Der "neue" Bahnhof Warendorf
Wenn meine Großmutter verreisen wollte, dann begann ihre Zugfahrt
am „Neuen Bahnhof“. Der wurde zwar schon 1902 erbaut, aber die Tatsache,
dass die Warendorfer ihren schönen „Alten Bahnhof“ schon nach 15 Jahren
wieder aufgeben mussten, war unvergessen.
Nun aber war der neue
Warendorfer Bahnhof ein Eisenbahnknotenpunkt mit Rangiergleis,
Verlade-Rampe, Unterführung und Lokschuppen. Man konnte nicht nur nach
Münster und Rheda Wiedenbrück fahren, sondern auch nach Freckenhorst,
Westkirchen, Ennigerloh und Neubeckum. Der Bahnanschluss war auch für
die kleinen Orte von entscheidender Bedeutung. So konnten z.B. die
Freckenhorster Webereien die fertigen Stoffballen direkt zum Bahnhof in
Freckenhorst bringen und Rohstoffe dort abholen. Nur das Expressgut
wurde nach wie vor mit Pferd und Wagen zum Güterbahnhof in Warendorf
gebracht. Ja, die ländliche Region war nun auch verkehrstechnisch an die
große, weite Welt angebunden. Geschäftliche Auslandbeziehungen bestanden
schon lange. Die Firma Kreimer in Freckenhorst exportierte schon zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts bis nach Amerika, die Firma Breede lieferte nach Shanghai und auch die Warendorfer
Weberei
Brinkhaus hatte viele Kunden im Ausland.
Sperriges Gut wurde von der
Landmaschinenfabrik Hagedorn und der Eisengießerei Amsbeck und der Firma
Bruch direkt am Güterbahnhof angeliefert und abgeholt.
Die Firma Hagedorn liefert Maschinenteile zum Bahnhof
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Friedel Niemeyer und Paul Perdun im Schalterraum |
Erst kurz vor Eintreffen des Zuges öffnete die Sperre, die von zwei uniformierten Bahnbeamtem besetzt war. Auf der einen Seite wurden die Fahrkarten der abfahrenden Reisenden kontrollierte und abgeknipst, auf der anderen die der ankommenden Fahrgäste entwertet. Natürlich wurde auch die Bahnsteigkarte abgeknipst, damit sie nicht ein zweites Mal verwendet werden konnte. Die Bahnsteigkarte war notwendig, wenn man jemanden zum Zug bringen wollte oder vom Zug abholen wollte. Es galt früher als unhöflich, einfach nur hinter der Sperre zu warten, man wollte ja auf dem Bahnhof mit dem Taschentuch winken.
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"Zurücktreten von der Bahnsteigkante, der Zug fährt ab" | 1950: Die Post wird aus dem Zug
in den Postkarren geladen |
Bei
Ankunft des Zuges suchten die Reisenden sich eiligst ein noch nicht so
belegtes Abteil in der 2. Klasse, auch
Holzklasse genannt, denn hier saß man auf ziemlich harten Holzbänken.
Die 1. Klasse mit den gepolsterten Sitzen leisteten sich nur sehr
wenige Reisende. Der letzte Waggon des Zuges war immer der Postwagen.
Sobald der Zug ankam wurden Briefe,
Päckchen und Pakete aus dem Postwaggon in den hölzernen Warendorfer
Postkarren umgeladen und die ausgehende Post wurde in den Zug
eingeladen. War alles fertig, konnte der Schaffner mit seiner
Trillerpfeife pfeifen und der Zug fuhr ab. Den Postkarren beförderten
dann drei Postbeamte zum nahe gelegenen Postamt - zwei zogen, einer
schob.
Otto Göcke
am Vorläufer
des Andreaskreuzes
Die Fahrt mit dem „Pängel-Anton“ war immer ein besonderes
Vergnügen. Seinen Namen hatte er wegen des dauernden Pängelns und Pfeifens auf der
Strecke, denn immer wenn am Trassenrand ein weißes Schild mit einem
schwarzen P (Pfeifen) erschien, musste der Lockführer das Fußpedal
betätigen und ein marker-schütternder Pfiff ertönte und warnte alle, die
sich an einem der zahllosen Bahnübergänge befanden. Das Andreaskreuz als
Warnung an einem unbeschrankten Bahnübergang war noch nicht erfunden,
aber das „Halt“- Schild erklärte die Gefahr ausführlich. Für die 26 km
bis Münster brauchte der Zug damals 85 Minuten, denn er fuhr höchstens
25 Stundenkilometer und musste an vielen Bahnhöfen anhalten, am
Klauenberg, in Raestrup, Telgte, Jägerhaus, Handorf und Mauritz und erst
dann erreichte der Zug in den Hauptbahnhof in Münster. Heute fährt der
Zug in 33 Minuten nach Münster und stoppt aber nur noch in Telgte und am
neuen Haltepunkt Müssingen. Das Problem der vielen unbeschrankten
Bahnübergänge ist immer noch nicht gelöst, sonst könnten die Züge bequem
alle halbe Stunde von Warendorf nach Münster fahren.
Der brennende Warendorfer Bahnhof
Der
Bahnhof brennt! So ging es am 13. Januar 1995 wie ein Lauffeuer durch
Warendorf. Hunderte Schaulustige beobachteten mit Grausen, wie ihr
kompletter Bahnhof ein Raub der Flammen wurde. Die Brandursache wurde
nie gänzlich geklärt, man geht aber von Brandstiftung in einer Halle des
Güterbahnhofs aus, in der die Inlettweberei Brinkhaus Federbetten
gelagert hatte. Der Brandschaden war so groß, dass der gesamte Bahnhof
abgerissen werden musste. Nun gab es nur noch einen Fahrplanaushang und
den Fahrkartenautomaten auf Bahnsteig. Wie gut, dass der Kiosk von Frau
Kirsch an der Ecke Wilhelmstraße nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dort können sich nach wie vor die Bahnfahrer ihre Zeitung und das
Brötchen kaufen und die neuesten Nachrichten des Tages hören. Einen
Vorteil hatten die Autofahrer.
Sie konnten nun direkt bis an den
Bahnsteig fahren und wenn sie Glück hatten, dort sogar parken. Ein
Dauerzustand aber sollte das leider nicht sein.
Viele Jahre lang forderten die Bürger: Warendorf braucht einen
neuen Bahnhof! Die Deutsche Bundesbahn wollte wohl den Warendorfer
Bahnhof in das „100 Bahnhöfe-Programm“ aufnehmen, das aber nur den Bau
eines Bahnhofs, nicht aber eines Bahnhofsgebäudes beinhaltete. Das
Bahnhofsgelände sollte verkauft werden. Die Stadt Warendorf suchte noch
eine Lösung, als die Bahn im Januar 2000 Fakten schaffte und das
Bahnhofsgelände an die h&w Immobilien aus Harsewinkel verkaufte. Die
planten auf dem Gelände ein Geschäfts- und Bürogebäude, evtl. auch ein
Ärztezentrum. Den Warendorfern wurde schnell klar, ein richtiges
Bahnhofsgebäude mit Fahrkartenschalter, Auskunft und Gaststätte wird es
wohl nicht mehr geben. In dem Bürogebäude sollte aber im unteren Bereich
ein Aufenthaltsraum mit Fahrplanaushang sein, wo man an einem
Fahrkartenautomaten seinen Fahrschein ziehen konnte.
Am
14. Dezember 2003 wurde dann der „neue Bahnhof“ eingeweiht. Er bestand
aus einem Bahnsteig, einer Unterführung, einem Fahrradparkhaus, einem
Parkplatz und einem großen Bahnhofsvorplatz. Da ein Aufzug für die
Unterführung zu teuer und vor allem zu störanfällig geworden wäre, wurde
ein zweiter Zugang an der Zumlohstraße gebaut. So waren beide Geleise
plangleich erreichbar.
Nun konnte der erste Zug in den neuen Bahnhof einfahren. Die
Deutsche Bahn hatte sich allerdings von dieser Nebenstrecke
verabschiedet, die „Nordwestbahn“ trat die Nachfolge an und präsentierte
der staunenden Bevölkerung einen eleganten, modernen Zug, ausgestattet
mit gepolsterten Sitzen mit Kopfhöreranschlüssen, Fahrkartenautomaten in
den Abteilen und großzügigen Fahrradplätzen. Ja, man konnte sich sogar
für 50 Cent an Getränkeautomaten heißen Kaffee und Tomaten- oder
Spargelsuppe kaufen. Fast geräuschlos schnurrte der Zug Richtung
Münster. Das war wirklich eine neue Bahn Ära. Der Güterverkehr wurde
allerdings ganz eingestellt.
Der Bahnhofsvorplatz wurde aufwändig und großzügig mit vielen
Lampen und einer Arkaden-Baumallee gestaltet, geplant vom Warendorfer
Architektur-Büro Klein/Riesenbeck. Das Bahnhofsgebäude aber wurde zu
einer unendlichen Geschichte. 2003 musste die Immobilienfirma h&w
Konkurs anmelden und auch all die nachfolgenden Investoren kamen zu dem
Schluss: Ein Bürogebäude am Bahnhof rechnet sich nicht! Noch heute
befindet sich neben dem Bahnsteig eine Rasenfläche - vielleicht Gott sei
Dank, denn wenn man sich hier ein dreistöckiges Gebäude vorstellt, dann
könnte das schon sehr beengend wirken.
Auf
den Bahnhofsvorplatz wurde 2009 nach der Auslobung des Wettbewerbs
„Kunst am Bahnhof“ ein Kunstwerk aufgestellt, getreu der Vorschrift „2%
der Bausumme für Kunst am Bau“. Die Jury entschied sich für das
Skulpturenensemble „Urbanes Baumzeichen“ des Beckumer Künstlers
Ulrich Möckel, eine 3,50m hohe Skulptur aus spiegelndem, poliertem
Edelstahl, die mit einer vierteiligen Sitzgruppe aus anthrazitfarbenen
Betonsteinen vor Heitmanns Geschäftshaus an der B64 korrespondiert. Die
Warendorfer Künstler waren nicht sehr begeistert, dass nicht ein
heimischer Künstler, z.B. Demir Demiroski mit seinem Sprinter oder Rolf
Pfand mit einem Warendorfer Schmiedekunstwerk zur künstlerischen
Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes beitragen durften.
Das war einmal unser Bahnhof
Mechtild Wolff
Quellen: Zeitzeugenberichte und eigene Erinnerungen
Werner Ströker: Geschichte(n) aus Warendorf
Presseberichte und Ratsprotokolle
Bilder: Archiv der Altstadtfreunde und Archiv
Wolff