandtüchern und Schürzen. Am Schrank hängt der Gehrock, das
Kleidungsstück für festliche Anlässe oder den sonntäglichen Kirchgang.
Außerdem sieht man leinene Männerhemden und eine tailiierte Jacke,
„Taille“ genannt mit Streifen im Blaudruckverfahren. Das Kinderzimmer
befindet sich neben der Bodentreppe. Hier schliefen die zwei älteren
Kinder der Besitzerfamilie. Auf den Stühlen sieht man eine geteilte
Unterhose für Mädchen und viele andere, auch indigogefärbte
Leinen-Unterwäsche. Auch der Schutzengel darf nicht fehlen, hier ist er
gestickt auf einem Wandbehang.
Im
nächsten Raum schlief die Mieterfamilie Droste: Vater, Mutter und die
zwei Kinder, die sich ein Bett teilten. Die Hauswäsche und die
Kleidungsstücke wurden in einer Truhe aufbewahrt. Kleider, die nicht
gefaltet werden sollten, hingen im Mantelstock in der Ecke.
Die
Kammer direkt links an der Treppe mit der besonders schön gestalteten
Glastür bewohnte die unverheiratete Tante Lucie. Sie arbeitete im
Krankenhaus und nähte gerne, darum stand in der guten Stube auch die
hochmoderne Nähmaschine. Auf der blauseidenen Steppdecke des Bettes,
liegt eine Tasche mit Spitzenbesatz und dem Schriftzug „Gute Nacht“, in
der tagsüber die Nachtwäsche und nachts die Tageswäsche aufbewahrt
wurden. Die Bretter des Wäscheschrankes tragen den so gerne verwendeten
gestickten Spruch:
„Geblümt im Sommerwinde, gebleicht auf grüner Au,
liegt still es hier im Spinde, als Stolz der deutschen Frau“.
Ein
schöner Nebenverdienst war auch das Vermieten von Betten an Kostgänger.
Das waren meistens junge Leute, oft sogar Schüler des Gymnasium
Laurentianum, die bei der Familie Rolf in Kost und Logis waren. Sie
hatten ihr Bett wahrscheinlich in dem mittleren Zimmer. Oft teilten sich
mehrere junge Leute ein Zimmer. Sie aßen als „Kostgänger“ mit am Tisch
der Familie.
In jedem der Schlafräume findet sich noch eine Vielfalt an
Kleidungsstücken und insbesondere die „Unaussprechlichen“, die
Unterhosen mit langen, geteilten Beinen, die Klapphosen und die feinen
Hosen mit Rüschen und Spitzen.
Natürlich hat jeder Schlafraum sein „Waschlampet“, die
Waschschüssel mit der Kanne. Auch das Nachttöpfchen unter dem Bett und
der bequeme Nachstuhl neben dem Bett dürfen nicht fehlen.
Warum das Nachtgeschirr im Schlafzimmer so wichtig war, begreift
der Besucher schnell, wenn er den weiten Weg durch den Flur, die Wasch-
und Spülküche, den kleinen Stall, wo das Schweinchen gemästet wurde, bis
in den Hof gegangen ist. Dort befindet sich die Tür mit dem Herzchen,
hinter der sich ein echtes Plumpsklo verbirgt, mit fein säuberlich
geschnittenem Zeitungspapier für besondere Zwecke, aufgespießt auf einem
festen Drahthaken.
Im
Stall wurde das Schweinchen fett gefüttert, Weihnachten überlebte es
meistens nicht. Hier stehen auch der Bollerwagen und die Acker- und
Gartengeräte, hier hängen eine blaue Arbeitsschürze aus indigogefärbtem
Leinen und der „Schlapphut“, der bei der Feld- und Erntearbeit von den
Frauen getragen wurde. Er schütze gegen die Sonne und den Staub. Der mit
Peddigrohr versteifte Rand sorgte für einen luftigen Abstand von Kopf
und Nacken.
All diese Gerätschaften werden gebraucht für die Pflege des
kleinen Gartens, in dem natürlich auch ein paar Hühner herumlaufen.
Darum ist das Beet mit den Blumen auch eingezäunt. Eine gute Hausfrau
hatte immer frische Blumen auf dem Tisch stehen, die sie hier aus dem
Garten holte. An der Wand zum Nachbargarten findet man noch heute eine
Vielzahl Küchenkräuter, die für jede Mahlzeit frisch gepflückt wurden.
Die Hühner versorgten die Familie mit frischen Eiern und sie und das
Schwein fraßen alles, was in der Küche nicht mehr gebraucht wurde -
Kartoffelschalen, Möhrenschalen und Erbsenschoten, Salatblätter und alle
Essensreste. Man ließ nichts verkommen!
Sonntags setzte sich die Familie gern in den Garten unter den Pflaumenbaum. Eine Ruhebank gab es auch in der Ecke an der alten Stadtmauer, ein ganz besonders schöner Platz zum Kartoffeln schälen oder für eine kurze Verschnaufpause.
Bollerwagen (Leiterwagen) zum Transport der Gartengeräte, der Ernte,
etc.
Mechtild
Wolff