Das alte Gebäude des Mariengymnasiums
60 Jahre Abitur - das ist wahrlich ein Grund zum Feiern. In all den
Jahren haben wir uns regelmäßig alle 5 Jahre getroffen und uns dadurch
nie aus den Augen verloren. Wie sagte unsere leider schon verstorbene
Klassenkameradin Ulline so treffend: Klassentreffen sind immer schön, da
braucht man keinem was vorzumachen, die kennen einen alle viel zu gut.
Über unsere gemeinsame Schulzeit haben wir schon viel geredet, viele
Dönekes erzählt und unsere Lehrer kolportiert mit all ihren Stärken und
Schwächen. Ich habe mir jetzt mal Gedanken gemacht über das Jahr 1951,
das Jahr, in dem wir „auf die Marienschule“ kamen. Wie sah es damals in
der Marienschule aus, der 2. Weltkrieg war ja erst sechs Jahre vorbei.
Welche dramatischen Jahre hatte die Schule hinter sich? Für uns damals
zehnjährige Schülerinnen waren die sechs Jahre Frieden eine lange Zeit
und der Krieg war weit weg, obwohl er im Alltag noch allgegenwärtig war.
Mir kam unser Lyzeum eigentlich ganz normal vor, alles lief geregelt und
hinter die Kulissen ließ man uns nie gucken.
Aber wie hatte die Marienschule die Kriegsjahre wirklich überstanden,
als die Pforten am 8. Dezember 1945 wiedereröffnet wurden? Der 8.
Dezember war damals noch als das Fest „Mariä Empfängnis“ in unserem
Bewusstsein verankert und wurde in der Marienschule als Patronatsfest
gefeiert. Der Tag begann mit einer Messfeier in der Laurentiuskirche und
danach versammelten sich alle 600 Schülerinnen im Treppenhaus der
Marienschule - man kann es sich heute kaum vorstellen - um einer
besinnlichen Ansprache der Direktorin zu lauschen und Marienlieder zu
singen und Gedichte vorzutragen.
Diesen Tag hatten sich die Lehrer 1945 ausgesucht, um die längsten
Ferien der Schulgeschichte zu beenden. Mit dem Einmarsch der
amerikanischen Truppen in Warendorf zu Ostern 1945 hatte auch die
Marienschule schließen müssen. Die Siegermächte wollten nicht nur die
bedingungslose Kapitulation, sie wollten auch den Nationalsozialismus an
der Wurzel ausrotten. Das Ziel war die Entnazifizierung. Der neue Geist
der Demokratie sollte in die Schulen einziehen. Alle Lehrer mussten sich
nun überprüfen lassen, ob sie unter der Herrschaft der
Nationalsozialisten mehr als bloße Mitläufer gewesen waren.
Zuerst schaute man sich die langjährige Direktorin Frau Dr. Maria
Moormann genau an. Sie war seit 1928 Leiterin der Marienschule und hatte
dieselbe zur Oberschule ausgebaut, sodass 1941 das erste Abitur
abgenommen werden konnte. In den NS-Jahren hatte sie mit weiblicher
Klugheit und Beharrlichkeit das christliche Fundament der Schule gegen
den braunen Ungeist verteidigt. Sie besaß sogar den Mut, mit einer
jüdischen Schülerin, die nach Südafrika emigriert war, einen
Briefwechsel zu führen. 1940 allerdings konnte sie nicht verhindern,
dass die Marienschule in „Justus-Möser-Schule“ umbenannt wurde. Das war
für sie sehr schmerzhaft, denn „Marienschule“ war nicht nur ein Name, es
war ein Programm. Weil Frau Dr. Moormann sich der NS Ideologie nicht
unterwerfen wollte, enthoben die Machthaber sie Ende 1944 ihres Amtes
und übertrugen die Leitung der Schule dem strammen Nationalsozialisten
Dr. Heinrich Donnermann. Er war der linientreue Direktor des alt
ehrwürdigen Gymnasium Laurentianum, das jetzt „Brun-Warendorp-Schule“
hieß. Zu seiner ständigen Vertretung am Lyzeum ernannte der
Oberpräsident die Studienrätin Anna Maria Kaesbach - irgendjemand musste
ja schließlich für die tägliche Schulleitungsarbeit vor
Ort sein. Und Arbeit gab es genug, der Krieg brachte einschneidende
Veränderungen. Schulgottesdienste waren ab sofort verboten, die
Turnhalle wurde für Getreidelagerung beschlagnahmt, nach Angriffen auf
Münster wurde eine Auffang-Stelle für bombengeschädigte Evakuierte
eingerichtet - jeder Tag brachte neue Überraschungen, Einschränkungen
und Schikanen seitens der Nationalsozialisten, denn eine nach wie vor
religiös ausgerichtete Schule war den Nazis ein Dorn im Auge.
Den Siegermächten wurde schnell klar, dass an der untadeligen
Gesinnung der Direktorin Dr. Moormann kein Zweifel bestehen konnte.
Darum wurde sie unmittelbar nach Kriegsende von den Alliierten wieder
als Direktorin des Lyzeums eingesetzt und damit beauftragt, wieder einen
normalen Schulunterricht aufzubauen. Schnell wurde der dringlichste
Wunsch der Direktorin erfüllt: Das Lyzeum bekam seinen Namen
„Marienschule“ zurück, den ihr die Gründungsväter 1910 gegeben hatten.
Dr. Heinrich Donnermann bestand die Entnazifizierung nicht, wurde
seines Amtes enthoben und musste den Schuldienst quittieren. Der
Volksmund sagte damals: Er hat keinen Persilschein bekommen.
Bürgermeister Heinrich Temme, Schulrat Josef Pelster und die
Direktorin Dr. Maria Moormann waren nun mitverantwortlich für die
Entnazifizierung der Lehrer. Die Beurteilung des Kollegiums war insofern
nicht schwierig, als der christliche Geist der Schule auch in der NS
Zeit nicht erschüttert werden konnte und die Direktorin ihr Kollegium
genau kannte und bestehende Bedenken überzeugend ausräumen konnte. Wie
schwierig das manchmal war, zeigt der Fall der Musiklehrerin Margarete
Ernst (1897-1977). Diese hatte 1941 auf Aufforderung der
Ortsfrauenschaftsleiterin eine Musikgruppe der Ortsfrauenschaft
Warendorf gegründet und geleitet. Frau Dr. Moormann konnte den
Ortskommandanten davon überzeugen, dass eine Ablehnung dieses Wunsches
für die junge Musiklehrerin damals
unmöglich
gewesen war, denn sie hatte gerade erst ihre Anstellung bekommen. Die
Direktorin konnte glaubhaft versichern, dass Fräulein Ernst kein
nationalsozialisti-sches Liedgut im Unterricht gesungen hatte, sondern
schöne deutsche klassische und neuere Musik mit den Schülerinnen
gepflegt hatte. So wurde dann auch Frl. Margret Ernst am 5.12.1945
erfolgreich entnazifiziert.
Bevor die Schule wiedereröffnet werden konnte, mussten strenge
Voraussetzungen erfüllt werden: Der Geschichtsunterricht wurde vorerst
untersagt. Auch der Deutschunterricht war zunächst verboten, erst
mussten brauchbare Lehrbücher und Lektüren zusammengestellt werden. An
neue Lesebücher war wegen der Materialknappheit gar nicht zu denken,
darum wurden Lehrbücher erlaubt, die vor 1933 gedruckt worden waren. Aus
dem vorgesehenen Lesebuch „Von deutscher Art, ein Lesebuch für Mädchen“
wurden alle Lesestücke herausgeschnitten, die an das Großdeutsche Reich
erinnerten, wie z.B. „Bilder aus dem deutschen Danzig“, oder „Eine
deutsche Familie in Russland“ oder „Das Banater Schwabenlied“.
Ende November 1945 waren dann alle Hürden genommen und den Warendorfer Gymnasien wurde als einigen der ersten in Westfalen die Genehmigung zur Wiedereröffnung erteilt. Das Lehrerkollegium setzte sich aus den altbekannten Lehrerinnen und einem einzigen Lehrer zusammen. Der Lehrer Adam Wacker (1889-1959) war schon seit 1928 an der Marienschule und war wegen seines Alters im Krieg nicht eingezogen worden.
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Theo Pröpper | Frl. Bracht, Frl. Kaesbach, Frl. Schütt, Frl. Kampelmann, Frl. Merkelbach, Herr Wacker |
Er wurde pensioniert, als wir in der Sexta
waren. Seit 1939 gab es einen zweiten Lehrer im Kollegium: Theodor
Pröpper. Er kam aber erst 1946 aus der Gefangenschaft zurück. Studienrat
Pröpper war ein wahrer Segen für die reine Mädchenschule, denn so
konnten wir auch mal einen Lehrer erleben. Er war unser Englischlehrer
und wir erinnern uns noch heute mit Vergnügen daran, dass er die Kreide
nicht nur dafür benutzte, uns den AcI an der Wandtafel zu erklärte,
sondern auch, um mit einem gezielten Wurf Schülerinnen aus dem
Schulschlaf zu wecken. 1955 wechselte er zu unserem Bedauern zum
Laurentianum herüber. Der Schule hinterließ er eine gut geführte
Schulchronik, in der alle wichtigen Schulereignisse für die Nachwelt
festgehalten waren.
Dann war da Frl. Schütt (1892-1954), die schon seit 1925 an der
Marienschule war. Ich erinnere mich noch gut daran, dass sie 1954 in
Amersfoort/Holland auf einer Klassenfahrt mit dem Fahrrad tödlich
verunglückte.
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Theresia Kampelmann | Dr. E. Hufnagel | Margarete Heese | Dr. J. Hornig |
Zu
dem Kollegium aus der Gründungszeit der Schule gehörten auch Theresia
Kampelmann (1890-1985), die 1948 Direktorin der Schule wurde und Maria
Heukmann (1890-1969), unsere Religions-lehrerin, die schon seit 1911 an
der Schule war.
Anna Maria Kaesbach unterrichtete schon seit 1934 an der Schule
Mathematik, Erdkunde, Physik und Nadelarbeiten. Sie hat versucht, auch
uns Mathe beizubringen, was ihr nicht bei allen gelungen ist. Dafür
konnte sie umso spannender von ihren Reisen erzählen und war eine sehr
weltoffene Lehrerin. Viele Jahre lang war sie eine der wenigen Frauen im
Rat der Stadt Warendorf, was uns sehr imponierte.
Seit
1943 war Frau Dr. Elisabeth Hufnagel (1896-1990) in Warendorf. Sie war
vielleicht die schillerndste Persönlichkeit im Kollegium und hat auch
unsere Schullaufbahn entscheidend geprägt. 1896 geboren, wurde sie 1916
zuerst Volksschullehrerin. Diese Ausbildung hatte sie noch auf dem
Lehrerseminar absolviert. Das reichte ihr aber nicht, darum legte sie
1923 das Abitur ab und studierte in Münster Deutsch, Englisch und
Französisch, ein recht ambitionierter Fächerkanon. 1934 sollte die junge
Studienassessorin die Leitung einer nationalsozialistischen Frauenschule
in Münster übernehmen. Dem Nationalsozialismus wollte sie aber nicht
dienen und zog es vor, in die Volksschule zu gehen, obwohl sie eine
akademische Ausbildung hatte. Ihre Tätigkeit in Everswinkel und Münster
nutzte sie zur Erstellung einer Promotion mit dem Thema: „Aus der
Sprache einer Familie. Ein Beitrag zur Sprachinhaltsforschung.“ 1942
wurde sie promoviert. Als 1943 die meisten münsteraner Schulen
geschlossen wurden, bekam Dr. Elisabeth Hufnagel eine Stelle an der
Marienschule in Warendorf, allerdings nur für ein Jahr auf Bewährung mit
dem Gehalt einer Mittelschullehrerin, denn bei den Nazis stand sie immer
noch auf der schwarzen Liste. Aber die Marienschule brauchte dringend
Lehrkräfte, da die Anzahl der Schülerinnen wegen der vielen Evakuierten
aus den bombengeschädigten Großstädten von normalerweise um die 400 auf
jetzt 810 Mädchen angewachsen war. Da konnte es sich auch das NS Regime
nicht erlauben, auf Frau Dr. Hufnagel zu verzichten. Als mit Kriegsende
auch die Marienschule geschlossen wurde, engagierte die Militärregierung
Dr. Hufnagel als Dolmetscherin. Das war für sie eine sehr spannende
Erfahrung, von der sie später gern ihren Schülerinnen erzählte. Mit der
Neueröffnung der Marienschule im Dezember 1945 bekam sie endlich ihre
Anstellung als Studienrätin. Schon 1948 wurde sie Mentorin der
neusprachlichen Referendare. Uns allen ist „Frau Dr.“ in lebhafter
Erinnerung und wir könnten mit Geschichten aus ihrem amüsanten
Unterricht ganze Bücher füllen. 1962 ging sie in den Ruhestand und lebte
bis 1990 in Münster.
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Rosa Senger | Dr. Kl. Freiburg-Rüter | Marianne Köster |
Eine
ganz wichtige Kollegin war Frl. Rosa Senger. Sie war eine brillante
Mathe-Lehrerin und zu unserer Zeit stellvertretende Schulleiterin,
verantwortlich für die Finanzen und den Stundenplan und eine immer
freundliche Helferin der Not.
Nach seiner Vertreibung aus Schlesien kam 1946 unser geistlicher Rat
Dr. Josef Hornig (1900-1980) als Religionslehrer und geistlicher Berater
an die Schule und ab 1948 gehörte unsere gestrenge Biologie-Lehrerin
Frl. Heese zum Kollegium.
1949 kam Frau Müller-Temme, durch die wir um die Erfahrung reicher
wurden, dass eine Lehrerin auch Kinder bekommen konnte. Frau
Müller-Temme war eine Pionierin wider Willen, sie wollte einfach nur
ihren Traumberuf als Sportlehrerin ausüben. Aber sie war verheiratet und
nur weil Lehrpersonen so händeringend gesucht wurden, sah man über
diesen „Makel“ geflissentlich hinweg. Allerdings musste sie sich für
fünf Jahre verpflichten, was so viel hieß wie: Fünf Jahre lang keine
Kinder, denn eines war ganz klar: Schule und Kinder, das war nicht
vereinbar, das hatte es an der Marienschule noch nie gegeben, denn alle
Lehrerinnen waren unverheiratet. Als nach sieben Jahren ihre erste
Tochter geboren wurde, beglückwünschte Frau Direktorin Kampelmann die
junge Mutter zwar, teilte ihr aber im gleichen Zuge mit, dass eine
Bewerbung für die ihr eigentlich zustehende Studienratsstelle nicht mehr
in Frage komme. Die Direktorin konnte sich nicht vorstellen, dass Frau
Müller-Temme als Mutter eines Kindes im Schuldienst bleiben würde. Trotz
der harten Bedingungen, Mutterschutz gab es nur 6 Wochen vor und nach
der Geburt, blieb Frau Müller-Temme im Schuldienst und bekam noch zwei
weitere Kinder. Pausieren oder die Stundenzahl reduzieren hätte den
Verlust des Beamtenstatus zur Folge gehabt. Wie gut, dass die Großmutter
mit im Haushalt lebte und für die Kinder sorgte.
Unser langjähriger Physik- und Chemie-Lehrer Walter Koch (1912-1983)
kam nach Krieg und Gefangenschaft und fünf Jahren Laurentianum genau wie
wir 1951 an die Marienschule und blieb bis 1961. Aus gesundheitlichen
Gründen ging er dann an die Europaschule in Varese/Italien.
Und erst 1959 kam Dr. Clemens Freiburg-Rüter (1905-) mit den Fächern
Deutsch, Englisch und Französisch zu uns. Noch damals war er
traumatisiert von seiner Kriegs- und Gefangenschafts-Zeit, mit der
er uns viele Schulstunden lang bestens unterhielt.
Ja,
und nicht zu vergessen unsere Oberstufen-Klassenlehrerin Marianne
Köster. Als sie 1956 als neue Direktorin an unsere Schule kam, mussten
wir uns von der unnachgiebig strengen, immer korrekten und eleganten
Erscheinung der Direktorin Kampelmann auf eine kleine, unscheinbare
Direktorin Köster umgewöhnen, die aus dem Ruhrgebiet, aus Datteln, kam
und einen eher direkten Umgang pflegte. Anfänglich fanden wir das sehr
erfrischend, zumal sie in ihrer Einführungsrede unsere Herzen gewonnen
hatte, als sie die Schülerinnen der Frauenoberschule als gleichwertig
neben die Lateinschülerinnen stellte. Dieser Geist war neu an der
Marienschule und gefiel uns natürlich sehr. Ihre wirklichen Stärken
hatte sie aber wohl nicht in der Prägung der Schülerinnen, sondern in
ihrer Zähigkeit, mit der sie einen Schulneubau für die Marienschule
forderte, den die Stadt Warendorf wegen der großen finanziellen
Belastung zu vermeiden versuchte. Die Grundsteinlegung an der
Von-Ketteler-Straße haben wir noch miterlebt und Heidrun durfte mit
einem Gedicht brillieren. Zu Ostern 1961 wurde der Neubau eingeweiht,
unser Abitur war das zweitletzte im alten Marienschulgebäude an der
Kurzen Kesselstraße. Dieser Neubau war wahrlich kein Luxus, die alte
Marienschule war viel zu klein geworden. Wir haben unsere letzten
Schuljahre in einem winzigen Klassenraum auf dem Dachboden zugebracht,
direkt neben dem Kartenzimmer. Die wackelige Holztreppe dürfte heute
nicht einmal mehr von einer Maus benutzt werden. Aber wir haben uns da
oben sehr wohl gefühlt - weit vom Schuss, das hatte entscheidende
Vorteile.
Nun aber wieder zurück zum 8. Dezember 1945:
Als alle Lehrer sich schriftlich verpflichtet hatten, „keine
nationalsozialistischen und militärischen Gedanken zu lehren“, konnte
die feierliche Wiedereröffnung der beiden Gymnasien im alten
Sparenbergschen Kino an der Freckenhorsterstraße
stattfinden. Das Laurentianum bestritt die Orchesterstücke und die
Marienschülerinnen sangen im Chor. Die Einladung hatte die
Besatzungsmacht in Englisch auf ein DinA4 Blatt getippt, der
Bürgermeister und die Schuldirektoren hielten bewegende Reden.
Der Unterricht hatte schon am 3. Dezember begonnen, der Schulbeginn
mit einer Messe in der Alten Pfarrkirche war in den Straßen der Stadt
durch den städtischen Ausrufer „ausgerufen“ worden. Nun war aber das
Marienschulgebäude noch von den Alliierten besetzt, darum mussten die
Schülerinnen noch bis August 1946 in die Kardinal-von-Galen-Schule an
der Klosterstraße. Da herrschte natürlich drangvolle Enge, sodass in
Schichten unterrichtet wurde und für die Unter- und Mittelstufe konnte
nur an 2-3 Tagen in der Woche Unterricht erteilt werden. Da es nicht
genügend Sitzgelegenheiten gab, mussten sich die Schülerinnen ihren
eigenen Stuhl mitbringen. Viele andere Gebäude und Keller in der Stadt
waren mit Behelfs-Klassenräumen belegt. Akten und Schulunterlagen gab es
fast keine, das war alles entweder von der Besatzungsmacht verheizt
worden oder von den Insassen der Russen- und Polenlager gestohlen oder
verheizt worden. Auch die physikalischen, chemischen und biologischen
Sammlungen sowie das Kartenmaterial waren verschwunden.
Mit viel Idealismus wurde nun jede Möglichkeit für Unterricht
genutzt. Die Weihnachtsferien endeten schon am 28. Dezember und die
Osterferien wurden auf sieben Tage gekürzt. Die Lehrer trugen die äußere
Not des Schulalltages mit Gelassenheit in der Hoffnung auf bessere
Zeiten. Das Wichtigste war, dass die geistige Not ein Ende hatte. Trotz
all der Einschränkungen hielt man an den alten Traditionen fest. Auch
das jährliche, oft recht anspruchsvolle Theaterstück für die
Abiturientinnen übten die Unterprimanerinnen wieder ein und führten es
unter großem Jubel im Kolpinghaus auf. Auf Zucht und Ordnung wurde
unverändert streng geachtet. So wurden zwei Schülerinnen 1947 mit der
Androhung der Verweisung von der höheren Schule bestraft, weil sie am 6.
Dezember als Nikolaus und Knecht Ruprecht verkleidet Schabernack in zwei
Klassen getrieben hatten.
Noch bis 1953 gab es dreimal im Jahr Zeugnisse, zu den
Sommerferien, zu Weihnachten und zu Ostern.
Ja, auch die Nachkriegsjahre waren eine riesige Kraftanstrengung und
weil sie so mutig bewältigt wurde, fanden wir 1951 eine ganz normale
Schule vor und ich kann mich nicht erinnern, dass jemals über all diese
Schwierigkeiten gesprochen wurde. Aber vielleicht hätten wir auch gar
nicht zugehört, genau so wenig, wie wir Dr. Freiburg-Rüters
Kriegserzählungen einordnen konnten. Wir waren eben ganz normale
Schülerinnen, bei denen das Lernen nicht immer oberste Priorität hatte.
Aber stolz waren wir, als wir zu Ostern 1960 das Abiturzeugnis in den
Händen hielten. Und wie haben wir uns gesonnt, als wir uns nach der
mündlichen Abiturprüfung, die so manche Überraschung gebracht hatten, im
Treppenhaus aufstellen durften und von Geschwistern und Freunden
bejubelt wurden.
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unsere mündliche Abitur-Prüfungsgruppe 1960 |
Mechtild Wolff 2020
Die absolutistischen Staaten des 18. Jahrhunderts
regelte durch mancherlei Verbote das Leben ihrer Untertanen. Ein
solches Beispiel ist ein 1766 für das Fürstbistum Münster, zu
dem Warendorf gehörte, erlassenes Verbot des Trinkens von Kaffee
und Tee für die Unterschicht - „von geringer Handthierung
lebenden Unterthanen, so wie den Dienstboten und Armen“ - und
für die auf dem Lande und in Dörfern wohnenden „freien und
schatzpflichtigen Bauern, Kötter, Brinksitzer [Kleinbauern oder
Heuerlinge am Rande des Dorfes oder der Mark] und von ihrer
Handarbeit lebenden Individuen“. Begründet wurde das Verbot, das
der Landesherr Fürstbischof Maximilian Friedrich von
Königsegg-Rothenfels, am 24.8.1766 auf Antrag der Landstände
erließ, damit, um der „gar zu stark eingerissenen, und auf eine
verderbliche und verschwenderische Weise fortgesetzt werdenden
Thee- und Kaffee-Trinken Ziel und Maaß zu setzen“. Das Verbot
galt in und außerhalb der Wohnungen. Für Übertretungen wurde
eine Strafe von drei Reichstalern angedroht. Diese Strafe traf
auch Gastwirte, die diesem Personenkreis Tee oder Kaffee
ausschenkten. Das Verbot galt nicht für wohlhabendere Bürger,
den Adel und die Geistlichkeit. Ein kleines Hintertürchen räumte
der Landesherr Auch für die Unterschicht ein: Der vom Verbot
betroffene Personenkreis konnte jährlich für zwei Reichstaler,
die in die Landeskasse flossen, einen Erlaubnisschein für die
gesamte Familie lösen. Es wurde bestimmt, dass
schon der bloße Besitz von Kaffee oder Tee und des dafür
notwendigen Geschirrs ebenfalls mit drei Reichstalern Strafe
belegt war. Wer die Übertretung dieses Verbotes anzeigte,
erhielt ein Drittel der verhängten Strafe. Es wurde auch
bestimmt, dass Kaufleute Geldforderungen für an diesen
Personenkreis verkauften Kaffee und Tee nicht einklagen konnten.
Dieses Verbot – „zum Besten der Unterthanen“ - geschah
nicht, um die Bevölkerung vor gesundheitlichen Gefahren zu
schützen. Dann hätte man generell den Kaffee- und Teegenuss
verbieten müssen. Es ging bei der damals herrschenden
Wirtschaftspolitik des Merkantilismus darum, zu verhindern, dass
für die aus fernen Ländern kommenden Dinge sehr viel Geld ins
Ausland abfloss. Dabei mag auch die Überlegung mitgespielt
haben, Minderbemittelte davor zu bewahren, ihr Geld für teuren
Kaffee oder Tee auszugeben. Nach dem Ratsprotokoll vom 21.2.1772
wurde vom Warendorfer Rat verfügt, dass den Armen die Almosen,
die teils aus Brot und teils aus Geld bestanden, am Sonntag
nachmittags erst nach der Christenlehre auszuteilen seien, um
einmal diesen Personenkreis zum Besuch der Christenlehre
anzuhalten und ihnen dadurch den Anlass zu nehmen, die Gelder
für Tee oder Kaffee auszugeben.
Auf merkantilistischen Überlegungen beruhte auch, dass
bei der Bestätigung der Rolle des Krameramtes 1632 Fürstbischof
Clemens August von Bayern den Warendorfer Kaufleuten den
Handel mit verschiedenen Importwaren wie z.B. Seide,
ausländischen Strümpfen, Kaffee, Tee, Zucker, Safran, Ingwer und
anderen Spezereien aus fremden Ländern verbot. Auch in anderen
Staaten waren solche Kaffeeverbote erlassen worden. So war für
das zum Kurfürstentum Köln gehörende Herzogtum Westfalen, das
das sogenannte Kölnische Sauerland umfasste - im Wesentlichen
der heutige Kreis Olpe und der Hochsauerlandkreis -, am
23.12.1766 vom Kurfürsten Maximilian Friedrich von
Königsegg-Rothenfels, der gleichzeitig Fürstbischof von Münster
war, den Gewerbetreibenden der Groß- und Einzelhandel mit Kaffee
sowie allen Bürgern, Bauern, Arbeitern und den Dienstboten der
Genuss von Kaffee unter Androhung von Geldstrafen verboten
worden. Gleichzeitig wurde befohlen, alles Kaffeegeschirr
abzuschaffen. Auch hier gab es Ausnahmen für die „höheren
Stände“, denen der Bezug von Kaffee aus dem Ausland und dessen
mäßiger Genuss für sich und ihre Kinder gestattet wurde. Da
diese Verordnung und eine ähnliche 1767 für das Vest
Recklinghausen erlassene Verordnung, die das Kaffee- und
Teetrinken einschränken sollten, keinen Erfolg hatten, wurde
1770 der Verkauf und Genuss des Kaffees wieder erlaubt. Es hatte
nur jeder Einwohner höheren Standes jährlich einen
Erlaubnisschein für vier Taler zu lösen. , da es wohl keine
Wirkung hatte.ie ärmeren Einwohner hatten vierteljährlich einen
Taler für die Erlaubnis zu zahlen, Kaffee trinken zu dürfen. Im
Jahre 1781 wurde, um dem „sehr stark eingerissenen Uebel des
Kaffeetrinkens zu steuern“ für das Herzogtum Westfalen und für
das Vest Recklinghausen jeder Handel mit rohem und geröstetem
Kaffee sowie das Ausschenken von Kaffee unter Androhung von
Geld- und Zuchthausstrafen verboten. Die Einfuhr von Kaffee war
nur in Mengen von mehr als 50 Pfund, die nicht von mehreren
Personen bezogen und geteilt werden durften, erlaubt. Hausfrauen
wurde untersagt, ihren Dienstboten das Kaffeetrinken zu
erlauben.
Auch den preußischen König Friedrich II. ärgerte es,
dass für Kaffee jährlich mehr als 700.000 Taler ins Ausland
flossen. Da auch eine hohe Besteuerung keine Wirkung zeigte,
wurde 1781 angeordnet, dass mit Ausnahme des Adels, der
Geistlichkeit, des Militärs und der höheren Beamten die
Bevölkerung nur von eingerichteten staatlichen Kaffeebrennereien
gerösteten Kaffee in amtlich verschlossenen Büchsen zum Preis
von einem Taler für 24 Loth [ein Loth entsprach ca. 16 Gramm]
erwerben konnten. Zur Überwachung des Verbotes, selbst Kaffee zu
rösten, wurden Steuerbeamte, meist Kriegsinvaliden, eingestellt,
im Volksmund „Kaffeeriecher“ genannt, die auf den Straßen nach
dem Duft von geröstetem Kaffee fahndeten. Diese Kaffeeriecher
hatten das Recht, in den Häusern nach ungeröstetem und
unversteuertem Kaffee zu suchen.
Preußische Kaffeeriecher im Einsatz, Gemälde von L.
Katzenstein, aus: Die Gartenlaube, Jahrgang 1892, Heft 8,
S. 257, hier aus Scans bei Commons
Nur gelegentlich findet man etwas über Kaffee und Tee
in den Warendorfer Ratsprotokollen. Im Jahre 1749 trug der
Imposteneinnehmer Cloedt [Imposten = städtische Einfuhrabgaben]
dem Rat vor, dass ein Jude Jakob, versucht habe, für einen Sack
von über 100 Pfund Kaffeebohnen die fälligen Akzisen zu
hinterziehen. Jakob gestand es. Der Rat schlug ihm einen
Vergleich vor. Bis dahin nahm man die Kaffeebohnen im
Rathaus in Verwahrung. Im Jahre 1741 scheint ein Händler aus
Rheda Akzisen für Tee hinterzogen zu haben. Er übergibt
zumindest vier Reichstaler Strafe und bittet in der Ratssitzung
vom 8.3.1741 Bürgermeister und Rat, ihm die Hälfte der Strafe zu
erlassen.
Durch eine landesherrliche Anordnung vom 6.12.1785
wurde im Fürstbistum Münster das Verbot des Tee- und
Kaffeetrinkens wieder aufgehoben, da es wohl keine Wirkung
hatte.
J.J. Scotti, Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in
dem Königl. Preuß. Erbfürstentum Münster und ... über
Gegenstände der Landeshoheit, Verwaltung und Rechtspflege
ergangen sind, Münster, 1842
Ratsprotokolle und Kämmereirechnungen der Stadt Warendorf,
Bände 9, 10, 11 der Warendorfer Geschichtsquellen
F. Ebertyx, Geschichte des Preußischen Staates, 5. Band,
Breslau 1870, S. 33
Der "neue" Bahnhof Warendorf
Wenn meine Großmutter verreisen wollte, dann begann ihre Zugfahrt
am „Neuen Bahnhof“. Der wurde zwar schon 1902 erbaut, aber die Tatsache,
dass die Warendorfer ihren schönen „Alten Bahnhof“ schon nach 15 Jahren
wieder aufgeben mussten, war unvergessen.
Nun aber war der neue
Warendorfer Bahnhof ein Eisenbahnknotenpunkt mit Rangiergleis,
Verlade-Rampe, Unterführung und Lokschuppen. Man konnte nicht nur nach
Münster und Rheda Wiedenbrück fahren, sondern auch nach Freckenhorst,
Westkirchen, Ennigerloh und Neubeckum. Der Bahnanschluss war auch für
die kleinen Orte von entscheidender Bedeutung. So konnten z.B. die
Freckenhorster Webereien die fertigen Stoffballen direkt zum Bahnhof in
Freckenhorst bringen und Rohstoffe dort abholen. Nur das Expressgut
wurde nach wie vor mit Pferd und Wagen zum Güterbahnhof in Warendorf
gebracht. Ja, die ländliche Region war nun auch verkehrstechnisch an die
große, weite Welt angebunden. Geschäftliche Auslandbeziehungen bestanden
schon lange. Die Firma Kreimer in Freckenhorst exportierte schon zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts bis nach Amerika, die Firma Breede lieferte nach Shanghai und auch die Warendorfer
Weberei
Brinkhaus hatte viele Kunden im Ausland.
Sperriges Gut wurde von der
Landmaschinenfabrik Hagedorn und der Eisengießerei Amsbeck und der Firma
Bruch direkt am Güterbahnhof angeliefert und abgeholt.
Die Firma Hagedorn liefert Maschinenteile zum Bahnhof
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Friedel Niemeyer und Paul Perdun im Schalterraum |
Erst kurz vor Eintreffen des Zuges öffnete die Sperre, die von zwei uniformierten Bahnbeamtem besetzt war. Auf der einen Seite wurden die Fahrkarten der abfahrenden Reisenden kontrollierte und abgeknipst, auf der anderen die der ankommenden Fahrgäste entwertet. Natürlich wurde auch die Bahnsteigkarte abgeknipst, damit sie nicht ein zweites Mal verwendet werden konnte. Die Bahnsteigkarte war notwendig, wenn man jemanden zum Zug bringen wollte oder vom Zug abholen wollte. Es galt früher als unhöflich, einfach nur hinter der Sperre zu warten, man wollte ja auf dem Bahnhof mit dem Taschentuch winken.
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"Zurücktreten von der Bahnsteigkante, der Zug fährt ab" | 1950: Die Post wird aus dem Zug
in den Postkarren geladen |
Bei
Ankunft des Zuges suchten die Reisenden sich eiligst ein noch nicht so
belegtes Abteil in der 2. Klasse, auch
Holzklasse genannt, denn hier saß
man auf ziemlich harten Holzbänken. Die 1. Klasse mit den gepolsterten
Sitzen leisteten sich nur sehr wenige Reisende. Der letzte Waggon des
Zuges war immer der Postwagen. Sobald der Zug ankam wurden Briefe,
Päckchen und Pakete aus dem Postwaggon in den hölzernen Warendorfer
Postkarren umgeladen und die ausgehende Post wurde in den Zug
eingeladen. War alles fertig, konnte der Schaffner mit seiner
Trillerpfeife pfeifen und der Zug fuhr ab. Den Postkarren beförderten
dann drei Postbeamte zum nahe gelegenen Postamt - zwei zogen, einer
schob.
Otto Göcke
am Vorläufer
des Andreaskreuzes
Die Fahrt mit dem „Pängel-Anton“ war immer ein besonderes
Vergnügen. Seinen Namen hatte er wegen des dauernden Pängelns und Pfeifens auf der
Strecke, denn immer wenn am Trassenrand ein weißes Schild mit einem
schwarzen P (Pfeifen) erschien, musste der Lockführer das Fußpedal
betätigen und ein marker-schütternder Pfiff ertönte und warnte alle, die
sich an einem der zahllosen Bahnübergänge befanden. Das Andreaskreuz als
Warnung an einem unbeschrankten Bahnübergang war noch nicht erfunden,
aber das „Halt“- Schild erklärte die Gefahr ausführlich. Für die 26 km
bis Münster brauchte der Zug damals 85 Minuten, denn er fuhr höchstens
25 Stundenkilometer und musste an vielen Bahnhöfen anhalten, am
Klauenberg, in Raestrup, Telgte, Jägerhaus, Handorf und Mauritz und erst
dann erreichte der Zug in den Hauptbahnhof in Münster. Heute fährt der
Zug in 33 Minuten nach Münster und stoppt aber nur noch in Telgte und am
neuen Haltepunkt Müssingen. Das Problem der vielen unbeschrankten
Bahnübergänge ist immer noch nicht gelöst, sonst könnten die Züge bequem
alle halbe Stunde von Warendorf nach Münster fahren.
Der brennende Warendorfer Bahnhof
Der
Bahnhof brennt! So ging es am 13. Januar 1995 wie ein Lauffeuer durch
Warendorf. Hunderte Schaulustige beobachteten mit Grausen, wie ihr
kompletter Bahnhof ein Raub der Flammen wurde. Die Brandursache wurde
nie gänzlich geklärt, man geht aber von Brandstiftung in einer Halle des
Güterbahnhofs aus, in der die Inlettweberei Brinkhaus Federbetten
gelagert hatte. Der Brandschaden war so groß, dass der gesamte Bahnhof
abgerissen werden musste. Nun gab es nur noch einen Fahrplanaushang und
den Fahrkartenautomaten auf Bahnsteig. Wie gut, dass der Kiosk von Frau
Kirsch an der Ecke Wilhelmstraße nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Dort können sich nach wie vor die Bahnfahrer ihre Zeitung und das
Brötchen kaufen und die neuesten Nachrichten des Tages hören. Einen
Vorteil hatten die Autofahrer.
Sie konnten nun direkt bis an den
Bahnsteig fahren und wenn sie Glück hatten, dort sogar parken. Ein
Dauerzustand aber sollte das leider nicht sein.
Viele Jahre lang forderten die Bürger: Warendorf braucht einen
neuen Bahnhof! Die Deutsche Bundesbahn wollte wohl den Warendorfer
Bahnhof in das „100 Bahnhöfe-Programm“ aufnehmen, das aber nur den Bau
eines Bahnhofs, nicht aber eines Bahnhofsgebäudes beinhaltete. Das
Bahnhofsgelände sollte verkauft werden. Die Stadt Warendorf suchte noch
eine Lösung, als die Bahn im Januar 2000 Fakten schaffte und das
Bahnhofsgelände an die h&w Immobilien aus Harsewinkel verkaufte. Die
planten auf dem Gelände ein Geschäfts- und Bürogebäude, evtl. auch ein
Ärztezentrum. Den Warendorfern wurde schnell klar, ein richtiges
Bahnhofsgebäude mit Fahrkartenschalter, Auskunft und Gaststätte wird es
wohl nicht mehr geben. In dem Bürogebäude sollte aber im unteren Bereich
ein Aufenthaltsraum mit Fahrplanaushang sein, wo man an einem
Fahrkartenautomaten seinen Fahrschein ziehen konnte.
Am
14. Dezember 2003 wurde dann der „neue Bahnhof“ eingeweiht. Er bestand
aus einem Bahnsteig, einer Unterführung, einem Fahrradparkhaus, einem
Parkplatz und einem großen Bahnhofsvorplatz. Da ein Aufzug für die
Unterführung zu teuer und vor allem zu störanfällig geworden wäre, wurde
ein zweiter Zugang an der Zumlohstraße gebaut. So waren beide Geleise
plangleich erreichbar.
Nun konnte der erste Zug in den neuen Bahnhof einfahren. Die
Deutsche Bahn hatte sich allerdings von dieser Nebenstrecke
verabschiedet, die „Nordwestbahn“ trat die Nachfolge an und präsentierte
der staunenden Bevölkerung einen eleganten, modernen Zug, ausgestattet
mit gepolsterten Sitzen mit Kopfhöreranschlüssen, Fahrkartenautomaten in
den Abteilen und großzügigen Fahrradplätzen. Ja, man konnte sich sogar
für 50 Cent an Getränkeautomaten heißen Kaffee und Tomaten- oder
Spargelsuppe kaufen. Fast geräuschlos schnurrte der Zug Richtung
Münster. Das war wirklich eine neue Bahn Ära. Der Güterverkehr wurde
allerdings ganz eingestellt.
Der Bahnhofsvorplatz wurde aufwändig und großzügig mit vielen
Lampen und einer Arkaden-Baumallee gestaltet, geplant vom Warendorfer
Architektur-Büro Klein/Riesenbeck. Das Bahnhofsgebäude aber wurde zu
einer unendlichen Geschichte. 2003 musste die Immobilienfirma h&w
Konkurs anmelden und auch all die nachfolgenden Investoren kamen zu dem
Schluss: Ein Bürogebäude am Bahnhof rechnet sich nicht! Noch heute
befindet sich neben dem Bahnsteig eine Rasenfläche - vielleicht Gott sei
Dank, denn wenn man sich hier ein dreistöckiges Gebäude vorstellt, dann
könnte das schon sehr beengend wirken.
Auf
den Bahnhofsvorplatz wurde 2009 nach der Auslobung des Wettbewerbs
„Kunst am Bahnhof“ ein Kunstwerk aufgestellt, getreu der Vorschrift „2%
der Bausumme für Kunst am Bau“. Die Jury entschied sich für das
Skulpturenensemble „Urbanes Baumzeichen“ des Beckumer Künstlers
Ulrich Möckel, eine 3,50m hohe Skulptur aus spiegelndem, poliertem
Edelstahl, die mit einer vierteiligen Sitzgruppe aus anthrazitfarbenen
Betonsteinen vor Heitmanns Geschäftshaus an der B64 korrespondiert. Die
Warendorfer Künstler waren nicht sehr begeistert, dass nicht ein
heimischer Künstler, z.B. Demir Demiroski mit seinem Sprinter oder Rolf
Pfand mit einem Warendorfer Schmiedekunstwerk zur künstlerischen
Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes beitragen durften.
Das war einmal unser Bahnhof
Mechtild Wolff
Quellen: Zeitzeugenberichte und eigene Erinnerungen
Werner Ströker: Geschichte(n) aus Warendorf
Presseberichte und Ratsprotokolle
Bilder: Archiv der Altstadtfreunde und Archiv
Wolff
Der erste Warendorfer Bahnhof von
1887
Der 8. Februar 1887 war ein denkwürdiger Tag für Warendorf: Zum ersten Mal fuhr ein Zug in den neu erbauten Bahnhof an der Wallpromenade ein. Auf dem Bahnsteig, damals noch „Perron“ genannt, standen die Honoratioren der Stadt zur Begrüßung bereit, unterstützt von der Stadtkapelle, die „Ein Hoch auf den Kaiser“ spielte. Nun endlich hatte das aufstrebende Landstädtchen den Anschluss an die große, weite Welt bekommen, dafür hatte der Textilfabrikant Hermann Josef Brinkhaus viele Jahre lang gekämpft. Voller Stolz blickten die Warendorfer auf das prachtvolle Bahnhofsgebäude im neugotischen Stil, das sinnigerweise die Form einer Lokomotive hatte.
Schon nach 15 Jahren, im Jahr 1902, wurde dieser
Bahnhof überflüssig. Neben der Ost-Westverbindung nach Münster und Rheda
entstand eine neue Nord-Süd-Bahnlinie. Die Westfälische Landeseisenbahn
hatte eine Strecke von Warendorf über Freckenhorst, Ennigerloh nach
Neubeckum angelegt. Die Bahntrasse konnte aber nicht so gebaut werden,
dass sie am bestehenden Bahnhof mündete, das Lehrerseminar und die
Häuser an der Breede standen im Weg. So musste man sich 1902
entschließen, etwa 500 m weiter westlich einen neuen Bahnhof zu bauen.
Dort konnten sich die beiden Bahnlinien treffen. Vorher wurden aber noch
die Geleise hinter den „Alten Bahnhof“ gelegt - heute verläuft die B64
auf der alten Bahntrasse.
Das alte Bahnhofsgebäude musste nun eine neue
Verwendung finden. Lange wurde es als Finanzamt genutzt und von der
Familie des Seminarlehrers Arthur Rosenstengel bewohnt, der das
ehrwürdige Gebäude zusammen mit seinen 10 hochmusikalischen Kindern mit
den Klängen der Geigen, Harfen, Klarinetten und Trompeten erfüllte. Mit
den Jahren wurde der „Alte Bahnhof“ immer sanierungsbedürftiger und
stand viele Jahre lang leer. Es gab mehrere Pläne, die aber immer den
Abbruch des „Alten Bahnhofs“ vorsahen. Die Stadt widerstand klugerweise
diesen Abbruchanträgen. Vor einigen Jahren kaufte dann ein mutiger
Warendorfer Unternehmer den großen, sehr heruntergekommenen „Alten
Bahnhof“ und verwandelte ihn in elfmonatiger Bauzeit in ein modernes
Büro- und Praxisgebäude. Das historische Aussehen in Lokomotiven-Form
wurde erhalten, die Außenfassade konnte mit neuer Strahltechnik
vorsichtig gereinigt werden und erstrahlte bald im alten Glanz. Das
Innere bekam eine moderne Gestaltung. Im April 2013 wurde der sanierte
„Alte Bahnhof“ der staunenden Öffentlichkeit vorgestellt und schmückt
heute als beherrschendes Gebäude wieder die Wallpromenade.
Wie gut, wenn nicht sofort der Abbruchbagger kommt,
es findet sich irgendwann doch noch eine gute Lösung.
Der
"Alte Bahnhof nach der Sanierung von 2013
Aus der Geschichte Warendorfs:
Als in Warendorf der Kaffeegenuss verboten war
Aus der Warendorfer Eisenbahngeschichte:
Der "Neue Bahnhof" in Warendorf von Mechtild Wolff
Aus der Warendorfer Eisenbahngeschichte:
Der "Alte Bahnhof" in Warendorf
Der Warendorfer Friedhof - Spiegel der Stadtgeschichte
Gebr. Hagedorn und Co, eine Landmaschinenfabrik mit Eisengießerei
Der Warendorfer Friedhof: Spiegel der Stadtgeschichte
Die Fabrikantenfamilie Bispinck
Hochwasserkatastrophen in Warendorf: 1891 - 1946 - 1956 - 1960
von Mechtild Wolff
Das Dezentrale
Stadtmuseum
ist in der Regel an Sonn- und Feiertagen von 15:00 - 17:00 Uhr geöffnet.
Der Eintritt ist frei.