Wer Friedhöfe besucht, kann sich Geschichte aus
einer anderen Perspektive erschließen, insbesondere Stadtgeschichte.
Auch auf unserem Friedhof finden sich Grabsteine von Familien und
Persönlichkeiten, die einst für unsere Stadt von großer Bedeutung waren
und die Entwicklung des kleinen Landstädtchens vorangetrieben haben.
Diese Grabanlagen spiegeln in beeindruckender Weise Großfamilien, in
denen acht bis zehn Kinder keine Seltenheit waren. Die Gruft der Familie
Hagedorn gibt davon ein lebendiges Zeugnis.
Clara Hagedorn mit ihren zehn Kindern.
Hinter Mutter Clara die beiden Firmengründer Anton und Georg und der
2.v.r. Pastor Bernhard Hagedorn
Der Stammvater Heinrich Hagedorn (1843-1895) kam aus einer
Dorfschmiede-Familie in Müschen bei Laer im Osnabrücker Land. Schon seit
Urgroßväterzeiten reparierten die Hagedorns die Ackergeräte der
Dorfbevölkerung. Heinrich und seine drei Brüder lernten hier vom Vater
das Schmiedehandwerk von der Pieke auf. Dabei erlebte schon der junge
Heinrich immer wieder die Sorgen und Nöte und vor allem die
Arbeitsüberlastung der Bauern und nahm sich vor, die neuen Erfindungen
in der Maschinenbautechnik auch für landwirtschaftliche Geräte nutzbar
zu machen. Noch in der Müschener Schmiede baute er die erste Drehbank,
um seine Arbeit erleichtern zu können.
Heinrich Hagedorn
Nur wo konnte Heinrich Hagedorn seine Ideen verwirklichen? Das
kleine Müschen war zu eng. Da kam ihm die Liebe zu Hilfe. Er lernte die
zielstrebige und tüchtige Clara Füchte aus Milte kennen und lieben und
eröffnete nach der Hochzeit 1873 im nahen Warendorf am Wilhelmsplatz 5
(später Autohaus Buck) eine Schmiede. Warendorf war ideal für seine
Pläne, es war Mittelpunkt eines reichen Bauernlandes und hatte einen
lebhaften Markt- und Handelsverkehr. Bald zeigte sich, wie wichtig das
nahegelegene Landgestüt war, denn hier übertrug man ihm den Hufschlag –
welch ein Vertrauensbeweis. Bald wurde Heinrich Hagedorn in Warendorf
unverzichtbar, vor allem wenn es um schwierige technische Probleme ging
wie z.B. die Montage von Anlagen für die Brauerei- und Brennereibetriebe
oder die neuartigen Setzmaschinen für die Druckerei Leopold. Auch die
Schleuse am Muddenbach beim Bauern Everwand in Dackmar hätte ohne ihn nicht funktioniert und die
Webmaschinen der Firma Brinkhaus & Wiemann liefen durch seine
gewissenhafte Pflege reibungslos. Die Schmiede vergrößerte sich, da war
es gut, dass seine beiden Söhne Anton (1874-1943) und Georg (1878-1961)
zu ihm in die Lehre kamen. Vater Heinrich war ein strenger Lehrherr,
denn diese beiden Jungen sollten das handwerkliche, technische und
unternehmerische Rüstzeug bekommen, um sein Lebenswerk fortzuführen. In
der Schmiede wurden jetzt vermehrt Landmaschinen hergestellt, zuerst
Pflüge, Hächselmaschinen und Kartoffelquetschen.
Bald wurde die Schmiede an der Münsterstraße zu eng und 1893 kaufte Heinrich Hagedorn weiter draußen ein Gelände an der Münsterstraße 58. In diesen größeren Räumlichkeiten konnten nun schon Serienfertigungen gemacht werden, allerdings vorerst noch im Handbetrieb – alle zehn Kinder wurden an der Drehbank zum Drehen der Kurbel eingespannt – bis endlich eine Dampfmaschine und eine moderne Drehbank angeschafft werden konnte. Das war sehr notwendig geworden, als 1897 in der Firma Wiemann & Bispinck an der Kirchstraße ein verheerendes Feuer ausgebrochen war und die Maschinen durch den Sturz in die Tiefe schwer beschädigt wurden. Die dicken Wellen mussten nun abgedreht werden. Vor dieser Aufgabe standen die beiden Söhne aber jetzt allein, denn Vater Heinrich Hagedorn war 1895 ganz plötzlich im Alter von nur 51 Jahren gestorben. Seine Frau Clara übernahm mit Umsicht und Energie das umfangreiche Erbe, tatkräftig unterstützt von ihren Söhnen Anton und Georg, die ja bei ihrem Vater eine gute Schule durchlaufen hatten. Sie hatten nicht nur das Handwerk gründlich gelernt, sondern auch, dass Unternehmer und Arbeiter immer vertrauensvoll und verlässlich miteinander umgehen müssen. Die Firma vergrößerte sich stetig und hatte jetzt schon Landmaschinenkunden in ganz Deutschland.
1898: Anton und Geor Hagedorn; Bernhard Samson, Franz Hundertmark,
Heinrich Haverbrede
auf Werbetour
Außerdem betrieb Anton Hagedorn an der Münsterstraße eine
Fahrrad- und Nähmaschinenhandlung. Die Fahrräder kamen von den
Dürkopp-Werken in Bielefeld und wurden von Anton und Georg nach
Feierabend dort abgeholt und nach Warendorf geradelt. Mit dem
„Fünfer-Fahrrad“ machten die Hagedorn-Brüder aufsehenerregende Werbung.
Anton Hagedorn jr. auf dem Weg zu einem Kunden(1928)
Um 1900 brach auch bei den landwirtschaftlichen
Geräten eine neue Zeit an, Henry Ford erfand den ersten Traktor, das
Pferd und der Ochse konnten nun bei der Feldarbeit abgelöst werden. 1902
entschlossen sich Anton und Georg Hagedorn, am westlichen Stadtrand eine
ganz neue Fabrik zu bauen, um mehr Platz für den Bau von Landmaschinen
aller Art zu bekommen. Sie firmierten unter „Maschinenfabrik und
Eisengießerei Gebr. Hagedorn & Co.“ und erwarben sich durch ihre
hoch-wertigen Maschinen in der Landmaschinenbranche Achtung und Erfolg.
Die Aufträge wurden zu Fuß, mit der Bahn und später mit dem Motorrad
herein-geholt und Ende der 1920er Jahre konnte dann ein Automobil
angeschafft werden. Immer mehr neue Landmaschinen, wie z.B. der
erfolgreiche Heuwen-der wurden produziert, die bis nach Argentinien und
Schweden verkauft wurden. Wie gut, dass der jüngere Bruder Heinrich, wie
sein Bruder Georg ein ausgebildeter Ingenieur, die Fertigungsleitung
übernahm. Die Entwicklung der Firma ging stetig aufwärts, allerdings mit
empfindlichen Rückschlägen während der beiden Weltkriege und der
Inflation 1923. 1939 fanden bei Hagedorn schon 150 Mitarbeiter Arbeit
und Brot – der 2. Weltkrieg änderte aber alles wieder.
Hermann Hagedorn | Benno Hagedorn |
Das repräsentative Bürogebäude | Villa Hagedorn an der Münsterstraße |
Die Hagedornschen Landmaschinen und Ladewagen und der
Kartoffel-Sammel-Roder machten die Firma Hagedorn zu einem der
bedeutendsten Hersteller für Landmaschinen in Deutschland und Europa.
Wie gut, dass mit Alfons Hagedorn, einem Sohn des Gründers Anton, ein
tüchtiger Leiter der Gießerei die verlässliche Qualität garantierte. Ein
gutes Werksvertretersystem erschloss neue Absatzmärkte in der ganzen
Welt. Neue Patent- und Musterschutzrechte garantierten den weltweiten
Erfolg der Firma Hagedorn. Zu besten Zeiten in den 1960er Jahren hatte
die Firma über 400 Mitarbeiter und arbeitete an zwei Standorten.
In
den 1970er Jahren veränderte sich die Welt – die Firma Hagedorn musste
1972 einen Vergleich anmelden. Ernst Weichel übernahm den Betrieb und
führte ihn weiter unter „Hagedorn Landmaschinenbau GmbH“. Hagedorn hatte
in der Kundschaft einen hervorragenden Ruf, deshalb war es für die
gesamte Branche überraschend, als 1992 der Standort und die Produktion
in Warendorf aufgegeben wurden.
Die
Fabrikgebäude wurden abgerissen und auf dem Gelände von Werk I entstand
ein neues Baugebiet mit Einfamilienhäusern. In Erinnerung an die so
erfolg-reiche Landmaschinenfabrik wurde eine Wohnstraße „Hagedorn-Weg“
genannt. An der Stelle von Werk II an der Niedinkstraße steht heute ein
Baumarkt.
Gebr. Hagedorn und Co, ca. 1920
Gebr. Hagedorn und Co, ca 1950
Die beiden Firmengründer Anton und Georg Hagedorn hatten acht
Schwestern und Brüder. Ihr jüngerer Bruder Bernhard (1889-1959)
studierte Theologie und wurde Pastor. In der Nazi-Zeit hielt er mutige
Predigten, ja er nahm kein Blatt vor den Mund. Dadurch gefährdete er
sich so sehr, dass er nach Brasilien auswanderte und dort Pfarrer der
Deutschen Katholischen Gemeinde in Rio de Janeiro wurde. Jedem Sommer
aber kam er in seine geliebte Heimatstadt Warendorf und wurde dort von
der Großfamilie herzlich aufgenommen. Es war ihm eine ganz besondere
Freude, jeden Morgen in der Marienkirche, seiner alten Pfarrkirche, eine
Hl. Messe zu feiern. Das war auch für den 3. Mai 1959 geplant, aber die
Gläubigen warteten vergeblich. Der eilig herbeigerufene Pfarrer Dierkes
fand Pastor Bernhard Hagedorn leblos der Sakristei. Auch der in der
wartenden Kirchengemeinde anwesende Arzt konnte nur seinen Tod
feststellen. So war Pfarrer Hagedorns Wunsch, eines Tages in seiner
geliebten Heimat zu sterben, in Erfüllung gegangen. Sein nicht
unbeträchtliches Vermögen vermachte er in Erinnerung an seine Schulzeit
am Gymnasium Laurentianum dem Verein „Alter Laurentianer“ – bis heute
eine wichtige Unterstützung für die Schule.
Gegenüber
der Familiengruft Hagedorn liegt Benno Hagedorn begraben. Er trat ja
nach dem Krieg zusammen mit seinem Vetter Hermann in die
Geschäftsführung der Landmaschinenfabrik Hagedorn ein und hat die Firma
bis zum Ende geführt. Benno bewohnte bis zu seinem Tode 1982 die von
seinem Vater, dem Firmengründer Georg Hagedorn erbaute Villa an der
Freckenhorster Straße 70. Heute ist die einstmals elegante Villa zu
einer Wohnanlage umgebaut. Benno Hagedorn war ein sehr enga-gierter
Warendorfer Bürger, der schon 1948 die „Christliche Sied-lungshilfe
Warendorf“ begründete und als langjähriger Vorsitzender vielen
Flüchtlingen zu Wohneigentum verhalf. Später machte er sich als rühriger
Vorsitzender des „Vereins Alter Laurentianer“ einen Namen.
Mechtild Wolff 2021
Quellen:
Festschrift: 50 Jahre Gebrüder Hagedorn & Co. Warendorf
1902-1952
Berichte von Zeitzeugen und aus Zeitungen
Johanna
Brinkhaus
Hermann Josef
Brinkhaus
Laurenz Schmedding
Franz Strumann
Wilhelm
Veltmann
Familie
Miele
Familie
Dr. Kaloff
Familie Hanewinkel
Die sogenannten
"Paters-Gräber"
Heinrich
Friederichs
Bürgermeisters Diederich
Familie Hagedorn
Familie Bispinck
Familie
Kottrup Westhoff
Heinrich
Windelen