An der Chaussee nach Münster wurde 1872 der neue
Bürger-Schützenhof gebaut – bislang hatten die Bürgerschützen ihr
alljährliches Schützenfest im heutigen „Alten Schützenhof“ bei Beermann
an der Landstraße nach Freckenhorst gefeiert. Jetzt war er zu klein
geworden. Die Bürgerschützen brachten insgesamt 6000 Taler für den Bau
des neuen Vereinslokals auf. Das Geld wurde zum großen Teil durch den
Verkauf von Bürgeraktien eingeworben. 750 Taler mussten allein für den
Ankauf des Baugrundes auf Kalthoffs drei Morgen großem Acker auf dem
Münsterfeld aufgewendet werden. Ende November 1871 erhielt der Entwurf
des Bauunternehmers Carle´ den Zuschlag, der sich verpflichten musste,
in höchstens vier Monaten den gesamten Gebäudekomplex fertigzustellen.
Alle Schützenbrüder packten mit an und leisteten unentbehrliche Mithilfe
– der Bürger-Schützenhof sollte ein steinernes Zeugnis von Bürgersinn
und Tatkraft werden.
Und es gelang – trotz vieler Unkenrufe! Pünktlich zum 1. Juli
1872 übergaben die beiden Bauunternehmer Th. Carle´ und B. Niemer den
zweistöckigen Bürgerhof mit der großen Halle an die Bürgerschützen und
das fulminante Einweihungsfest konnte gefeiert werden. In seiner
Festrede betonte der Schütze und Schriftführer Wewer, dass die neue
Festhalle mit der gemütlichen Gaststätte nun ein Ort sei, „wo der Bürger
nach heißen Stunden mühevoller Arbeit sich ausruhen und erholen kann, wo
der Freund dem Freunde seine tiefsten Herzensfalten aufdeckt, in Freud
und Leid Teilnahme findet, wo neue Freundschaftsbande geknüpft werden
und wo die gesamte Bürgerschaft jährlich freie, frohe Feste feiern
soll.“
Die Einweihungsfeierlichkeiten mit dem Festkonzert und einem
eleganten Festball wurden ein großer Erfolg. Allein 422 Flaschen Wein
konnten verkauft werden und der Reinerlös des Festes von 350 Talern
minderte den Schuldenberg.
Zu dem repräsentativen Gebäude mit der anschließenden Halle
gehörte der Schützenpark mit der Vogelstange, denn ein Schützenfest ist
immer ein Fest der ganzen Familie, die mit Spannung das Königsschießen
verfolgte. Für die erste Anlage des Schützenparks 1872 brachten die
Schützenbrüder Sträucher und Bäumchen aus ihrem eigenen Garten mit, bis
sie dann 1895 genügend Geld hatten, um den Schützenpark mit den Bäumen
und Sträuchern zu bepflanzen, die heute noch den Park ausmachen.
Hier im Bürger-Schützenhof und im Schützenpark wurde über 100
Jahre lang das jährliche Bürgerschützenfest gefeiert. Außerdem stand er
für Festveranstaltungen, Betriebsfeste, fröhliche Tanzveranstaltungen,
Karnevalsfeste, später für die alljährliche Prinzenproklamation,
Abiturfeiern, große Konzerte und Musicals und vielfältige Ausstellungen
zur Verfügung. Ja, der Schützenhof war das wichtigste Kulturzentrum
Warendorfs.
Als 1970 die notwendige Sanierung der Halle die Finanzen des
Bürgerschützenvereins überforderten, verkaufte der Verein den Bürgerhof
an den Möbelkreis und wanderte mit dem Schützenfest 1983 in ein Festzelt
im Emspark. Die Veranstaltungshalle und die Gastwirtschaft wurden weiter
betrieben. Viele Großveranstaltungen fanden weiterhin statt.
1994 verkaufte der Möbelkreis den Bürgerhof an die Bürgerhof
Warendorf GmbH (Herr Refradt und Herr Runde). Ziel war es damals, den
Bürgern eine repräsentative Veranstaltungshalle mit Restauration zur
Verfügung zu stellen. Die Käufer beabsichtigten, baldmöglichst ein Hotel
anzugliedert. Der Gesamtkomplex sollte ein überregionaler
Anziehungspunkt werden. Die Umbaukosten für die Halle und die Sanierung
des Restaurants, sowie die laufende Unterhaltung mussten komplett vom
neuen Besitzer geleistet werden. Da es aber unmöglich war, eine
öffentliche Veranstaltungshalle kostendeckend zu betreiben, bekamen die
Erwerber einen Investitionszuschuss von 3 Mio DM von der Stadt,
verteilt auf 10 Jahre (25.000 DM, später 12.500 € pro Monat). Bedingung:
Der Saal musste für Veranstaltungen zur Verfügung stehen. Die Stadt
hatte ein Belegungsrecht für 10 unentgeldliche Veranstaltungen pro Jahr.
Dieses Public-Privat-Partnership sollte die Belastungen für die Stadt
möglichst gering halten. Als Kosten-Vergleich wurde immer die Stadthalle
Ahlen angeführt, deren Bau 8 Mio. DM gekostet hatte und jährliche
Betriebskosten von 1,5 Mio. DM verursachte. Das konnte und wollte die
Stadt Warendorf sich nicht leisten.
Der Bürgerhof aber blieb ein Sorgenkind. Die Bürgerhof GmbH
hatte permanente Geldprobleme, der innovative Eigentümer kam mit dem
Gesetz in Konflikt und landete im Gefängnis, was zur Folge hatte, dass
das Management zu wünschen übrig ließ. Die Politik tat das Ihre dazu,
indem die Parteien, die nicht hinter dem Bürgerhof-Konzept standen,
keine Gelegenheit ausließen, den Bürgerhof mit „Pleiten, Pech und
Pannen“ zu charakterisieren. Bei jeder Haushaltsplan-Beratung führte der
jährliche Zuschuss von 125.000 € zu endlosen Diskussionen.
Trotzdem gab es bis 2004 eine Vielzahl von Veranstaltungen:
Silvesterbälle, Karnevalsveranstaltungen, Diskos für Jugendliche,
Neujahrskonzerte und viele andere Konzerte, Violinwettbewerbe,
Abi-Bälle, Antikmärkte, Reichenbacher Treffen, Tagungen der Reiter, der
Versicherungen und Banken, Jäger und der Bauern, Firmenveranstaltungen,
Tanzwettbewerbe, Reptilienschauen und in den letzten Jahren große
türkische, russische, tamilische, afghanische Hochzeiten und
Familienfeste. Das gesetzte Ziel, durch die Stadthalle ein pulsierendes
Kulturleben mit großen Veranstaltungen von überregionaler Bedeutung nach
Warendorf zu holen, wurde nur eingeschränkt erreicht.
Im Februar 2000 musste die Bürgerhof Warendorf GmbH Insolvenz
anmelden. Der Pächter Avalon betrieb die Feierhalle trotzdem weiter. Die
Nord-LB als Hauptgläubiger suchte nun einen Käufer, was sich sehr
schwierig gestaltete. Im Dezember 2004 wurde der letzte städtische
Zuschuss gezahlt. Die Stadt hatte unverändert ein hohes Interesse daran,
dass der Bürgerhof auch weiterhin als Stadthalle geführt wurde. Darum
wurde grundbuchlich eine Zweckbindung als Verstaltungshalle für 30 Jahre
festgelegt. Nun unterbreitete Richard Henschen der Nord-LB ein
Kaufangebot. „Der Bürgerhof darf kein Spekulationsobjekt werden!
Warendorf und sein Umfeld soll zum Tagungsort werden. Der Bürgerhof soll
zu einer ausgewiesenen Tagungsstätte mit qualifizierter Gastronomie
umgebaut werden, denn die 40.000 Mitglieder des Verbandes der
Versicherungsvertreter haben einen hohen Tagungsbedarf.“, so berichtet
die Glocke am 3.12.2004.
2005 erwarb Richard Henschen den Bürgerhof für 400.000€. Er
„will es nicht für sich, sondern für die Gemeinschaft tun!“
Renovierungsarbeiten wurden im neuen Congress-Zentrum in Angriff
genommen und einige schöne Veranstaltungen fanden in der recht
ansehnlichen Halle statt. Dann änderte der Besitzer aber seine
Prioritäten, die Saalmiete wurde unerschwinglich hoch und jeder Kratzer
auf dem Fußboden und jede zerbrochene Scheibe erzeugte unerfreuliche
Diskussionen. Veranstaltungen kamen nicht mehr zu Stande, sogar die
Karnevalisten zogen mit ihren jährlichen Festen in eine Tennishalle.
Eine Restauration gab es auch nicht mehr. Der Bürgerhof war tot.
2009 erwirkte Richard Henschen mit seiner Schadenersatzklage, in der er die Rechtmäßigkeit der Zweckbestimmung als Veranstaltungshalle beim OLG Hamm anzweifelte, dass der Rat am 24.6.2009 dem angebotenen Vergleich mehrheitlich zustimmte (24 ja, 17 nein). Gegen eine Zahlung von 50.000 € wurde die Zweckbindung als Veranstaltungshalle aus dem Grundbuch gestrichen. Nun musste der Besitzer dieser Immobilie keine Veranstaltungshalle mehr vorhalten, Warendorf hatte seine Bürgerhalle aufgegeben!!! 2011 verkaufte Richard Henschen das Bürgerhofareal für 700.000€ an das Unternehmen Klass und Kock in Gronau. Der Rat der Stadt Warendorf ändert den Bebauungsplan, damit der Bürgerhof abgerissen, der Schützenpark durch das Fällen alter Bäume verkleinert werden konnte und die Firma K&K einen Supermarkt bauen konnte.
Dieser Beschluss wurde von vielen Warendorfer Bürgern mit
Unverständniss, ja mit Entsetzen wahrgenommen. Eine Flut von
Leserbriefen erschien in der Presse und bei den Protestkundgebungen des
Heimatvereins wurde immer wieder deutlich, dass unsere Stadt dringend
eine Stadthalle braucht, aber keinen Notstand bei Lebensmittelmärkten
hat, denn direkt gegenüber befindet sich der
Marktkauf, ein großflächiger Vollversorger mit überregionaler
Bedeutung. Die Proteste wurden zwar gehört, aber konnten kein Umdenken
in Politik und Verwaltung bewirken. Der historische Bürger-Schützenhof
mit der großen Feierhalle wurde abgerissen und durch einen Supermarkt
ersetzt.
Nun bestimmen gewerbliche Zweckbauten den ersten Eindruck, den
der Autofahrer am westlichen Ortseingang von unserer Stadt bekommt -
nichts, was uns von anderen Städten unterscheidet. Wie schön wäre es
gewesen, wenn aus dem 1872 erbauten Bürger-Schützenhof ein
städtebauliches Schmuckstück gemacht worden wäre, um die Neugierde der
Autofahrer zu wecken auf die historische Stadt Warendorf.
Ein Beispiel, wie es in anderen Städten gemacht wird
Mechtild Wolff