Marienbögen ín den 1920er Jahren
Der Bogen auf dem Marktplatz um 1920
In der Woche vor dem Fest wurden die eingelagerten Marienbögen
hervorgeholt, überprüft und in Stand gesetzt. Die neun Triumpf-Bögen
wurden auch damals von den Bogengemeinschaften aufgebaut. Dabei ging es
sehr fröhlich zu und es wurde manches Bier und manches Schnäpschen
geleert. Wir Kinder verfolgten mit großer Spannung den Aufbau der Bögen,
besonders liebten wir das Probeausleuchten. Alle Bögen wurden damals mit
Gas beleuchtet. Aus Hunderten von kleinen Löchern strömte das Gas -
damals war es noch Kokereigas aus der Warendorfer Gasanstalt, das eine
blaue Flamme erzeugte. Mit einem „Blubb“ erstrahlte der Marienbogen in
einem hellen Flammenmeer. Wunderschön!
Am Mariä Himmelfahrts-Samstag erreichten die emsigen
Vorbereitungen ihren Höhepunkt. Die Muttergottesstatuen wurden auf den
Bögen aufgestellt und mit Blumen geschmückt und den Marktbogen zierten
nun die sechs Posaunenengel. Die meisten Bögen waren vierständig, sodass
oben ein Boden eingebaut war, auf dem am Abend die Musikkapelle sitzen
konnte.
In der ganzen Innenstadt herrschte rege Geschäftigkeit. Die
Straßen wurden sauber gefegt, es sollte sauber sein wie in einer
Wohnstube. In den Schaufenstern, Hauseingängen und Wohnungsfenstern
wurden Marienaltärchen aufgebaut und mit wunderschönen Blumen aus dem
Garten geschmückt. Die rot-weiße Kirchenfahne wurde herausgehängt und an
vielen Häusern standen lange Leitern zum Anbringen der Wimpelketten.
Auch bei uns zu Hause herrschte Mariä-Himmelfahrts-Trubel. Zum
Festtag kamen selbstverständlich alle auswärts studierenden Geschwister
in ihre Heimatstadt. Alle halfen mit, im Hauseingang ein schönes
Marienaltärchen zu gestalten. Unsere geliebte Schutzmantel-Madonna aus
dem Wohnzimmer wurde auf ein Tischchen mit der frisch gestärkten und von
Mutter sorgfältig gebügelten Leinendecke gestellt und mit bunten
Gartenblumen und Rosenblättern sowie vielen Kerzen geschmückt.
Am Giebel unserer Wohnung in der Münsterwallschule wurde die
rot-weiße Fahne gehisst, weiß nach außen, denn es stand ja ein
kirchliches Fest bevor. Sonntagabends wurde umgehängt, rot nach außen,
für das weltliche Schützenfest. Unser Bruder Otto war schwindelfrei, er
überprüfte die Haken in den 11 Fenstern. Der Kasten mit den roten
Fackeln wurde vom Dachboden geholt, überprüft und schadhafte Fackeln
durch neue ersetzt. Jede Fackel - erst später sagte man Bunge - bekam
eine Weihnachtskerze. Die Brenndauer einer Kerze reichte gerade für den
Festbeleuchtungsabend. Elektrische Beleuchtung für die Fackeln gab es
noch nicht. Die Kerzen mussten gerade und fest eingepasst werden, sonst
war die Pracht von kurzer Dauer und die Fackel ging in Flammen auf. Aber
auch ein kleiner Windstoß brachte so manche Fackel zum Abbrennen. Wegen
der Feuergefahr blieb immer ein Familienmitglied während der
Stadtbeleuchtung zu Hause - als Feuerwache.
Wenn es um halb neun endlich dunkel wurde, nahmen wir Kinder
unsere rote Fackel in die Hand und gingen mit unseren Eltern und
Geschwistern durch die Stadt. Ich erinnere mich gut an das Geschiebe in
den Straßen. Von weit und breit kamen die Besucher nach Warendorf, es
wurden sogar Sonderzüge eingesetzt, denn wer hatte damals schon ein
Auto!
Noch heute steht die wundertätige Madonna im Mittelpunkt des Festes
"Mariä Himmelfahrt"
Unser
erstes Ziel war die „Wundertätige Madonna“ in der Laurentiuskirche, die
in einem Meer von Blumen und Kerzen als Himmelskönigin verehrt wurde.
Die vielen silbernen Votivgaben zeugen noch heute von der Dankbarkeit
der Gläubigen – das beeindruckte uns in jedem Jahr zutiefst. Zurück auf
den mit den roten Fackeln beleuchteten Straßen der Stadt genossen wir
die zauberhafte Stimmung. Besonders eindrucksvoll waren die mit
tausenden kleiner Gasflämmchen beleuchteten Marienbögen, auf denen eine
Musikkappelle saß, die Marienlieder spielte. Selbstverständlich sangen
alle Besucher des Festabends die Marienlieder während des Ganges durch
die Stadt mit. Nach ein oder zwei Strophen hatte man den nächsten Bogen
erreicht und stimmte in das dort gespielte Lied ein. Wir bewunderten die
schön gestalteten Marienaltärchen in den Fenstern und Hauseingängen, so,
wie wir es heute noch tun. Wie schön, dass diese Tradition sich fast
unverändert erhalten hat und von den Warendorfer Bürgern so liebevoll
gepflegt wird. Nur die brennend herunter fallenden Bungen gibt es nicht
mehr, wir Kinder fanden dieses „Abfackeln“ immer ganz besonders
spannend.
Am Mariä-Himmelfahrts-Sonntag in der Frühe um 5 Uhr begann
wieder das emsige Treiben. Die Straßen wurden gereinigt und für die
Prozession mit Fähnchen und besonders schönen Blumen geschmückt.
Unschöne Ecken wurden mit „Maien“, das sind Birkenzweige, kaschiert. Die
„Gosse“ decke man mit großen Farmblättern zu. Das war damals wirklich
notwendig, denn durch die Gosse lief das schmutzige, oft stinkende
Abwasser. Erst mit der Abwasserkanalisation wurde dieser Zustand
beendet.
Viele fleißige Hände errichteten die vier Segensaltäre. Wir
durften an der Neuen Kirche helfen. Dafür hatten wir am Vortag in
unserem Garten die schönsten Blumen gepflückt. Pünktlich zum Beginn der
Mariä-Himmelfahrts-Prozession war die Stadt festlich herausgeputzt.
Beide Pfarreien beteiligten sich schon damals an der Großen
Stadtprozession. Die Vielzahl der Geistliche, alle in festlichen
Gewändern, hat uns immer sehr beeindruckt, dazu die Patres aus dem Franziskanerkloster. Zu
dieser Zeit gab es noch sehr viele Patres in Warendorf. Alle trugen
Sandalen ohne Socken - die trugen sie nicht einmal im Winter. Auch den
Bürgerschützen war es eine Ehre, in großer Zahl mit der Prozession zu
gehen. Bei dieser „offiziellen“ Prozession der Stadt Warendorf ging
direkt hinter dem Allerheiligsten der Bürgermeister mit all seinen
Ratsherren und den Honoratioren der Stadt - alle im Gehrock mit Zylinder
und weißen Handschuhen und 1924 reihten sich erstmalig die drei neu
gewählten Ratsherrinnen ein – welch eine Sensation.
Die wundertätige Madonna von Warendorf, mit ihrem prächtigen
Brokatkleid bekleidet, wurde von vier Mitgliedern der
Jungfrauen-Kongregation auf den Schultern getragen - einheitlich
gekleidet in weißen Blusen und schwarzen Röcken. Die Schulkinder mit
ihren Lehrerinnen gingen vor dem Allerheiligsten. Als Kommunionkinder
durften wir in unseren weißen Kleidern an der Spitze gehen. Wir hatten
ein Körbchen mit Rosenblättern und Blumenknospen. An jedem Segensaltar
streuten wir einige davon auf den Teppich vor dem Altar. Der letzte
Segen auf dem Markt war der Höhepunkt. Wir erlebten in einem großen
Kreis stehend den Einzug der festlichen Prozession. Das Allerheiligste
unter dem prächtigen Himmel wurde oft von einem Bischof getragen. Einer
der Pastöre trug die Monstranz auf den Altar und erteilte den Segen.
Danach zogen die Kirchenchöre singend in die Laurentiuskirche ein,
gefolgt von der Festprozession. Nach dem Schlusssegen gingen wir unter
feierlichem Glockengeläute in gehobener Stimmung, aber redlich müde,
nach Hause.
Am Nachmittag durften wir dann endlich den „weltlichen Teil des
Festes“ genießen – die Mariä-Himmelfahrts-Kirmes!