Erinnerungen an Clara Schmidt und die Frauenliste am 5. Mai 2024 um 15 Uhr
Galerie Heinrich Friederichs an der Oststraße 21
Eine Jubiläumsfeier des Heimatvereins zu „100 Jahre Frauenliste in Warendorf“.
von Mechtild Wolff

 

Man könnte auch sagen: 100 Jahre erfolgreicher Wahlkampf der politisch engagierten Frauen in Warendorf oder plakativ ausgedrückt: 100 Jahre Suffragetten in Warendorf. Es ist eine Erinnerung an die Pionierin Clara Schmidt und eine Würdigung für sie und all ihre Mitstreiterinnen. Diese mutigen Frauen fanden Beachtung in ganz Deutschland und sogar im Ausland, denn es war der erste parlamentarische Erfolg einer Frauenliste. Und all das kam aus dem kleinen Warendorf!!!

Die Galerie Heinrich Friederichs hier ist nicht nur ein wunderschönes Ambiente, sondern auch ein Bürgerhaus, ein Poalbürger-Haus, das viel Warendorfer Geschichte miterlebt hat. Ja, hier hat vor 100 Jahren so manche Diskussion um die Frauenliste stattgefunden, denn dieses Haus an der Oststraße 21 gehörte der Rechtsanwaltsfamilie Enders. Dr. Josef Enders und später sein Sohn Theo Enders und der Enkel Wolfram Enders hatten hier in den unteren Räumen ihre Anwaltskanzlei und wohnten oben mit ihren Familien. Laura Enders (1889-1964), die Frau des Seniors Dr. Josef Enders, war eine engagierte und politisch interessierte Bürgerin, die das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Sie empörte sich 1924 sehr darüber, wie unfair die Frauen behandelt wurden, für die „Frauenliste“ kandidierten. Darum unterstützte sie diese mutigen Wahlkämpferinnen und machte auch Wahlkampf für die Frauenliste. Natürlich kannte sie Clara Schmidt aus der Nachbarschaft gut, ja sie war sogar weitläufig mit ihr verwandt. Viele Jahre später, erst in den 1950er Jahren schrieb sie ihre Erinnerungen an diese turbulente Zeit auf und veröffentlichte die schöne Geschichte „Die Amazonenschlacht in Warendorf“ im Frauenbundheftchen. Dadurch ließ sie einen wichtigen und auch höchst amüsanten Teil der Warendorfer Politik-Geschichte lebendig werden. Ich bin auf Clara Schmidt und die Frauenliste durch dieses kleine Heft gestoßen, das ich eines Tages von meiner Mutter geschenkt bekam. Ein eher unscheinbares Schulheft, das es aber in sich hat, denn hier hat Clara Schmidt alle Zeitungsberichte des aufregenden Wahlkampfes von 1924 eingeklebt und hier hat sie ihre Kommentare aufgeschrieben.  „Sie nannte es selbst: „Dokumente zur Stadtverordnetenwahl in Warendorf im Jahre des Heils 1924 am 4. Mai.“

Dieses Heft übereignete Clara Schmidt ihrer Nichte Maria Stieve, die 1944 ihre Nachfolgerin als Vorsitzende des Frauenbundes geworden war. Die wiederum schenkte diese historische Dokumentation in den 1960er Jahren ihre Nichte Margret Stieve, die nun Vorsitzende des Frauenbundes war und mit meiner Mutter Eugenie Haunhorst zusammen eine der wenigen Frauen im Rat der Stadt Warendorf war. Margret Stieve war unverheiratet und kinderlos, darum übergab sie das Heft zu treuen Händen an meine Mutter, die es dann mir vermachte. So kam ich an die vielen authentischen Informationen zu Clara Schmidt und der „Frauenliste.“

Schön, dass Dr. Bernward Fahlbusch auch heute hier ist. Er hat uns dieses schöne Bild von Clara Schmidt zur Verfügung gestellt, denn auch er ist weitläufig verwandt mit Clara Schmidt und wird uns später mehr über die familie von Clara Schmidt und ihre Anbindung an das politische Geschehen in Preußen erzählen.

 

Nun aber zu Clara Schmidt und der Frauenliste

Was war denn die Frauenliste und warum war sie solch eine politische Sensation?

Die Zeiten damals Anfang des 20. Jahrhunderts sind mit der heutigen Zeit nicht vergleichbar. Heute ist es normal, dass Frauen sich in der Politik engagieren, dass Frauen in der Politik Führungspositionen einnehmen, dass Frauen Bürgermeisterinnen, Ministerpräsidentinnen  und  Ministerinnen und sogar Bundeskanzlerin werden.

Ehe Frauen diese Rechte bekamen, mussten sie einen langen Kampf kämpfen. Auch in Warendorf, ja, vielleicht gerade hier in Warendorf.


Warendorf war damals ein kleines Landstädtchen mit etwa 8000 Einwohnern, das in der Zeit der Leinenweberei seine Blütejahre erlebt hatte. Ab 1830 aber konnte das Leinen billiger aus England gekauft werde, weil es dort schon auf mechanischen Webstühlen gewebt wurde. Das hatte zur Folge, dass die Warendorfer Weber nicht mehr von ihrem Weberhandwerk leben konnten und sich auch hier Armut und Elend breit machte. Erst als Hermann Josef Brinkhaus und Eduard Wiemann eine mechanische Weberei eröffneten, gab es wieder Arbeitsplätze und viele Menschen kamen in Lohn und Brot. Weitere Textilbetriebe siedelten sich an und brachten Handel und Gewerbe wieder auf Schwung – jetzt profitierten auch die Bäcker, Metzger, Schreiner und die vielen kleinen Geschäfte. Warendorf wurde wieder zu einem geachteten Städtchen mit einem soliden Wohlstand und geordneten Verhältnissen. Die Rangordnung in der Gesellschaft war ja schon seit Generationen festgezurrt: Der Mann war der Organisator des Lebens und verdiente das Geld, die Frau war seine Hilfe, organisierte den Haushalt und sorgt für die Kinder. Sie packte überall mit an.   

X Es wurde von einer Frau erwartet, dass sie die Rolle der Hausfrau und Mutter perfekt ausfüllte. Das war damals noch wesentlich schwieriger, denn die Familien waren groß, acht Kinder waren keine Seltenheit. Einen Haushalt zu führen war arbeitsintensiv und zeitaufwändig. In Warendorf gab es erst seit 1907 fließendes Wasser und erst seit 1920 versorgte das neue E-Werk die Stadthaushalte mit elektrischem Strom. Endlich waren die Zeiten der Petroleum- und Gaslampen vorbei, aber an eine Waschmaschine oder eine Spülmaschine war noch nicht zu denken und ein Kühlschrank war ein unerreichbarer Luxus.

Außerdem war fast jeder Haushalt Selbstversorger. Obst, Gemüse und Kartoffeln kamen aus dem eigenen Garten und die oft überreiche Ernte musste in mühevoller Arbeit in Einmachgläsern eingekocht werden, damit die Familie auch im Winter versorgt war. All das war unendlich viel Arbeit, die von der Hausfrau, oft unter Mithilfe der Kinder, geleistet werden musste. Diese Frauen konnten an außerhäusliches Engagement gar nicht denken.

Anders war es schon bei den Geschäftsfrauen, deren Aufgabe es war, die Arbeit ihres Mannes in jeglicher Hinsicht zu unterstützen. Bei einem Ladengeschäft hieß das meistens, dass die Frau hinter der Ladentheke stand, die Kunden bediente und für eine Wohlfühl-Atmosphäre sorgte. Diese Frauen hörten schon mehr, was sich in Stadt und Land so tat.

 

Ja, und 1918 durften die Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen. Das war bislang reine Männersache gewesen und bei den ersten Wahlen war es nicht ungewöhnlich, dass Frauen sich dem anschlossen, was ihre Ehemänner wählten. Aber mehr und mehr fühlten sie sich mitverantwortlich und begannen, sich für die Probleme in Stadt und Land zu interessieren. Ja, auch Frauen diskutierten über Politik.  Schon seit 1902 gab es den Kath. Deutschen Frauenbund, der Vorträge und Diskussionsrunden organisierte. Im geschützten Raum sozusagen, konnten sich hier die Frauen treffen, bekamen ein politisches Grundwissen vermittelt und konnten sich mit aktuellen politischen und sozialen Themen vertraut machen. Hier fanden auch unverheiratete Frauen, die ihren eigenen Beruf hatten, ein anregendes Umfeld.

x So war es mit dem Ende des 1. Weltkrieges und mit dem Ende des Kaiserreiches und der Ausrufung der Republik ein ganz großes Ereignis, als am 30. November 1918 das Reichswahlgesetz in Kraft trat. Es sah das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen vor – ja, es verschaffte auch den Frauen das aktive und passive Wahlrecht.

Welch ein großer Schritt nach vorne! Lange hatten engagierte Frauen für das Frauenwahlrecht gekämpft. Schon 1843 wurde  die ungeheuerliche Forderung aufgestellt: „Die Teilnahme der Frauen an den Interessen des Staates ist nicht nur ein Recht, es ist eine Pflicht!“ Das sollte damals aber mit aller Kraft verhindert werden, darum wurde 1850 in Preußen das Vereins- und Versammlungsgesetz erlassen, das „Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern und Lehrlingen“ die Mitgliedschaft in politischen Vereinigungen untersagte.

 

Aus England hörte man, dass mutige Frauen sogar auf die Straße gingen, um sich ihr Wahlrecht zu erkämpfen. Man nannte sie „Suffragetten“, das war sehr wohl abwertend gemeint, obwohl „suffrage“ nichts anders heißt als Wahlrecht. X Diese Suffragetten, die meistens aus der bürgerlichen Oberschicht kamen, erregten solch ein öffentliches Ärgernis, dass einige von ihnen verhaftet und ins Gefängnis gesperrt wurden. Aber der Zug war nicht mehr aufzuhalten und die Bevölkerung jubelte den mutigen Frauen immer mehr zu.

Dieser Protest der „Suffragetten“ in England erregte auch in Deutschland großes Aufsehen. Aber durfte eine „ehrbare deutsche Frau, die was auf sich hielt“, auf die Straße gehen und lautstark ihre Rechte einzufordern? Das schickte sich doch nicht!!!.  Es dauerte noch einige Zeit, bis weitblickende Frauen den Mut und den Kampfgeist aufbrachten, für das Frauenwahlrecht zu kämpften. Sie wussten ja ganz genau, dass sie nicht mit der Unterstützung der Männer, schon gar nicht der eigenen Ehemänner, rechnen durften. Sie waren ganz auf sich allein gestellt - daran waren die meisten Frauen nun wirklich nicht gewöhnt. Die Verantwortung für Gesellschaft hatte bislang allein bei den Männern gelegen.

x Dann aber wagten es in Berlin doch mutige Frauen, eine Demonstration für das Frauenwahlrecht zu organisieren. Sie waren nicht tollkühn, sie griffen nicht zu drastischen Mitteln und mussten trotzdem viel Hohn und Spott und Unverständnis über sich ergehen lassen.


1912 Frauen in Berlin kämpfen für das Wahlrecht

1902 hat dann das Preußische Abgeordnetenhaus den Frauen erlaubt, an politischen Versammlungen teilzunehmen. Sie durften sich allerdings nur im „Segment“ aufhalten, in einem mit einer Kordel abgetrennten Bereich. Sie hatten kein Rederecht und durften auch keinerlei Gemütsäußerungen kundtun. Erst 1908 wurden diese Verbote mit dem Reichsvereinsgesetz aufgehoben. Nun konnten auch Frauen in Deutschland politischen Vereinen und Parteien beitreten und sich dort auch zu Wort melden. Endlich durften auch die Frauen ein politisch denkendes Wesen sein, das mitbestimmen darf, was in der Gesellschaft passiert.

Bis zum 1. Weltkrieg war es aber fast ausschließlich die SPD, die Frauen in ihre Partei aufnahm. Das konservative Zentrum hielt sich da noch sehr zurück. Und 1918 war es dann endlich so weit: Auch Frauen bekamen das aktive und passive Wahlrecht.

Schon 1919 bei der ersten Wahl mit Frauenwahlrecht in Warendorf wurde Anna Stoffers von der Lüningerstraße 9 in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Als Beruf wurde Ehefrau angegeben. Sie hatte auf der gemeinsamen Liste der Freien Gewerkschaften und der SPD auf Listenplatz 2 kandidiert. Das ist schon sehr erstaunlich, denn die SPD bekam nur zwei Plätze im Stadtparlament und hatte so auf Anhieb 50% Frauenanteil in ihrer Fraktion. Anna Stoffers blieb nur eine Wahlperiode im Stadtparlament. Leider haben wir kein Bild von ihr und es ist uns heute auch nichts Näheres über sie bekannt.

 

Mechtild Wolff

 

Quellen:

Leserbrief von Louise Otto in den „Sächsischen Vaterlandsblättern“ von 1843

Hans Joachim Werner: Politisches Bewußtsein Warendorfer Frauen 1924

 

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