Aus Anlass des Denkmaltages am 8. 9. 2024:
Motto: "Wahrzeichen - Zeitzeugen der Geschichte"
Der Warendorfer Bürger-Schützenhof – eine Erfolgsgeschichte mit traurigem Ende
von Mechtild Wolff (7. 9. 2024)

 

An der Chaussee nach Münster wurde 1872 der neue Bürger-Schützenhof gebaut – bislang hatten die Bürgerschützen ihr alljährliches Schützenfest im heutigen „Alten Schützenhof“ bei Beermann an der Landstraße nach Freckenhorst gefeiert. Jetzt war er zu klein geworden. Die Bürgerschützen brachten insgesamt 6000 Taler für den Bau des neuen Vereinslokals auf. Das Geld wurde zum großen Teil durch den Verkauf von Bürgeraktien eingeworben. 750 Taler mussten allein für den Ankauf des Baugrundes auf Kalthoffs drei Morgen großem Acker auf dem Münsterfeld aufgewendet werden. Ende November 1871 erhielt der Entwurf des Bauunternehmers Carle´ den Zuschlag, der sich verpflichten musste, in höchstens vier Monaten den gesamten Gebäudekomplex fertigzustellen. Alle Schützenbrüder packten mit an und leisteten unentbehrliche Mithilfe – der Bürger-Schützenhof sollte ein steinernes Zeugnis von Bürgersinn und Tatkraft werden.

Und es gelang – trotz vieler Unkenrufe! Pünktlich zum 1. Juli 1872 übergaben die beiden Bauunternehmer Th. Carle´ und B. Niemer den zweistöckigen Bürgerhof mit der großen Halle an die Bürgerschützen und das fulminante Einweihungsfest konnte gefeiert werden. In seiner Festrede betonte der Schütze und Schriftführer Wewer, dass die neue Festhalle mit der gemütlichen Gaststätte nun ein Ort sei, „wo der Bürger nach heißen Stunden mühevoller Arbeit sich ausruhen und erholen kann, wo der Freund dem Freunde seine tiefsten Herzensfalten aufdeckt, in Freud und Leid Teilnahme findet, wo neue Freundschaftsbande geknüpft werden und wo die gesamte Bürgerschaft jährlich freie, frohe Feste feiern soll.“

Die Einweihungsfeierlichkeiten mit dem Festkonzert und einem eleganten Festball wurden ein großer Erfolg. Allein 422 Flaschen Wein konnten verkauft werden und der Reinerlös des Festes von 350 Talern minderte den Schuldenberg.

 

 

Zu dem repräsentativen Gebäude mit der anschließenden Halle gehörte der Schützenpark mit der Vogelstange, denn ein Schützenfest ist immer ein Fest der ganzen Familie, die mit Spannung das Königsschießen verfolgte. Für die erste Anlage des Schützenparks 1872 brachten die Schützenbrüder Sträucher und Bäumchen aus ihrem eigenen Garten mit, bis sie dann 1895 genügend Geld hatten, um den Schützenpark mit den Bäumen und Sträuchern zu bepflanzen, die heute noch den Park ausmachen.

Hier im Bürger-Schützenhof und im Schützenpark wurde über 100 Jahre lang das jährliche Bürgerschützenfest gefeiert. Außerdem stand er für Festveranstaltungen, Betriebsfeste, fröhliche Tanzveranstaltungen, Karnevalsfeste, später für die alljährliche Prinzenproklamation, Abiturfeiern, große Konzerte und Musicals und vielfältige Ausstellungen zur Verfügung. Ja, der Schützenhof war das wichtigste Kulturzentrum Warendorfs.


Als 1970 die notwendige Sanierung der Halle die Finanzen des Bürgerschützenvereins überforderten, verkaufte der Verein den Bürgerhof an den Möbelkreis und wanderte mit dem Schützenfest 1983 in ein Festzelt im Emspark. Die Veranstaltungshalle und die Gastwirtschaft wurden weiter betrieben. Viele Großveranstaltungen fanden weiterhin statt.

1994 verkaufte der Möbelkreis den Bürgerhof an die Bürgerhof Warendorf GmbH (Herr Refradt und Herr Runde). Ziel war es damals, den Bürgern eine repräsentative Veranstaltungshalle mit Restauration zur Verfügung zu stellen. Die Käufer beabsichtigten, baldmöglichst ein Hotel anzugliedert. Der Gesamtkomplex sollte ein überregionaler Anziehungspunkt werden. Die Umbaukosten für die Halle und die Sanierung des Restaurants, sowie die laufende Unterhaltung mussten komplett vom neuen Besitzer geleistet werden. Da es aber unmöglich war, eine öffentliche Veranstaltungshalle kostendeckend zu betreiben, bekamen die Erwerber einen Investitionszuschuss von 3 Mio DM  von der Stadt, verteilt auf 10 Jahre (25.000 DM, später 12.500 € pro Monat). Bedingung: Der Saal musste für Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Die Stadt hatte ein Belegungsrecht für 10 unentgeldliche Veranstaltungen pro Jahr. Dieses Public-Privat-Partnership sollte die Belastungen für die Stadt möglichst gering halten. Als Kosten-Vergleich wurde immer die Stadthalle Ahlen angeführt, deren Bau 8 Mio. DM gekostet hatte und jährliche  Betriebskosten von 1,5 Mio. DM verursachte. Das konnte und wollte die Stadt Warendorf sich nicht leisten.

Der Bürgerhof aber blieb ein Sorgenkind. Die Bürgerhof GmbH hatte permanente Geldprobleme, der innovative Eigentümer kam mit dem Gesetz in Konflikt und landete im Gefängnis, was zur Folge hatte, dass das Management zu wünschen übrig ließ. Die Politik tat das Ihre dazu, indem die Parteien, die nicht hinter dem Bürgerhof-Konzept standen, keine Gelegenheit ausließen, den Bürgerhof mit „Pleiten, Pech und Pannen“ zu charakterisieren. Bei jeder Haushaltsplan-Beratung führte der jährliche Zuschuss von 125.000 € zu endlosen Diskussionen.

Trotzdem gab es bis 2004 eine Vielzahl von Veranstaltungen: Silvesterbälle, Karnevalsveranstaltungen, Diskos für Jugendliche, Neujahrskonzerte und viele andere Konzerte, Violinwettbewerbe, Abi-Bälle, Antikmärkte, Reichenbacher Treffen, Tagungen der Reiter, der Versicherungen und Banken, Jäger und der Bauern, Firmenveranstaltungen, Tanzwettbewerbe, Reptilienschauen und in den letzten Jahren große türkische, russische, tamilische, afghanische Hochzeiten und Familienfeste. Das gesetzte Ziel, durch die Stadthalle ein pulsierendes Kulturleben mit großen Veranstaltungen von überregionaler Bedeutung nach Warendorf zu holen, wurde nur eingeschränkt erreicht.

Im Februar 2000 musste die Bürgerhof Warendorf GmbH Insolvenz anmelden. Der Pächter Avalon betrieb die Feierhalle trotzdem weiter. Die Nord-LB als Hauptgläubiger suchte nun einen Käufer, was sich sehr schwierig gestaltete. Im Dezember 2004 wurde der letzte städtische Zuschuss gezahlt. Die Stadt hatte unverändert ein hohes Interesse daran, dass der Bürgerhof auch weiterhin als Stadthalle geführt wurde. Darum wurde grundbuchlich eine Zweckbindung als Verstaltungshalle für 30 Jahre  festgelegt. Nun unterbreitete Richard Henschen der Nord-LB ein Kaufangebot. „Der Bürgerhof darf kein Spekulationsobjekt werden! Warendorf und sein Umfeld soll zum Tagungsort werden. Der Bürgerhof soll zu einer ausgewiesenen Tagungsstätte mit qualifizierter Gastronomie umgebaut werden, denn die 40.000 Mitglieder des Verbandes der Versicherungsvertreter haben einen hohen Tagungsbedarf.“, so berichtet die Glocke am 3.12.2004.

 

2005 erwarb Richard Henschen den Bürgerhof für 400.000€. Er „will es nicht für sich, sondern für die Gemeinschaft tun!“ Renovierungsarbeiten wurden im neuen Congress-Zentrum in Angriff genommen und einige schöne Veranstaltungen fanden in der recht ansehnlichen Halle statt. Dann änderte der Besitzer aber seine Prioritäten, die Saalmiete wurde unerschwinglich hoch und jeder Kratzer auf dem Fußboden und jede zerbrochene Scheibe erzeugte unerfreuliche Diskussionen. Veranstaltungen kamen nicht mehr zu Stande, sogar die Karnevalisten zogen mit ihren jährlichen Festen in eine Tennishalle. Eine Restauration gab es auch nicht mehr. Der Bürgerhof war tot.

2009 erwirkte Richard Henschen mit seiner Schadenersatzklage, in der er die Rechtmäßigkeit der Zweckbestimmung als Veranstaltungshalle beim OLG Hamm anzweifelte, dass der Rat am 24.6.2009 dem angebotenen Vergleich mehrheitlich zustimmte (24 ja, 17 nein). Gegen eine Zahlung von 50.000 € wurde die Zweckbindung als Veranstaltungshalle aus dem Grundbuch gestrichen. Nun musste der Besitzer dieser Immobilie keine Veranstaltungshalle mehr vorhalten, Warendorf hatte seine Bürgerhalle aufgegeben!!! 2011 verkaufte Richard Henschen das Bürgerhofareal für 700.000€ an das Unternehmen Klass und Kock in Gronau. Der Rat der Stadt Warendorf ändert den  Bebauungsplan, damit der Bürgerhof abgerissen, der Schützenpark durch das Fällen alter Bäume verkleinert werden konnte und die Firma K&K einen Supermarkt bauen konnte.

 

Dieser Beschluss wurde von vielen Warendorfer Bürgern mit Unverständniss, ja mit Entsetzen wahrgenommen. Eine Flut von Leserbriefen erschien in der Presse und bei den Protestkundgebungen des Heimatvereins wurde immer wieder deutlich, dass unsere Stadt dringend eine Stadthalle braucht, aber keinen Notstand bei Lebensmittelmärkten hat, denn direkt gegenüber befindet sich der Marktkauf, ein großflächiger Vollversorger mit überregionaler Bedeutung. Die Proteste wurden zwar gehört, aber konnten kein Umdenken in Politik und Verwaltung bewirken. Der historische Bürger-Schützenhof mit der großen Feierhalle wurde abgerissen und durch einen Supermarkt ersetzt.

Nun bestimmen gewerbliche Zweckbauten den ersten Eindruck, den der Autofahrer am westlichen Ortseingang von unserer Stadt bekommt - nichts, was uns von anderen Städten unterscheidet. Wie schön wäre es gewesen, wenn aus dem 1872 erbauten Bürger-Schützenhof ein städtebauliches Schmuckstück gemacht worden wäre, um die Neugierde der Autofahrer zu wecken auf die historische Stadt Warendorf.


Ein Beispiel, wie es in anderen Städten gemacht wird

 

Mechtild Wolff

 

 

 

 

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