Schier überrannt wurde die nostalgische Filmveranstaltung des
Heimatvereins am Sonntag. Als der große Saal des Pfarrheims St. Marien
schon eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn aus allen Nähten
Platze, wurde spontan ein zweiter Filmtermin für den Spätnachmittag
angesetzt, der dann auch wieder gut gefüllt war.
Es waren spannende Jahre, diese Nachkriegsjahre und wie gut
war es, dass es damals schon Amateurfilmer wie Franz Eiling gab, die auf
ihren Zelluloidstreifen Ereignisse der Nachkriegsjahre festgehalten
haben. Die Heimatfreunde Willi Schütte, Kurt
Die Vorsitzende des Heimatvereins
Mechtild Wolff begrüßte als Ehrengäste die beiden Filmemacher
Kurt Heinermann und Willi Schütte
Heinermann
und Wolfgang Elpers bastelten über ein Jahr lang an der Fertigstellung
des 60minütigen Films. Grundlage war das umfangreiche Filmmaterial von
Franz Eiling. Der damalige Heimatvereins-Vorsitzende Rainer A. Krewerth
schrieb den Text und führte mit seiner sonoren Stimme humorvoll durch
den Film, begleitet am Klavier von Torsten Brandt, der zu jeder Szene
die passende Musik komponiert hatte. Am 9. Juni 1996 führte der
Heimatverein diesen Film in einer Sonntags-Matinee im Theater am Wall
zum 1. Male vor.
Damals wie heute konnte das gespannte Publikum
miterleben, wie 1949 die neue Emsbrücke innerhalb von drei Monaten
erbaut wurde - die alte war ja in den letzten Tagen des 2. Weltkriegs
noch unsinnigerweise von der SS gesprengt worden. Nach der feierlichen
Einweihung fuhr dann Bürgermeister Heinermann mit den Honoratioren von
Stadt, Kreis und Kirche in der Kutsche über die Brücke, angeführt von
einer Reiterstaffel des Landgestüts und gefolgt von den neuen Omnibussen
des Busunternehmers Franz Ringbeck - noch mit den Warendorfer
Nummernschild BR 86.
Auch
der Bau des Theaters am Wall zeugte vom Aufbauwillen der
Nachkriegsjahre. Die feierliche Eröffnung, zu der man natürlich in Frack
und Zylinder erschien und die Damen im eleganten Kostüm, war eines der
ersten großen gesellschaftlichen Ereignisse in der kleinen Emsstadt, bei
der auch Ministerpräsident Karl Arnold zu Gast war.
Blick auf die Ems von der alten Emsbrücke | Feierliche Einweihung der neuen Emsbrücke durch Bürgermeister Heiinemann |
Im
„hohen Norden“, weit außerhalb der Stadt, gab es große Freude bei den
über 600 Schulkindern: Die Josefschule wurde gebaut, denn die
Schulraumnot war groß. Bürgermeister Heinermann zeigte sich sichtlich
stolz, dass die Stadt in so schweren Zeiten ein Projekt dieser Größe
stemmen konnte. Der Schulausschuss-Vorsitzende Heinrich Blum appellierte
an die Schüler: „Charakter ist besser als Wissen!“ und Schulrat Dr.
Böhmer fügt hinzu: „Aber Wissen kann dem Charakter nicht schaden!“ Nach
dem Segen durch Pfarrer Hast und Pastor Radü wurden all diese guten
Wünsche mit dem Grundstein eingemauert.
Das Theater am Wall | Richtfest an der neuen Josefschule |
1951 zeigten die Warendorfer all ihre Kreativität bei der Gestaltung
der Festwoche zum 750jährigen Stadtjubiläum, stellten einen großen
Festumzug zusammen, der begleitet von Fanfaren, Trompeten und Trommlern
750 Jahre Warendorfer Geschichte auf historischen Wagen darstellte. Über
1000 Kinder zogen als Puppenmütter, mutige Indianer, Bäcker,
Schornsteinfeger und Märchenfiguren durch die Innenstadt mit den eigens
aufgebauten Stadttoren – Ideenreichtum und die Tatkraft der Bürger
verdienen große Hochachtung. Bei den zahlreichen Festempfängen im
Rathaus, die Herren natürlich im Frack und die Ratsherrin Elisabeth
Schwerbrock mit elegantem großen Hut wurde dem Bürgermeister Heinermann
von den Handwerkern eine neue Amtskette gestiftet und die Patenschaft
über die schlesische Stadt Reichenbach mit dem ehemaligen Reichenbacher
Bürgermeister Schönfelder besiegelt. Und zum ersten Mal findet die
Kirmes auf dem Lohwall statt – welch ein Vergnügen.
All das wird in diesem „Nachkriegsstück in 21 Bildern“
dargestellt und noch vieles mehr wie die feierliche Erstkommunion in St.
Laurentius, eine Modenschau mit hocheleganter Damenmode und galanten
Herren in perfekt sitzenden Anzügen, ein dramatisches
Jux-Fußballspiel auf dem Sturzacker am Bürgerhof und auch Schützenfeste
mit den „witten Büxen“ und den Holzgewehren. Über 1000 Sänger zogen beim
Sängertreffen des Sängerkreises Emsland mit ihren schmissigen Liedern in
einem langen Festzug durch die Stadt, um im schönen Festsaal des
Bürgerhofs einen Sänger-Wettstreit auszutragen. Und endlich fanden
wieder Warendorfer Reitertage statt – eine solide Basis für die
aufstrebende Reiterstadt Warendorf.
Ja, die „Stadt in Wiesen, Stadt in Gärten“ blieb für alte
Warendorfer, die es in die große, weite Welt verschlagen hat, ein
Sehnsuchtsort und sie kamen in Scharen zum Tag der Ehemaligen und sangen
aus voller Brust:
Warendorf, du Hort meiner Jugend und Freuden,
einmal im Jahr da muss ich Dich seh’n;
Kehr‘ ich dann heim, ja dann denk‘ ich beim Schneiden:
Ach war das schön, ja das war schön.
Im Anschluss an den Film wurde gefragt: Wie ist es denn den
Warendorfern in den ersten Nachkriegsjahren ergangen? Die Filmszenen
entstanden ja schon vier Jahre nach Kriegsende und zeigen eine heile,
prosperierende Welt.
Ja,
die Stadt Warendorf gehörte zu den glücklichen Landstädtchen, die von
den Bomben verschont geblieben waren. Das heißt aber nicht, dass der
Krieg spurlos an Warendorf vorüber gegangen war. Auch bei uns hatte er
viel Leid über die Menschen gebracht. Über 500 Warendorfer hatten ihr
Leben verloren und genauso viele wurden noch vermisst. Das bedeutete
Trauer und Leid, aber auch, dass all diese Familien ihren Ernährer
verloren hatten. Viele Soldaten waren noch in Kriegsgefangenschaft und
kehrten erst nach und nach wieder heim. Das lebte dann die ganze Stadt
mit, vor allem bei den Spätheimkehrern. Ich erinnere mich noch gut an
den Kriegsheimkehrer Paul Möller, den Vater von Hanne und
Doris. Er kam am 2. September 1949 aus russischer
Gefangenschaft zurück. Einen Tag vorher hatte seine Frau die Nachricht
von seiner Heimkehr bekommen - das verbreitete sich wie ein Lauffeuer in
Warendorf. Die Nachbarn von der Freckenhorster Straße kränzten die
Haustür und zur Ankunft des Zuges fand sich eine große Menschenmenge mit
vielen Kindern am Bahnhof ein, um den Heimkehrer zu begrüßen. All die
Menschen jubelten ihm zu und geleiteten ihn mit seiner überglücklichen
Frau und den beiden Kindern durch die mit Flaggen geschmückte Stadt nach
Hause.
Ein letztes Kräftemessen der SS mit der Warendorfer Bevölkerung gab
es in den letzten Kriegstagen Anfang April 1945 beim Kampf um die
Sprengung der Emsbrücken. Die SS wollte den Zugang zur Stadt versperren
und alle Brücken zerstören. Mutige Bürger verhinderten aber die
Sprengung der Teufelsbrücke und der Brücke
an
der Gartenstraße, konnten aber die Zerstörung der großen Emsbrücke nicht
verhindern. Dass die Stadt am 3. April 1945 kampflos und ohne Verluste
den Siegermächten, also den Amerikanern, den Kanadiern und den
Engländern übergeben werden konnte, ist dem Mut und der Klugheit des
Stadtrendanten Lepper und des Standortältesten Oberst Winkel zu
verdanken. Am reibungslosen Ablauf war auch Oberstudienrat Heinrich Blum
wesentlich beteiligt, der durch seine Vermittlerfähigkeiten und seine
guten Englisch-Kenntnisse dafür sorgte, dass keine Missverständnisse und
Disharmonien mit den Siegermächten entstanden.
Oberst Winkel | Stadtrendant Theodor Lepper | Heinrich Temme | Otto Freund |
Eine wichtige Aufgabe sah die Besatzungsmacht nun darin, die
politische Verantwortung wieder auf die deutschen Bürgern zu übertragen.
Ein guter Plan, aber die Ausführung gestaltete sich sehr schwierig, denn
unbelastete Führungskräfte waren schwer zu finden – die Spreu musste vom
Weizen getrennt werden und die Entnazifizierung nahm viel Zeit in
Anspruch. Darum setzte der Kanadische Ortskommandant am 3. April 1945
Heinrich Blum als ersten Bürgermeister ein. Das wollte Blum aber ganz
bestimmt nicht sein, denn er war Lehrer aus Passion und wollte das auch
bleiben. So kann es, dass schon nach zwei Tagen Aloys Zurbonsen
(1884-1950) als neuer Bürgermeister installiert wurde.
Aloys Zurbonsen | Oberstudienrat Heinrich Blum | BürgermeisterJosef Heinermann |
Leider
blieb auch er nicht lange im Amt, denn er wurde zum Landrat des Kreises
Warendorf berufen. Ja, unbelastete Führungskräfte wurden überall
gesucht.
Es war aber elementar wichtig, dass die Stadt von einem tüchtigen
Bürgermeister regiert wurde und man war froh, dass Heinrich Temme das
Amt übernahm. Leider war auch das nicht von langer Dauer, denn er wurde
bald pensioniert.
Der
Ortskommandant übertrug nun die Amtsgeschäfte kommissarisch dem
langjährigen Warendorfer Stadtrentmeister Theodor Lepper, der sich schon
bei Kriegsende als sehr umsichtig erwiesen hatte. Diese ersten
Bürgermeister nach dem Krieg waren noch hauptamtlich tätig, sie waren
Leiter der Verwaltung und Repräsentanten der Stadt. Das änderte sich im
April 1946 und der engagierte Bürger Otto Freund wurde zum
ehrenamtlichen Bürgermeister gewählt.
Nach all diesen Irrungen und Wirrungen fanden dann 1948 die ersten
demokratischen Wahlen statt und Josef Heinermann wurde zum Bürgermeister
gewählt. Unzählige Probleme mussten gelöst werden. Die vielen
Flüchtlingen und Vertriebenen mussten versorgt werden, es herrschte
Mangel an Nahrungsmitteln, an Kleidung, an Möbeln und vor allem an
Wohnraum.
In diesen schwierigen Zeiten erwies sich Josef Heinermann als
Glücksfall. Er blieb Bürgermeister bis zu seinem frühen Tod 1956. In dem
Film „Als Warendorf sich wieder machte“ spielt er eine zentrale Rolle.
Mechtild Wolff