Vor 100 Jahren – Das Hochfest Mariä–Himmelfahrt in Warendorf
aus den Erinnerungen von Eugenie Haunhorst (1912-2016)

 
Marienbögen ín den 1920er Jahren

 

 Die Feierlichkeiten zu Mariä-Himmelfahrt waren in meiner Jugend in den 1920er Jahren der Höhepunkt des Jahres. Seit über 250 Jahren wurde dieses Fest in Warendorf gefeiert. Unser Vater erzählte uns jedes Jahr wieder die schönen Geschichten von Gertrud, der gelähmten Tochter des Bäckers Rolf und von der blinden Ursula, die durch die wunderbare Hilfe der Glorreichen Muttergottes von Warendorf geheilt worden waren. Schon Wochen vor dem Fest breitete sich in der Innenstadt eine rege Geschäftigkeit aus. Wer sein Haus neu streichen wollte tat es so, dass es zu Mariä Himmelfahrt in neuem Glanz erstrahlte. Fenster wurden gestrichen, die Straßen ausgebessert, schmutzige Ecken wurden aufgeräumt.



Der Bogen auf dem Marktplatz um 1920

 

In der Woche vor dem Fest wurden die eingelagerten Marienbögen hervorgeholt, überprüft und in Stand gesetzt. Die neun Triumpf-Bögen wurden auch damals von den Bogengemeinschaften aufgebaut. Dabei ging es sehr fröhlich zu und es wurde manches Bier und manches Schnäpschen geleert. Wir Kinder verfolgten mit großer Spannung den Aufbau der Bögen, besonders liebten wir das Probeausleuchten. Alle Bögen wurden damals mit Gas beleuchtet. Aus Hunderten von kleinen Löchern strömte das Gas - damals war es noch Kokereigas aus der Warendorfer Gasanstalt, das eine blaue Flamme erzeugte. Mit einem „Blubb“ erstrahlte der Marienbogen in einem hellen Flammenmeer. Wunderschön!

Am Mariä Himmelfahrts-Samstag erreichten die emsigen Vorbereitungen ihren Höhepunkt. Die Muttergottesstatuen wurden auf den Bögen aufgestellt und mit Blumen geschmückt und den Marktbogen zierten nun die sechs Posaunenengel. Die meisten Bögen waren vierständig, sodass oben ein Boden eingebaut war, auf dem am Abend die Musikkapelle sitzen konnte.

In der ganzen Innenstadt herrschte rege Geschäftigkeit. Die Straßen wurden sauber gefegt, es sollte sauber sein wie in einer Wohnstube. In den Schaufenstern, Hauseingängen und Wohnungsfenstern wurden Marienaltärchen aufgebaut und mit wunderschönen Blumen aus dem Garten geschmückt. Die rot-weiße Kirchenfahne wurde herausgehängt und an vielen Häusern standen lange Leitern zum Anbringen der Wimpelketten.

Auch bei uns zu Hause herrschte Mariä-Himmelfahrts-Trubel. Zum Festtag kamen selbstverständlich alle auswärts studierenden Geschwister in ihre Heimatstadt. Alle halfen mit, im Hauseingang ein schönes Marienaltärchen zu gestalten. Unsere geliebte Schutzmantel-Madonna aus dem Wohnzimmer wurde auf ein Tischchen mit der frisch gestärkten und von Mutter sorgfältig gebügelten Leinendecke gestellt und mit bunten Gartenblumen und Rosenblättern sowie vielen Kerzen geschmückt.

Am Giebel unserer Wohnung in der Münsterwallschule wurde die rot-weiße Fahne gehisst, weiß nach außen, denn es stand ja ein kirchliches Fest bevor. Sonntagabends wurde umgehängt, rot nach außen, für das weltliche Schützenfest. Unser Bruder Otto war schwindelfrei, er überprüfte die Haken in den 11 Fenstern. Der Kasten mit den roten Fackeln wurde vom Dachboden geholt, überprüft und schadhafte Fackeln durch neue ersetzt. Jede Fackel - erst später sagte man Bunge - bekam eine Weihnachtskerze. Die Brenndauer einer Kerze reichte gerade für den Festbeleuchtungsabend. Elektrische Beleuchtung für die Fackeln gab es noch nicht. Die Kerzen mussten gerade und fest eingepasst werden, sonst war die Pracht von kurzer Dauer und die Fackel ging in Flammen auf. Aber auch ein kleiner Windstoß brachte so manche Fackel zum Abbrennen. Wegen der Feuergefahr blieb immer ein Familienmitglied während der Stadtbeleuchtung zu Hause - als Feuerwache.

Wenn es um halb neun endlich dunkel wurde, nahmen wir Kinder unsere rote Fackel in die Hand und gingen mit unseren Eltern und Geschwistern durch die Stadt. Ich erinnere mich gut an das Geschiebe in den Straßen. Von weit und breit kamen die Besucher nach Warendorf, es wurden sogar Sonderzüge eingesetzt, denn wer hatte damals schon ein Auto!


Noch heute steht die wundertätige Madonna im Mittelpunkt des Festes "Mariä Himmelfahrt"

 

Unser erstes Ziel war die „Wundertätige Madonna“ in der Laurentiuskirche, die in einem Meer von Blumen und Kerzen als Himmelskönigin verehrt wurde. Die vielen silbernen Votivgaben zeugen noch heute von der Dankbarkeit der Gläubigen – das beeindruckte uns in jedem Jahr zutiefst. Zurück auf den mit den roten Fackeln beleuchteten Straßen der Stadt genossen wir die zauberhafte Stimmung. Besonders eindrucksvoll waren die mit tausenden kleiner Gasflämmchen beleuchteten Marienbögen, auf denen eine Musikkappelle saß, die Marienlieder spielte. Selbstverständlich sangen alle Besucher des Festabends die Marienlieder während des Ganges durch die Stadt mit. Nach ein oder zwei Strophen hatte man den nächsten Bogen erreicht und stimmte in das dort gespielte Lied ein. Wir bewunderten die schön gestalteten Marienaltärchen in den Fenstern und Hauseingängen, so, wie wir es heute noch tun. Wie schön, dass diese Tradition sich fast unverändert erhalten hat und von den Warendorfer Bürgern so liebevoll gepflegt wird. Nur die brennend herunter fallenden Bungen gibt es nicht mehr, wir Kinder fanden dieses „Abfackeln“ immer ganz besonders spannend.

Am Mariä-Himmelfahrts-Sonntag in der Frühe um 5 Uhr begann wieder das emsige Treiben. Die Straßen wurden gereinigt und für die Prozession mit Fähnchen und besonders schönen Blumen geschmückt. Unschöne Ecken wurden mit „Maien“, das sind Birkenzweige, kaschiert. Die „Gosse“ decke man mit großen Farmblättern zu. Das war damals wirklich notwendig, denn durch die Gosse lief das schmutzige, oft stinkende Abwasser. Erst mit der Abwasserkanalisation wurde dieser Zustand beendet.

Viele fleißige Hände errichteten die vier Segensaltäre. Wir durften an der Neuen Kirche helfen. Dafür hatten wir am Vortag in unserem Garten die schönsten Blumen gepflückt. Pünktlich zum Beginn der Mariä-Himmelfahrts-Prozession war die Stadt festlich herausgeputzt.

 


 

Beide Pfarreien beteiligten sich schon damals an der Großen Stadtprozession. Die Vielzahl der Geistliche, alle in festlichen Gewändern, hat uns immer sehr beeindruckt, dazu die Patres aus dem Franziskanerkloster. Zu dieser Zeit gab es noch sehr viele Patres in Warendorf. Alle trugen Sandalen ohne Socken - die trugen sie nicht einmal im Winter. Auch den Bürgerschützen war es eine Ehre, in großer Zahl mit der Prozession zu gehen. Bei dieser „offiziellen“ Prozession der Stadt Warendorf ging direkt hinter dem Allerheiligsten der Bürgermeister mit all seinen Ratsherren und den Honoratioren der Stadt - alle im Gehrock mit Zylinder und weißen Handschuhen und 1924 reihten sich erstmalig die drei neu gewählten Ratsherrinnen ein – welch eine Sensation.

Die wundertätige Madonna von Warendorf, mit ihrem prächtigen Brokatkleid bekleidet, wurde von vier Mitgliedern der Jungfrauen-Kongregation auf den Schultern getragen - einheitlich gekleidet in weißen Blusen und schwarzen Röcken. Die Schulkinder mit ihren Lehrerinnen gingen vor dem Allerheiligsten. Als Kommunionkinder durften wir in unseren weißen Kleidern an der Spitze gehen. Wir hatten ein Körbchen mit Rosenblättern und Blumenknospen. An jedem Segensaltar streuten wir einige davon auf den Teppich vor dem Altar. Der letzte Segen auf dem Markt war der Höhepunkt. Wir erlebten in einem großen Kreis stehend den Einzug der festlichen Prozession. Das Allerheiligste unter dem prächtigen Himmel wurde oft von einem Bischof getragen. Einer der Pastöre trug die Monstranz auf den Altar und erteilte den Segen. Danach zogen die Kirchenchöre singend in die Laurentiuskirche ein, gefolgt von der Festprozession. Nach dem Schlusssegen gingen wir unter feierlichem Glockengeläute in gehobener Stimmung, aber redlich müde, nach Hause.

Am Nachmittag durften wir dann endlich den „weltlichen Teil des Festes“ genießen – die Mariä-Himmelfahrts-Kirmes!

 

 

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