Wir gehen zurück in das Jahr 1924, die Stadtverordnetenwahlen werfen ihre Schatten voraus.
Die Zentrumspartei hat sich mit anderen Parteien auf eine „Bürgerliche Verständigungsliste“ geeinigt. Die Kandidatenaufstellung erfolgt nach berufsständischen Gesichtspunkten, die Listenplätze sind schnell besetzt.
Auch die Warendorfer Frauen haben sich um einen Platz auf der Liste beworben..
Sie haben schon eine Frau gefunden, die „ das Opfer der Kandidatur“ auf sich nehmen will:
Clara Schmidt, geb. Willebrand, im ersten Lebensjahr mit den Eltern nach Warendorf gekommen und hier aufgewachsen, hat mit ihrem Mann, dem Oberlandesgerichtsrat Edmund Schmidt, lange in Karlsruhe gelebt und ist nach seinem Tode wieder in ihre alte Heimat zurückgekehrt. Nun ist sie die rührige und ideenreiche Vorsitzende des Kath. Frauenbundes in Warendorf. Bei den Zusammenkünften der Frauen werden auch politische Themen diskutiert, insbesondere Mädchenschulbildung, Jugendfürsorge, Volksbildung, Kino, Armenfürsorge, Betreuung der Wöchnerinnen und vieles mehr. Das neue Wohlfahrtsgesetz gibt den Städten neue Aufgaben. Dabei möchten die Frauen mitreden, denn „es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmer immer schärfer sieht, als hundert Augen der Mannspersonen!“
Die Frauen sind bescheiden, sie verlangen nur
einen einzigen Sitz im Stadtparlament, aber
keiner der Stände will auf seinen Sitz
verzichten - den Frauen wird eine Absage
erteilt. Doch die Warendorfer Frauen lassen
nicht locker und bestehen weiter darauf, einen
Platz auf der Liste zu bekommen. Als alles
Bitten vergebens ist, stellen sie eine eigene
Liste auf. So entsteht die erste und einzige
Frauenliste in Warendorf, mit 7 angesehenen
Bürgerfrauen als Kandidatinnen. Clara Schmidt
steht an der Spitze.
Sofort setzt eine rührige Propagandatätigkeit ein. Besprechungen und Versammlungen werden in Privatwohnungen abgehalten und diejenigen Frauen, die über genügend Zeit verfügen und redegewandt sind, gehen in den verschiedenen Stadtteilen und Bauernschaften von Haus zu Haus, um für die Frauenliste zu werben. Meistens werden sie freundlich aufgenommen - man bringt ihnen viel Verständnis entgegen. Es kommt aber auch vor, dass sie vom Hausherrn angeknurrt werden und zu hören bekommen: „Frauen gehören hinter die Kochpötte und sollen lieber auf ihre Kinder aufpassen!“
Druck erzeugt Gegendruck und je näher der Wahltag rückt, um so erhitzter entbrennt der Kampf. Der Stadtverordnetenvorsteher verkündet: „ Solange ich im Rathaus bin kommt kein Unterrock ins Stadtparlament!“
Je eifervoller die Frauen ihre Rechte verteidigen, um so
hartnäckiger werden die Männer.
„ Keine Frau soll ins Rathaus einziehen!“ Zur Bekräftigung dieses Schwurs legen drei Zecher 300 Mark unter ihre Altbierpötte, die sollen verwettet sein, falls ein Frauenzimmer ins Rathaus einzieht. Die Kunde von den mutigen Frauen in Warendorf verbreitet sich über ganz Deutschland. Die großen Zeitungen in Köln, Hannover oder Hamburg bringen lange Artikel mit den Schlagzeilen: „ Amazoneschlacht in Warendorf“, „Da werden Weiber zu Hyänen“,
„ Schmerz, laß nach!“, „ Frauen kämpfen um ihr Recht!“
Auch im Ausland machen die Warendorfer Frauen von sich reden. Ein Londoner Blatt titelt:
„ Wir beglückwünschen und grüßen die Warendorfer Suffragetten!“
Je näher die Wahl kommt, um so hitziger wird die Auseinandersetzung. Die letzten Tage und Nächte sind zermürbend und manche Frau bekommt Angst vor der eigenen Courage.
Flugblätter, auf denen die Frauen lächerlich gemacht werden, flattern in die Häuser und werden als Maueranschläge benutzt. Die Männer werden bedrängt, ihre Frauen an der Leine zu halten, was wiederum die Frauen herausfordert, zu erklären, sie seien Manns genug, mit ihrem Stimmzettel gegen die Männer zu kämpfen. Spottgedichte werden gemacht und vertont und mit Musikbegleitung und der dicken Trommel nächtens vor den Häusern der kandidierenden Frauen gesungen.
Endlich kommt der wichtige Tag, der 4. Mai 1924. Die Wahlbeteiligung ist überwältigend. Am Abend versammeln sich die interessierten Wähler im Kolpinghaus, um die Resultate aus den Wahlbezirken telefonisch in Empfang zu nehmen. Als unübersehbar wird, dass die Frauenliste viele Stimmen bekommen hat, werden die Gesichter der Gegner immer länger. Einer sagte, kreideweiß um die Nase: „ Ich glaube, die kriegen wahrhaftig eine drin!“
Ja, die Frauenliste bekommt 782 Stimmen und zieht mit 4 Frauen ins Stadtparlament:
Frau Clara Schmidt, Vorsitzende des Kath. Frauenbundes
Fräulein Johanna Schwarte, Jugendfürsorgerin
Frau Theresia Kemner, Webersfrau
Frau Frieda Schräder, Kaufmannsfrau
Die Verständigungsliste des Zentrums erringt 2406 Stimmen, das sind 12 Mandate,
die Sozialdemokraten bekommen mit 481 Stimmen 2 Mandate.
Auch nach Amtsantritt müssen sich die gewählten Frauen noch manche Demütigungen gefallen lassen. So wird in der ersten Ratsversammlung nur kurz beraten. Dann erklärt der Stadtverordnetenvorsteher: „Ich schließe hiermit die Versammlung und bitte die Herren, mit mir ins Nebenzimmer zu gehen.“ Die vier Frauen sind ausgeschlossen.
Als zu Fronleichnam die Frage akut wird: „Sollen die Frauen mit den männlichen Stadtverordneten bei der Prozession hinter dem Allerheiligsten hergehen?“ müssen sich die Frauen anhören: „ Frech genug wären die ja!“
Aber sie lassen sich nicht verblüffen, wer A gesagt hat, muss auch B sagen. Die Ratsherrinnen ziehen ihr Schwarzseidenes an und die weißen Glacéhandschuhe und mischten sich unter die Ratsherren. Das Aufsehen ist groß!
Als bei der Einführung des neuen Bürgermeisters und dem nachfolgenden Festessen der Oberpräsident Gronowski auf die vier Damen zugeht und sich angeregt mit ihnen unterhält und sogar eine der Damen zu Tisch führt, gewinnen die Frauen auch bei den Ratherren an Ansehen.
Die Gemüter beruhigen sich, die Spannung lässt nach und es kommt zu einer einträchtigen und nutzbringenden Zusammenarbeit im Rathaus und bei den nächsten Wahlen ist es eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen mit auf die Wahlliste kommen. Das ist beispielhaft für ganz Deutschland.
Clara Schmidt bleibt Stadtverordnete bis zum Jahr 1933, für die Nationalsozialisten stellt sie sich nicht zur Verfügung.
Sie lebt bis zu ihrem Tode 1949 in Warendorf an der Oststraße.
Bildquellen: Bild Clara Schmidt: Archiv Altstadtfreunde
Warendorf
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