Man
könnte auch sagen: 100 Jahre erfolgreicher Wahlkampf der politisch
engagierten Frauen in Warendorf oder plakativ ausgedrückt: 100 Jahre
Suffragetten in Warendorf. Es ist eine Erinnerung an die Pionierin Clara
Schmidt und eine Würdigung für sie und all ihre Mitstreiterinnen. Diese
mutigen Frauen fanden Beachtung in ganz Deutschland und sogar im
Ausland, denn es war der erste parlamentarische Erfolg einer
Frauenliste. Und all das kam aus dem kleinen Warendorf!!!
Die Galerie Heinrich Friederichs hier ist nicht nur ein
wunderschönes Ambiente, sondern auch ein Bürgerhaus, ein
Poalbürger-Haus, das viel Warendorfer Geschichte miterlebt hat. Ja, hier
hat vor 100 Jahren so manche Diskussion um die Frauenliste
stattgefunden, denn dieses Haus an der Oststraße 21 gehörte der
Rechtsanwaltsfamilie Enders. Dr. Josef Enders und später sein Sohn Theo
Enders und der Enkel Wolfram Enders hatten hier in den unteren Räumen
ihre Anwaltskanzlei und wohnten oben mit ihren Familien. Laura Enders
(1889-1964), die Frau des Seniors Dr. Josef Enders, war eine engagierte
und politisch interessierte Bürgerin, die das Herz auf dem rechten Fleck
hatte. Sie empörte sich 1924 sehr darüber, wie unfair die Frauen
behandelt wurden, für die „Frauenliste“ kandidierten. Darum unterstützte
sie diese mutigen Wahlkämpferinnen und machte auch Wahlkampf für die
Frauenliste. Natürlich kannte sie Clara Schmidt aus der Nachbarschaft
gut, ja sie war sogar weitläufig mit ihr verwandt. Viele Jahre später,
erst in den 1950er Jahren schrieb sie ihre Erinnerungen an diese
turbulente Zeit auf und veröffentlichte die schöne Geschichte „Die
Amazonenschlacht in Warendorf“ im Frauenbundheftchen. Dadurch ließ sie
einen
wichtigen und auch höchst amüsanten Teil der Warendorfer
Politik-Geschichte lebendig werden.
Dieses Heft übereignete Clara Schmidt ihrer Nichte Maria
Stieve, die 1944 ihre Nachfolgerin als Vorsitzende des Frauenbundes
geworden war. Die wiederum schenkte diese historische Dokumentation in
den 1960er Jahren ihre Nichte Margret Stieve, die nun Vorsitzende des
Frauenbundes war und mit meiner Mutter Eugenie Haunhorst zusammen eine
der wenigen Frauen im Rat der Stadt Warendorf war. Margret Stieve war
unverheiratet und kinderlos, darum übergab sie das Heft zu treuen Händen
an meine Mutter, die es dann mir vermachte. So kam ich an die vielen
authentischen Informationen zu Clara Schmidt und der „Frauenliste.“
Schön, dass Dr. Bernward Fahlbusch auch heute hier ist. Er hat uns dieses schöne Bild von Clara Schmidt zur Verfügung gestellt, denn auch er ist weitläufig verwandt mit Clara Schmidt und wird uns später mehr über die familie von Clara Schmidt und ihre Anbindung an das politische Geschehen in Preußen erzählen.
Nun aber zu Clara Schmidt und der Frauenliste
Ehe Frauen diese Rechte bekamen, mussten sie einen langen Kampf
kämpfen. Auch in Warendorf, ja, vielleicht gerade hier in Warendorf.
Warendorf war damals ein kleines Landstädtchen mit etwa 8000
Einwohnern, das in der Zeit der Leinenweberei seine Blütejahre erlebt
hatte. Ab 1830 aber konnte das Leinen billiger aus England gekauft
werde, weil es dort schon auf mechanischen Webstühlen gewebt wurde. Das
hatte zur Folge, dass die Warendorfer Weber nicht mehr von ihrem
Weberhandwerk leben konnten und sich auch hier Armut und Elend breit
machte. Erst als Hermann Josef Brinkhaus und Eduard Wiemann eine
mechanische Weberei eröffneten, gab es wieder Arbeitsplätze und viele
Menschen kamen in Lohn und Brot. Weitere Textilbetriebe siedelten sich
an und brachten Handel und Gewerbe wieder auf Schwung – jetzt
profitierten auch die Bäcker, Metzger, Schreiner und die vielen kleinen
Geschäfte. Warendorf wurde wieder zu einem geachteten Städtchen mit
einem soliden Wohlstand und geordneten Verhältnissen. Die Rangordnung in
der Gesellschaft war ja schon seit Generationen festgezurrt: Der Mann
war der Organisator des Lebens und verdiente das Geld, die Frau war
seine Hilfe, organisierte den Haushalt und sorgt für die Kinder. Sie
packte überall mit an.
X Es wurde von einer Frau erwartet, dass sie die Rolle der
Hausfrau und Mutter perfekt ausfüllte. Das war damals noch wesentlich
schwieriger, denn die Familien waren groß, acht Kinder waren keine
Seltenheit. Einen Haushalt zu führen war arbeitsintensiv und
zeitaufwändig. In Warendorf gab es erst seit 1907 fließendes Wasser und
erst seit 1920 versorgte das neue E-Werk die Stadthaushalte mit
elektrischem Strom. Endlich waren die Zeiten der Petroleum- und
Gaslampen vorbei, aber an eine Waschmaschine oder eine Spülmaschine war
noch nicht zu denken und ein Kühlschrank war ein unerreichbarer Luxus.
Außerdem war fast jeder Haushalt Selbstversorger. Obst, Gemüse
und Kartoffeln kamen aus dem eigenen Garten und die oft überreiche Ernte
musste in mühevoller Arbeit in Einmachgläsern eingekocht werden, damit
die Familie auch im Winter versorgt war. All das war unendlich viel
Arbeit, die von der Hausfrau, oft unter Mithilfe der Kinder, geleistet
werden musste. Diese Frauen konnten an außerhäusliches Engagement gar
nicht denken.
Anders war es schon bei den Geschäftsfrauen, deren Aufgabe es
war, die Arbeit ihres Mannes in jeglicher Hinsicht zu unterstützen. Bei
einem Ladengeschäft hieß das meistens, dass die Frau hinter der
Ladentheke stand, die Kunden bediente und für eine Wohlfühl-Atmosphäre
sorgte. Diese Frauen hörten schon mehr, was sich in Stadt und Land so
tat.
Welch ein großer Schritt nach vorne! Lange hatten engagierte
Frauen für das Frauenwahlrecht gekämpft. Schon 1843 wurde die
ungeheuerliche Forderung aufgestellt: „Die Teilnahme der Frauen an den
Interessen des Staates ist nicht nur ein Recht, es ist eine Pflicht!“
Das sollte damals aber mit aller Kraft verhindert werden, darum wurde
1850 in Preußen das Vereins- und Versammlungsgesetz erlassen, das
„Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern und Lehrlingen“ die
Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen untersagte.
Aus England hörte man, dass mutige Frauen sogar auf die Straße
gingen, um sich ihr Wahlrecht zu erkämpfen. Man nannte sie
„Suffragetten“, das war sehr wohl abwertend gemeint, obwohl „suffrage“
nichts anders heißt als Wahlrecht. X Diese Suffragetten, die meistens
aus der bürgerlichen Oberschicht kamen, erregten solch ein öffentliches
Ärgernis, dass einige von ihnen verhaftet und ins Gefängnis gesperrt
wurden. Aber der Zug war nicht mehr aufzuhalten und die Bevölkerung
jubelte den mutigen Frauen immer mehr zu.
1912 Frauen in Berlin kämpfen für das Wahlrecht
1902 hat dann das Preußische Abgeordnetenhaus den Frauen
erlaubt, an politischen Versammlungen teilzunehmen. Sie durften sich
allerdings nur im „Segment“ aufhalten, in einem mit einer Kordel
abgetrennten Bereich. Sie hatten kein Rederecht und durften auch
keinerlei Gemütsäußerungen kundtun. Erst 1908 wurden diese Verbote mit
dem Reichsvereinsgesetz aufgehoben. Nun konnten auch Frauen in
Deutschland politischen Vereinen und Parteien beitreten und sich dort
auch zu Wort melden. Endlich durften auch die Frauen ein politisch
denkendes Wesen sein, das mitbestimmen darf, was in der Gesellschaft
passiert.
Bis zum 1. Weltkrieg war es aber fast ausschließlich die SPD,
die Frauen in ihre Partei aufnahm. Das konservative Zentrum hielt sich
da noch sehr zurück. Und 1918 war es dann endlich so weit: Auch Frauen
bekamen das aktive und passive Wahlrecht.
Schon 1919 bei der ersten Wahl mit Frauenwahlrecht in Warendorf
wurde Anna Stoffers von der Lüningerstraße 9 in die
Stadtverordnetenversammlung gewählt. Als Beruf wurde Ehefrau angegeben.
Sie hatte auf der gemeinsamen Liste der Freien Gewerkschaften und der
SPD auf Listenplatz 2 kandidiert. Das ist schon sehr erstaunlich, denn
die SPD bekam nur zwei Plätze im Stadtparlament und hatte so auf Anhieb
50% Frauenanteil in ihrer Fraktion. Anna Stoffers blieb nur eine
Wahlperiode im Stadtparlament. Leider haben wir kein Bild von ihr und es
ist uns heute auch nichts Näheres über sie bekannt.
Mechtild Wolff
Quellen:
Leserbrief von Louise Otto in den „Sächsischen
Vaterlandsblättern“ von 1843
Hans Joachim Werner: Politisches Bewußtsein Warendorfer Frauen
1924