Änneken Kuntze (Anna Maria)
* 27.April 1896 in Warendorf
+ 13. April 1973 in Warendorf
Lilli Kuntze
(Maria Elisabeth)
* 20. Juli 1904 in Warendorf
+ 18.Sept.1980 in Warendorf
Bild rechts: Kaufhaus Kuntze
Hier setzte die Warendorfer Jugend ihr Taschengeld in
Schwabbel, Mohrenköppe, Brausepulver und andere Köstlichkeiten um.
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Nach
dem Tod ihres Vaters übernahm Anfang der 1920er Jahre Anna Kuntze, von
allen nur Änneken genannt, das „Kaufhaus Friedrich Kuntze“. Nach dem Tod
der Mutter wurde auch ihre Schwester Lilli im Geschäft tätig. Sie war
bislang Kinderpflegerin im Haus des Oberregierungsrates Freiherr von
Thielmann gewesen. Jetzt wurde ihre Hilfe zu Hause gebraucht, denn ihre
Schwester Änneken hatte zwar die Herstellung der Holzschuhe eingestellt,
dafür aber das Sortiment erheblich erweitert. Ihr „erstklassiges
Geschäft“, das betonte sie immer gerne, wurde mit Sparsamkeit und
Schuldenfreiheit betrieben. Auch wenn ihr Lädchen eher ein Kramladen
war, so legte Änneken stets Wert auf Stil und Eleganz - nie wäre sie
ohne ihre Pelzjacke ins Geschäft gegangen.
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Änneken Kuntze | Lilli Kuntze |
Samstags um 14 Uhr schlossen die Schwestern den Laden, machten sich
besonders schick und fuhren mit dem Zug nach Münster, um dort im
vornehmen Café Schucan am Prinzipalmarkt bei einem dicken Stück Torte
und einer guten Tasse Bohnenkaffe alle Zeitungen von vorne bis hinten zu
lesen.
Ja, die beiden recht eigenwilligen Damen hatten Stil und sie hatten
ihre Prinzipien. Jedes Jahr im August bekam die Fassade des
liebenswerten Fachwerkhauses einen frischen Anstrich, sie wollten dazu
beitragen, dass Warendorf sich zum Heimatfest Mariä Himmelfahrt in
voller Pracht präsentierte. Die beiden Schwestern waren fest davon
überzeugt, dass sie das schönste Geschäft auf der ganzen Emsstraße
führten.
Bei „Änneken“ war alles zu bekommen, was das Herz begehrte, vom
Stopfpilz und dem neuen Besen und Modeschmuck für die Mutter bis zur
Wundertüte mit Kaugummi und Fußballbildern für die Kinder. Natürlich gab
es auch Bömse, Judenspeck und gebrochene Schokolade für 10 Pfennig für
die kleinen Schleckermäulchen. Und wenn der Vater eine neue
Lederaktentasche brauchte, Änneken fand eine in ihrem Sortiment, ein
bisschen gebraucht vielleicht, aber doch recht repräsentativ für einen
solch vornehmen Herrn, davon überzeugte Änneken ihren Kunden mit ihrer
außerordentlichen Geschäftstüchtigkeit sehr schnell - und der Kunde war
glücklich. Es konnte auch vorkommen, dass ein Kind Streichhölzer kaufen
sollte, die aber gerade ausgegangen waren und stattdessen mit einem
ledernen Kofferanhänger nach Hause kam. Wenn Mutter mit dieser
Investition nicht einverstanden war, nahm Änneken das unerwünschte Stück
anstandslos zurück.
Ein wirkliches Wunderland wurde das Lädchen zu Karneval. Nirgendwo
in Warendorf konnte man lustigere Hüte, Masken und Kostümzubehör kaufen
- bei Änneken gab`s etwas für jeden Geschmack, dazu Konfetti,
Luftschlangen, Karnevalskracher und die beliebten Stinkbomben und
Juckpulver. Ein wahres Kindereldorado!
Zu Silvester bekamen hier natürlich auch die Kinder Raketen und
Knallfrösche - alles ohne Ausweis oder Altersangabe. Dafür hätten die
Damen Kuntze kein Verständnis gehabt. Die Kinder sollen doch ihren Spaß
haben!!!
Änneken
beriet ihre Kunden charmant und kreativ - aber die Kasse musste immer
stimmen. In Windeseile hatte sie die Preise von all dem Kleinkram
zusammengerechnet und es gelang ihr fast immer, den Betrag nach oben
„abzurunden“, indem sie die erstandenen Schätze als ganz besonderes
Schnäppchen deklarierte. Die Kinder akzeptierten das willig, denn in der
Zwischen-zeit hatten sie ein paar Bömse stibitzt, ohne von Änneken
Protest zu bekommen. So stimmte die Kasse dann wieder.
Ja,
Änneken und ihre Schwester Lilli machten das Kinderleben
in der Kleinstadt spannend, man betuppte sich gegenseitig, so entstand
eine Kumpel-Gemeinschaft. In Ännekens Laden konnten die Lausbuben
klönen, sich dicke tun und nebenbei ein paar Negerküsse verdrücken.
Hatte der Junge so gar keinen „Zug nach Hause“, ging Änneken in die
Küche und ließ das Leckermaul mit dem Turm von Mohrenköppen auf der
Theke allein. Sehr gefährlich, denn ein Negerkuss nach dem anderen
verschwand im hungrigen Knabenmagen. Und wenn Änneken dann fragte, wie
viele er denn bezahlen müsste, sagte er kleinlaut: „Zwei!“ und Beide
wussten, dass es mindestens zehn gewesen waren. Bei der nächsten Beichte
konnte man diesen Schwindel natürlich nicht verschweigen und bekam vom
Pastor mit dem obligatorische „Buß-Vater-unser“ die Auflage, den Schaden
wieder gut zu machen. Also setzte der Knabe sich beim nächsten Mal
wieder neben die Mohrenköppe, aß in Abwesenheit der Ladenbesitzerin
langsam und bedächtig zwei schwarze Köstlichkeiten und als Änneken aus
der Küche kam und wissen wollte, wie viele es denn diesmal waren,
antwortete er „Zehn“, und die Welt war wieder in Ordnung.
Manchmal schlugen die jungen Kunden auch über die Stränge, nahmen
eine Stinkbombe in die Hand und fragten nach dem Preis. Wenn Änneken
dann 10 Pfennig verlangte, sagten sie „zu teuer“ und Änneken ging
herunter auf 5 Pfennig. „Auch noch zu teuer!“ Da Änneken ihre Jungs
kannte, sagte sie „Gut, dann nehmt sie so mit!“. Böse wurde sie
allerdings, wenn schon im Geschäft die kleine Glaskugel fallen gelassen
wurde und einen bestialischen Gestank verbreitete. Dann holte sie den
Besenstil aus der Ecke und jagte die Lümmels aus dem Laden.
Ein Schülerleben war auch früher nicht immer leicht, oft gab es
Sorgen und Verdruss. Hatte man mal wieder eine Fünf in Latein und traute
sich damit nicht zu den gestrengen Eltern, dann war Ännekens Laden eine
Oase, um Seelentrost zu finden bei einem Stück Schwabbelspeck und dem
beruhigenden Zuspruch, dass hier so mancher, der heute ein feiner Herr
ist, schon mit den gleichen Sorgen gesessen hat.
Als Töchter einer streng katholischen Familie, die mehrere Geistliche
in ihrem Stammbaum nachweisen konnte, hatten die beiden Schwestern ein
sehr persönliches Verhältnis zu ihrem Herrgott. Jeden Morgen um 7 Uhr
besuchten sie die Frühmesse in der Laurentiuskirche. Pünktlich kamen sie
zwar nie, aber bis zur Wandlung waren sie immer da. Auf dem Rückweg
kauften sie beim Bäcker Brötchen, um gut gestärkt den Abenteuern des
neuen Tages entgegen zu treten.
Weder Änneken noch Lilli hatten jemals an Heirat gedacht, denn „das
kann ja jeder dumme Junge!!“ Im Krieg nahm Änneken Dieter Hülsmann als
Pflegesohn zu sich, den sie mit ihrer Schwester zusammen liebevoll und
großzügig aufzog, ihm eine gute Ausbildung angedeihen ließ, sodass er
später ein angesehener Arzt wurde.
Änneken verstarb schon 1973 kurz vor ihrem 77. Geburtstag. In
gewohnter Weise führte Lilli das Kinderparadies weiter. Auch bei ihr
schoben die kleinen Lausbuben ihren Taschengeldgroschen über die
gläserne Theke, um stolz das Juckpulver oder die Knallfrösche in der
Hosentasche verschwinden zu lassen. Auch der Stapel mit den Holzschuhen
stand weiterhin vor der Ladentür und so mancher kletterte mit Lilli über
die Leiter auf den Dachboden, um sich aus den „Kaschotts“, in denen die
Holsken schön nach Größe geordnet lagerten, Holzschuhe für den Garten
oder gar für Karneval auszusuchen.
Am 18. September 1980 starb dann auch Lilli im Alter von fast 76
Jahren. Die Tür des Kramladens bleibt nun geschlossen, für solch ein aus
der Zeit gefallenes Lädchen gab es keinen Nachfolger. Viele Warendorfer
bedauerten diesen Zeitenwandel - Warendorf war ärmer geworden. Änneken und Lilli aber sind nicht vergessen, sie leben weiter in den
Erinnerungen und Erzählungen. Bei Klassentreffen werden zu
vorgerückter Stunde gern Dönekes über die beiden Originale
erzählt, und so mancher honorige Amtsgerichtsrat gesteht, dass auch er
damals heimlich einen Mohrenkopp knuwte und leider das Bezahlen
vergessen hat.
Auch bei der „TheaterZeitReise“ durch 800 Jahre Warendorfer
Stadtgeschichte zum Jubiläum im Jahr 2000 durfte „Änneken“ nicht fehlen
und feierte, liebevoll dargestellt von Maria Kleickmann, ein fröhliches
Wiedersehen mit ihren Warendorfern.
Ja, die beiden Schwestern hatten schon zu Lebzeiten
Kult-Status.
Nicht von ungefähr gab es den Spruch:
Wer Änneken nicht kennt,
der hat seine Jugend verpennt!
Quellen:
Erzählungen von Zeitzeugen, insbesondere von den damaligen
„Jeustern“, die so gerne bei Änneken an der Theke saßen.
Bücher:
Jörg Heimann: An`e Ems und auf Straße 1983
Klaus Schäffer: „Kaufhaus Kuntze“ in: Als die Pommes nach
Warendorf kamen 1999
Zeitungsberichte:
Thomas Schunck: „Kaufhaus Kuntze - Warendorf“ Gespräch
mit Frau Elisabeth Kuntze Juni 1980
19. 9. 1980 „Die Glocke“: Die Tür des alten Kramlädchens an der
Emsstraße 5 bleibt jetzt verschlossen
30.1.1982 „Münstersche Zeitung“: Erben gesucht: Ein Stück
Warendorfer Vergangenheit steht ohne Zukunft da
9.2.1982 „Die Glocke“: Dieter Schnettler: Es steht ein Häuschen
in der Stadt, und niemand kann`s zur Zeit haben
11.3.1983 „Die Glocke“: Kaufhaus Kuntze steht nicht mehr lange
leer
Am 21. Dezember stellte wegen der coronabedingten
Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln nur der Schriftleiter der
Warendorfer Schriften, Wolfgang Reisner, allein den neuesten Band 49/50
den Warendorfer Tageszeitungen vor. Im Jahre 1971, also fast vor 50
Jahren erschien der erste Band der Warendorfer Schriften, ein schmales
Heft von 22 Seiten mit einem Aufsatz von Dr. Paul Leidinger über die
Entwicklung des Warendorfer Stadtteils „Vor dem Emstor“
Der jetzige Band 49/50 deckt auf 272 Seiten ein breites
Spektrum der Geschichte Warendorfs und von Warendorfer Bürgern ab. Es
beginnt mit einem umfangreichen Aufsatz von Dr. Bernward Fahlbusch zu
der Frage, ob Warendorf eine Hansestadt war. Prof. Leidinger greift
noch einmal die Frage auf, ob es eine Schifffahrt auf der Ems bis
Warendorf und einen Hafen hier gab. Von dem verstorbenen
stellvertretenden Vorsitzenden des Heimatvereins, Dr. Ekkehard Gühne,
werden aus dem Nachlass leider nicht vollendete Forschungen zu Dr.
Katzenberger, den Erbauer des Hauses Klosterstraße 7, veröffentlicht.
Prof. Leidinger ergänzt diese mit Ausführungen zu den Heiratsbeziehungen
zwischen den Familien Katzenberger, Ostermann und Brinkhaus. Von
Wolfgang Reisner werden einige andere Aspekte aus dem Leben von Vater
und Sohn Katzenberger – Honorareinzug durch Zwangsversteigerung und
Obduktion von Leichen – hinzugefügt.
Pater Neufeld SJ steuert wie in jedem Band Beiträge zur
Wallfahrt aus dem Osnabrücker Land nach Warendorf und über den
Warendorfer Jesuiten Dr. Franz Rensing, einen Freud des Kardinals von
Galen bei. Rolf Hartmann erinnert an das Gasthaus und den Tennisplatz
auf dem Hof Lippermann.
Der Tennisplatz bei der
Kaffeewirtschaft Lippermann auf einer Ansichtskarte von Anfang des
vorigen Jahrhunderts
Ein Beitrag von Norbert Funken befasst sich mit dem
kurzfristigen Aufenthalt der Schwestern vom heiligsten Herzen Jesu Ende
des 19. Jahrhunderts in Warendorf, ehe sie sich in Münster-Marienthal
niederließen.
Mechtild Wolff befasst sich Eduard Elsberg sowie mit Anni Cohen
und ihrer Familie. Eine Schülerin, Ronja Waldhauer, geht den Spuren des
Bruders von Eduard Elsberg, Karl Elsberg und dessen wechselvollem
Schicksal im Dritten Reich nach.
Klaus Gruhn zeichnet die Geschichte des Aufbaugymnasiums nach.
Mechtild Wolff erinnert an die Warendorfer Originale, den Komponisten
Kuno Stierlin und Änneken Kunze mit ihrem Kaufhaus an der Emsstraße. Von
den verstorbenen Wilhelm Veltman und Hermann Tanger wird eine Chronik
der Altstadtfreunde aus den ersten vier Jahren des jetzt 40-jährigen
Vereins veröffentlicht. Irmengard Walzer erzählt die Geschichte der
UNICEF-Gruppe Warendorf.
Der erste Vorsitzende der
Altstadtfreunde Warendorf, Wilhelm Veltman,
bei einem der vielen Arbeitseinsätze des Vereins zur Rettung
alter Häuser
Im Jahr 2020 endete vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. Prof.
Leidinger gibt den Forschungsstand für Warendorf nach dem Kriegsende
wieder. Dr. Gaby Flemnitz untersucht die Ermordung sowjetischer
Zwangsarbeiter 1945 in Lippermanns Knäppen. Aus den amerikanischen
Kriegsgefangenenlagern Bad Kreuznach und Bretzenheim, die zu den
berüchtigten Rheinwiesenlagern gehörten, wird ein Tagebuch eines
Warendorfers veröffentlicht zusammen mit Zeichnungen von Wilhelm
Götting, der ebenfalls 1945 in beiden Lagern gefangen war. Es schließen
sich Nachrufe, Mitteilungen und Buchbesprechungen an.
Der Band, den die Mitglieder des Heimatvereins bereits als
Jahresgabe erhalten waren, ist im Warendorfer Buchhandel zum Preis von
15,-- € erhältlich. Er kann auch vom Heimatverein bezogen werden.
Zusammen
mit den Warendorfer Schriften erhielten die Mitglieder des
Heimatvereins den Warendorfer Kiepenkerl, das jährlich vom
Heimatverein und dem Kammermusikkreis Warendorf herausgegebene
Forum für Heimat- und Denkmalpflege. Der Inhalt des 72. Heftes
umfasste neben einem Beitrag von Dr. Reinhold Schoppmann zum
150. Galeriekonzert ein Märchen von Klaus Ring „Stadt, Insel,
Fluss“ zur Diskussion um die Folgenutzung der Emsinsel, einen
Bericht von Mechtild Wolff über die Veranstaltungen des
Heimatvereins im Jahre 2020 und die Einladung zur
Jahreshauptversammlung 2021 des Heimatvereins. Den größten
Seitenumfang nahm ein Beitrag von Wolfgang Reisner über Pest,
Pocken, Covid 19 und andere Seuchen in unserer Heimat einst und
jetzt ein. Ergänzt wurde dieser Aufsatz um Ausführungen von
Beatrix Fahlbusch zum früheren Pestdiek in der Lage des heutigen
Amtsgerichtes, einer 1667 für Pestkranke errichteten Baracke.
Quarantäne, Kontaktbeschränkungen, Einreise- und
Handelsbeschränkungen kannte man auch früher beim Ausbruch von
Seuchen. Als in Warendorf 1616 die Pest herrschte, verbot die
Freckenhorster Äbtissin aus Angst vor Ansteckung den
Freckenhorstern, in Warendorf Brot, Öl, Heringe und andere Waren
einzukaufen. Die Pestordnung des Fürstbischofs Christoph
Bernhard von Galen von 1666 bestimmte, dass Reisende aus
benachbarten Ländern, in denen die Pest ausgebrochen war, nur
mit einem amtlichen Zeugnis, dass sie sich in den letzten 14
Tagen „an gesunden orten“ aufgehalten hatten, einreisen durften.
Die Häuser Pestkranker waren mit einem Strohkranz oder
einem Kreuz zu kennzeichnen. Es bestand ein absolutes
Kontaktverbot mit Infizierten und deren Betreuern, auch durften
infizierte Häuser nicht betreten werden. Bei Übertretung wurde
eine Geldstrafe angedroht, die für die Pestkranken verwendet
werden sollte. Das traditionelle Fastnachtstreiben der
Handwerksgesellen wurde eingeschränkt, beim Pestausbruch 1666
sogar ganz verboten. Bei einem Auftreten der Ruhr 1676 in
Warendorf wurden auch Hochzeitsfeiern untersagt, die man damals
als Hotspots ausgemacht zu haben glaubte. Bei der hohen Zahl der
Toten bei der Pest wurde 1634 vom Warendorfer Rat bestimmt, dass
das sonst bei Beerdigungen übliche Blasen von den Kirchtürmen zu
unterlassen sei, um die Bevölkerung nicht zu erschrecken.
Es wird heute über Vorbehalte zum Impfen gegen Covid 19
berichtet. Solche Vorbehalte und Falschinformationen gab es auch
gegen die Pockenimpfungen Anfang des 19. Jahrhunderts. So wurde
1816 in Münster das Gerücht verbreitet, ein Kind habe sich durch
die Pockenimpfung mit der Geschlechtskrankheit Syphilis
infiziert.
Hefte des Warendorfer Kiepenkerl können noch beim
Heimatverein bezogen werden.
Der
Heimatverein hat zusammen mit dem Arbeitskreis Emsinsel einen
Antrag an den Bürgermeister und den Rat der Stadt gestellt, die
historischen Gebäude der Firma Brinkhaus mit der Wagenhalle und
dem Pförtnerhäuschen unter Denkmalschutz zu stellen. Warum ist
das wichtig für Warendorf?
Warendorf hat Jahrhunderte lang von der Weberei
gelebt und mit der Industrialisierung brachte die
Textilindustrie Wohlstand in die Stadt und das Umland. 1879
baute Hermann Josef Brinkhaus seine Weberei direkt an die Ems -
notgedrungen, denn Webereien brauchten Wasser. Dieser
Firmenneubau wurde mit viel Sinn für Schönheit errichtet, gebaut
von der Warendorfer Firma Carle´ mit Feldbrandsteinen aus
Freckenhorst. Noch heute befindet sich im Giebel des
historischen Bürogebäudes ein Sandstein mit der Jahreszahl 1879.
Ja, die Firma Brinkhaus suchte sich immer die besten
Baumeister für ihre Firmenneubauten. So auch im Zweigwerk
Freckenhorst, das 1908 von dem bedeutenden
Industriearchitekten Phillip Jakob Manz aus Stuttgart gebaut
wurde. Bedauerlicherweise wurden die hochwertigen Freckenhorster
Fabrikgebäude abgerissen und durch Aldi-Architektur ersetzt.
Auch in Warendorf sollen jetzt die letzten Zeugen der textilen
Vergangenheit unserer Stadt beseitigt werden.
Die
Wagenhalle (links) und das Pförtnerhäuschen
Als die Firma Brinkhaus sich 1950 entschloss, für ihre
LKW neue Garagen und für den Pförtner ein Häuschen am
Fabrikeingang zu bauen, beauftragte die Geschäftsleitung den
sehr angesehenen münsteraner Architekten Heinrich Bartmann mit
der Planung.
Er
war von 1945 bis 1948 Stadt-Baurat der Stadt Münster und somit
an vorderster Front verantwortlich für den Wiederaufbau der
völlig zerstörten Stadt. Auch damals schon fand der Kampf
zwischen Tradition und Moderne statt. Die münsteraner
Architekten wollten ihre eigenen Ideen bei der Gestaltung des
Prinzipalmarkts verwirklichen und ihn mit modernen
Gebäuden der angesagten Betonarchitektur bebauen. Der kluge
Stadtbaumeister Heinrich Bartmann aber konnte sich mit seinen
Vorstellungen durchsetzen, den Charakter Münsters zu wahren und
den Prinzipalmarkt und anderer Innenstadtbereiche nach alten
Vorbildern zu rekonstruieren. Ohne Heinrich Bartmanns
ausgeprägten Sinn für Tradition und Schönheit hätte der
Prinzipalmarkt seinen einmaligen Charakter wohl kaum erhalten
können.
Als 1948 die grundlegenden Planungen zur Gestaltung der
Stadt Münster nach seinen Plänen fertiggestellt waren, nahm er
einen Ruf als Professor an der Technischen Hochschule Darmstadt
an und widmete sich wieder seinem Beruf als Architekt, plante
z.B. Fabrikgebäude und Kirchen und kam so auch nach Warendorf,
um für die Firma Brinkhaus tätig zu werden. Sein Auftrag war, am
nördlichen Eingang der Stadt eine Wagenhalle, also eigentlich
nichts anderes als eine große, zweistöckige Garage für LKW und
ein Pförtnerhäuschen zu bauen. Bartmann sah sofort seine
Verantwortung, an dieser Stelle keine simplen Zweckbauten zu
errichten, sondern eine für die historische Altstadt passende
Eingangssituation zu schaffen. Es ist ihm gelungen, große
Garagenhäuser zu errichten, die aber straßenseitig hinter zwei
Wohneinheiten versteckt wurden. Um eine für die historische
Innenstadt von Warendorf passende Eingangssituation zu schaffen,
gestaltete er die beiden aus Backstein erbauten Wohneinheiten
sehr aufwändig mit vorspringenden Treppenhäusern und
Fenstereinfassungen aus Sandstein. Die Symmetrie des gesamten
Baus ist sorgfältig abgestimmt auf das dahinter liegende
Bürogebäude. Die Garagenhallen, die heute von der Feuerwehr
genutzt werden, verschwinden im Hintergrund und sind nur vom
Fabrikgelände aus zu sehen. Welch eine geniale Städtebaukunst
zum Wohle eines stimmigen nördlichen Eingangs in unsere Stadt.
Nun wurde am 25.06.2020 von der damaligen Ratsmehrheit
in der sog. „Warendorfer Position“ beschlossen, dass diese
Gebäude abgerissen werden sollen, um Platz für ein modernes
Hotel zu machen. Wird es ein Gewinn für unsere Stadt sein, einen
modernen, wahrscheinlich beliebigen Stadteingang zu bekommen?
Ist es verantwortbar, wichtige Zeitzeugen der 1950er Jahre
abzureißen? „Das einzige weitere Gebäude in Warendorf aus dieser
Zeit mit einem vergleichbaren Architekturwert ist das Theater am
Wall. Beide Gebäude sind bei völlig unterschiedlicher Funktion
im besten Sinne ihrer Zeit gemäß entstanden. Das Theater am Wall
wurde aus diesem Grund unter Schutz gestellt, während die
Wagenhalle bisher lediglich als erhaltenswert eingestuft wurde.
Das dritte namhafte Bauwerk Warendorfs aus jener Zeit ist die
Marktbrücke, die mit der benachbarten Wagenhalle und dem
Pförtnerhaus nahezu als ein städtebauliches Ensemble angesehen
werden kann.“ So beschreibt Klaus Ring sehr treffend die
Situation.
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2020: herausgerissene Fenster aus dem Bürogebäude
Brinkhaus |
Auch die unter Denkmalschutz stehende Fassade des
historischen Bürogebäudes ist in Gefahr. Es wäre nicht das erste
Mal, dass solch eine Fassade einstürzt, wenn erst einmal die
stützenden Wände abgebrochen wurden. „Welch ein Pech!“ sagt man
dann und kann stattdessen eine moderne und kostengünstigere
Bauweise verwirklichen. Dass auch die historische Fassade dem
Investor ein Dorn im Auge ist, konnte man Anfang 2020 sehen, als
viele Fenster mutwillig und klammheimlich herausgerissen wurden
und sich wochenlang niemand um den entstehenden Wasserschaden
kümmerte. Erst als besorgte Bürger vehement protestierten wurde
ein provisorischer Wetterschutz eingebaut.
Damit in Warendorf die letzten Spuren der
Weber-Vergangenheit erhalten bleiben, hält der Heimatverein und
der Arbeitskreis Emsinsel die Unterschutzstellung der
historischen Gebäude der Firma Brinkhaus mit den Sheddach-Hallen
von 1879 und der Wagenhalle und dem Pförtnerhaus für dringend
geboten. Wir hoffen sehr, dass die Politiker zu einem Umdenken
bereit sind und auch die Wagenhalle aus dem Versteck hinter der
hohen Hecke hervorholen und durch eine neue Nutzung diesen
Stadteingang wieder aufwerten.
Mechtild Wolff
Vorsitzende des Heimatvereins Warendorf
Bilder: Mechtild Wolff, Walter Suwelack (Brinkhaus Bürogebäude)
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Horstmann,
wie Ihnen ja bekannt ist, machen sich der Heimatverein
und der AK Emsinsel große Sorgen, dass die Entwicklung auf der
Emsinsel in eine für Warendorf schädliche Richtung läuft. Unsere
Stadt hat Jahrhunderte lang von der Weberei gelebt und die Firma
Brinkhaus hat Warendorf entscheidend geprägt. Die sog.
„Warendorfer Position“ aus 2020 zeigt deutlich, dass nun alle
Spuren der Textilgeschichte beseitigt werden sollen.
Bedauerlicherweise steht auf dem Gelände Brinkhaus nur die
Fassade des historischen Bürogebäudes von 1879 unter
Denkmalschutz und wenn ich die Ereignisse des letzten Jahres
richtig deute, wird bei der Neugestaltung der Emsinsel nur diese
Fassade stehen bleiben. Dass sie schon jetzt dem Investor ein
Dorn im Auge ist, konnte man Anfang 2020 sehen, als viele
Fenster mutwillig und klammheimlich herausgerissen wurden und
sich wochenlang niemand darum kümmerte – auch nicht unser
Bauamt. Erst als Bürger vehement protestierten wurde ein
provisorischer Wetterschutz eingebaut.
Leider müssen wir davon ausgehen, dass die Fassade bei
den Bauarbeiten einen „Unfall“ erleiden wird und einstürzt und
die Verantwortlichen sagen dann „schade“ und das Problem ist vom
Tisch und einer unbehinderten „modernen“ und dadurch
kostengünstigeren Bebauung steht nichts mehr im Wege.
Darum halten wir es für unbedingt erforderlich, dass
sich die Stadt Warendorf für einen weitergehenden Denkmalschutz
für die Fabrikgebäude und die Wagenhalle mit dem
Pförtnerhäuschen – s. Antrag – einsetzt.
Das ist nicht im Sinne des Investors, das ist uns
bekannt. Politik und Verwaltung sollten aber die Interessen
unserer Stadt verfolgen und ich kann mir nicht vorstellen, dass
unsere Bürger und die zahlreichen Touristen ein modernes Hotel
an dieser Stelle als einen Gewinn für das Ambiente der
historischen Altstadt ansehen. Warendorf wird dann beliebig. Die
Vergangenheit lehrt uns, dass nur die Projekte, bei denen wir
die historische Substanz mit neuem Leben gefüllt haben, von
Erfolg gekrönt waren. Die Versuche, bei denen die „Moderne“ in
die Altstadt einziehen sollte, sind samt und sonders
gescheitert. Können die Entscheidungsträger einen erneuten
Versuch mit gesichtsloser Bebauung an dieser so wichtigen Stelle
verantworten?
In der Hoffnung auf ein Umdenken
und mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches Jahr
zum Wohle unserer schönen Stadt
grüßt Sie herzlich
Mechtild Wolff
Vorsitzende des Heimatvereins Warendorf e.V.
Heimatverein Warendorf e.V.
5. 1. 2021
Arbeitskreis Emsinsel
An den Bürgermeister der Stadt Warendorf
Herrn Peter Horstmann
und an den Rat der Stadt Warendorf
Lange Kesselstraße
48231 Warendorf
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Horstmann,
sehr geehrte Damen und Herren des Rates der Stadt
Warendorf
Antrag:
Der Heimatverein Warendorf und der Arbeitskreis Neue
Emsinsel beantragen, die historischen Firmengebäude der Firma
Brinkhaus von 1879, Breuelweg 5 und die Wagenhalle mit dem
Pförtnerhäuschen, Zwischen den Emsbrücken 2 in Warendorf, in die
Denkmalliste der Stadt Warendorf einzutragen.
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Historische Gebäude
der Fa. Brinkhaus von 1879 und die Wagenhalle
mit dem Pförtnerhäuschen von 1950 Zeichnung: Klaus
Ring |
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Horstmann,
sehr geehrte Damen und Herren des Rates,
im Jahr 1879 erbaute Hermann Josef Brinkhaus in der
stadtnahen Emsaue, heute „Emsinsel“ genannt, die mechanische
Weberei H. Brinkhaus. Diese Firma bestand bis 2011 und war der
wichtigste Arbeitgeber in Warendorf. Die Firma Brinkhaus hat die
Textilstadt Warendorf entscheidend geprägt.
Bis heute sind neben vielen neueren Produktionshallen
auch die Bürogebäude von 1879 (die Fassade des Bürohauses steht
unter Denkmalschutz) mit den Sheddach-Hallen erhalten. Dabei
handelt es sich um Sheddächer, die mit viertelkreisförmigen
Dachkonstruktionen abschließen und dadurch diesen Hallenräumen
ein besonderes Flair verleihen.
Diese Firmengebäude sind die letzten Spuren der für
Warendorf wichtigen Textilindustrie und stellen die letzten
Zeitzeugen dieser Epoche in Warendorf dar. Die Fabrikgebäude der
anderen Textilfirmen wurden ausnahmslos abgerissen.
Nun besteht auch bei der Firma Brinkhaus die Gefahr,
dass die historische Bausubstanz abgerissen wird, um einer
modernen Verwertung Platz zu machen. Das wäre ein großer Verlust
für Warendorf, denn dann wären fast alle Spuren einer wichtigen
Epoche in unserer Stadt verloren.
Unser Antrag auf Unterschutzstellung gilt für die
historischen Gebäude von 1879 und für die Wagenhalle mit dem
Pförtnerhäuschen (s. Zeichnung oben).
Die Wagenhalle, 1950 erbaut von dem Münsteraner
Architekten Professor Heinrich Bartmann, ist als
Industriedenkmal ein charakteristisches Gebäude ihrer Zeit von
hohem Seltenheitswert und dokumentiert durch ihre ursprüngliche
Funktion, ihre gestalterische Qualität, sowie ihren Standort vor
der Firma Brinkhaus diesen für Warendorf bedeutendsten
Textilindustriestandort in besonderer Weise. In unserer Stadt
existiert mit Ausnahme des denkmalgeschützten Theaters am Wall
kein vergleichbares Gebäude aus den 1950er Jahren. Die
Wagenhalle mit dem Pförtnerhaus ist als erhaltenswert
eingestuft.
Ein Abriss dieses Objektes wäre ein erheblicher Verlust
für das städtebauliche Gefüge im nördlichen Eingangsbereich der
Altstadt und stünde damit dem Anspruch der Stadt Warendorf als
anerkannter Historischer Stadtkern eklatant entgegen.
Wir hoffen sehr, dass Sie unser Anliegen nachvollziehen
können und unserem Antrag stattgeben.
Mit freundlichen Grüßen
Mechtild Wolff für den Heimatverein Warendorf e.V.
Sigfrid Krebse und Alfred Kiel für den Arbeitskreis
Emsinsel
(zum AK Emsinsel gehören u.a.: Heimatverein Warendorf
e. V.; Altstadtfreunde Warendorf e. V.; Kneipp–Verein Warendorf
e.V.; BUND-Kreisgruppe Warendorf; NABU Kreisverband Warendorf
und das Team Brinkhaus)
Das Dezentrale
Stadtmuseum
ist an Sonn- und Feiertagen von 15:00 - 17:00 Uhr geöffnet.
Der Eintritt ist frei.