Wenn ich die wunderschön blühenden Apfelbäume sehe, erinnere ich
mich an die glücklichen Augen meines Vaters, wenn er diese
Frühjahrspracht sah. Natürlich erfreute er sich an dem strahlenden
Weiß der Blüten, aber er hatte auch schon die reiche Apfelernte im
Sinn.
Wir hatten selbst in unserem Garten nur wenige
Obstbäume, darum verfolgte Vater mit großem Interesse das Gedeihen der
Äpfel an den Chausseebäumen. Die Landstraße von Warendorf zum Klauenberg
war an der Nordseite mit Apfelbäumen bepflanzt. An der Südseite verlief
seit 1887 die Eisenbahnstrecke. Nach dem 1. Weltkrieg, also in den
Zwanziger Jahren, war unsere Familie Nutznießer dieser
volkswirtschaftlich sehr weisen Anpflanzung. Die ohne Schnitt im
Wildwuchs stehenden Bäume wuchsen prächtig und trugen Äpfel
verschiedener Sorten.
Von der Kreisstraßenbauverwaltung in Warendorf
wurden die Apfelbäume zur Zeit der Reife versteigert. Vorher war das
Pflücken streng verboten. Äpfel aufsuchen durfte man allerdings. Hatte
es in der Nacht gestürmt, weckte uns unsere Mutter um 6 Uhr in der Früh.
Mein älterer Bruder Otto und ich fuhren dann eilig in Richtung
Klauenberg, mit leeren Taschen an den Fahrrädern. Wir mussten einige
Kilometer weit herausfahren, denn es nutzten viele Leute diese gute
Gelegenheit der Fallobsternte. An einem „guten Baum“ – wir wussten
genau, wo die leckeren Äpfel wuchsen – füllten wir schnell unsere
Taschen und radelten schwer bepackt wieder heim. Zu Hause war dann nur
noch Zeit für ein
eiliges
Frühstück, denn wir durften nicht zu spät zur Schule kommen.
Äpfel waren ein sehr wichtiges Lebensmittel in der damaligen Zeit. Jeden Tag gab es zum Mittagessen frisches Apfelmus und auf den sonntäglichen Kaffeetisch gehörte ein selbstgebackener Apfelkuchen. Durch seine gute Lagerfähigkeit war der Apfel im Winter der wichtigste Vitaminspender. „An apple a day keeps the doctor away!“ Diesen englischen Spruch kannten wir damals schon.
Am Tag der Apfelbaum-Versteigerung versammelten sich viele Menschen an der Klauenberger Chaussee. Unser Vater ersteigerte immer einen Block, etwa vier bis fünf Bäume. Wenn er Glück hatte, bekam er die mit den „guten Äpfeln“. Boskop war besonders beliebt, denn die Äpfel konnte man bis Ostern lagern – sofern sie nicht schon gegessen waren. Die ersteigerten Bäume mussten am gleichen Tag abgeerntet werden, danach waren alle Bäume zum Ernten für jedermann freigegeben.
Nach dem Mittagessen wurde bei uns der Bollerwagen mit einer Leiter, zwei Apfelpflückern und mit Taschen beladen. Zwei Kinder zogen den Bollerwagen über die Landstraße Richtung Klauenberg, die anderen kamen mit den Fahrrädern. Gut, dass wir fünf Kinder hatten, jetzt wurden alle helfenden Hände gebraucht.
Hatten
wir die für uns markierten Bäume gefunden, ging es eifrig ans
Pflücken und Aufsuchen. Die Pflückäpfel wurden vorsichtig in den
Bollerwagen gepackt, die Falläpfel kamen in die Taschen. Zur
Kaffeezeit kam unsere Mutter mit dem Fahrrad und brachte uns
Reibekuchen und Saft, ein wohlverdienter Schmaus. Waren unsere Bäume
abgeerntet, zogen wir mit dem hochgefüllten Bollerwagen und schweren
Taschen am Fahrrad gen Heimat. Wir hatten einen anstrengenden, aber
einträglichen Familienausflug erlebt.
Zu Hause füllten wir die Apfelregale im kühlen Keller und waren stolz, für den Wintervorrat gesorgt zu haben.
Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke wurde 1912 in Warendorf
geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern auf. Im
Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen aus ihrem Leben im
Warendorf der 1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von
103 Jahren.
An der Münsterstraße fällt ein
außergewöhnliches Gebäude ins Auge, das Haus des Gesellschaftsclubs
Harmonie. Viele Jahre lang war es ein Blickfang mit seinem charmanten
hellblauen Anstrich.
Die
Gesellschaft Harmonie ist mit ihrer über 200jährigen Geschichte der
älteste Gesellschaftsclub unserer Stadt. Gegründet wurde er im Jahr 1810
von 24 Warendorfer Bürgern, deren Ziel es war „in einem ausgesuchten
Kreise gesitteter Menschen die Freuden des gesellschaftlichen Lebens zu
genießen“, so berichtet der Chronist Wilhelm Zuhorn. Die Mitglieder
sollten aus Warendorf und seiner näheren Umgebung kommen.
1810, das war mitten in den Wirren der napoleonischen Zeit,
einer Zeit, in der die Macht der Stände und Zünfte zu bröckeln begann.
Die städtische Gesellschaft versuchte sich neu zu formieren, suchte nach
einer neuen Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens. Das Bedürfnis nach
Geselligkeit war groß, denn im Warendorf der damaligen Zeit gab es nur
wenig öffentliches Kulturleben. Schon bald nach der Gründung wurde
beschlossen, ein Gesellschaftshaus vom Münsteraner Baumeister Falger
errichten zu lassen, „zu dem nur Gleichstehende und Gleichgesinnte
Zutritt haben würden.“
1811 bezog die Gesellschaft Harmonie das elegante Haus an der
Münsterstraße Nr.12. 1846 wurde der Festsaal angebaut, der durch zwei
korinthische Säulenreihen in drei Schiffe aufgeteilt wurde. Er ist im
Originalzustand erhalten, mit einem wunderschönen Holz-Mosaik im
Fußboden und den beiden Majolika-Kachelöfen in den Nischen der
Stirnwand. Diese Kachelöfen ersetzen seit 1907 die einstigen Eisenöfen.
Beachtenswert ist auch der Balkon an der Stirnwand. Hier saß das
Orchester, das zu den Festlichkeiten aufspielte. Hinter der recht hohen
Balustrade verschwanden die Musiker - so wurden sie weder von den
Festteilnehmern gesehen, noch konnten sie in den Festverlauf Einblick
nehmen.
Den Bauplan für den Saalanbau entwarf der Dortmunder
Regierungsbaurat Niermann. Er orientierte sich ganz offensichtlich an
dem großen Berliner Baumeister Schinkel, der im Potsdamer Zivilkasino
1821-23 einen ähnlich eleganten Tanzsaal gestaltet hatte.
Auch der prächtige Kronleuchter wurde eigens in Berlin bei der
Fa. Menke und Co. für 182 Taler gefertigt. Die Ähnlichkeit mit dem
schinkelschen Lüster aus dem Königssaal des Prinz-Carl-Palais in der
Berliner Wilhelmstraße ist unverkennbar. Nicht zu unrecht wird der Saal
der Gesellschaft Harmonie als „einer der schönsten klassizistischen
Innenräume Westfalen“ bezeichnet.
Bemerkenswert ist auch, dass mit dem Bau des Saales 1846 im
Garten der Harmonie die erste Gasanstalt in Warendorf gebaute und
betrieben wurde. Aus Öl und Tran und Harz wurde ein sehr helles Gas
hergestellt, das die Räume in einem ungewohnten Glanz erstrahlen ließ.
Als im Jahr 1846, kurz nach Fertigstellung des Saales, der
oberste Landesherr, König Friedrich Wilhelm IV. bei seiner Rückreise von
Münster nach Berlin in Warendorf Station machte, wurde er in den
prächtigen Räumen der Harmonie empfangen. Er sprach sich lobend über das
Gesellschaftshaus und seine schöne Einrichtung aus. Bei dieser
Gelegenheit würdigte er Franz Joseph Zumloh, den Stifter des
Josephs-Hospitals und ehrte seine Verdienste durch die Verleihung des
Roten Adlerordens.
Die
Gesellschaft Harmonie wurde als Herrenclub gegründet. Die täglichen
Clubzeiten wurden von nachmittags 5 Uhr bis abends 10 Uhr festgelegt und
an Sonn- und Feiertagen von 10-12 Uhr vormittags. In dieser Zeit trafen
sich die Clubmitglieder zwanglos in den Clubräumen der Harmonie. Es war
vorsorglich festgelegt worden, dass die Unterhaltung und das Spiel in
getrennten Räumen stattfinden sollten, damit sich niemand gestört
fühlte.
Wilhelm Zuhorn beschreibt in seiner Festschrift zum 100.
Geburtstag der Gesellschaft Harmonie im Jahr 1910, dass der neu
gegründete Gesellschaftsclub großen Anklang fand. Schon bald war die
Elite der Bürgerschaft in der Harmonie vereinigt. Die neue Gesellschaft
bot ihren Mitgliedern, die auf die tägliche Pflege des geselligen Lebens
Wert legten, einen ihnen entsprechenden Rahmen. Hier konnte jeder nach
erfüllter Pflicht und vollbrachter Arbeit die ihm zusagende Gesellschaft
und Erholung finden.
Wer sich über öffentliche Angelegenheiten unterhalten wollte,
fand hier immer Gleichgesinnte. Geschäftsleute konnten ihre Erfahrungen
und Meinungen austauschen. Liebhaber der Literatur und der
Zeitungslektüre fanden im Lesezimmer genügend literarische Erzeugnisse
und die bedeutenden Zeitungen und Zeitschriften des Landes. Besonders
begünstigt waren die Musikfreunde. Im Musikzimmer stellte der Club ihnen
Musikinstrumente aller Art zur Verfügung. Als Gegenleistung mussten die
Musiker einmal im Monat ein Konzert geben.
Den Freunden des Spiels stand täglich der Saal zur Verfügung,
wo Domino und Schach gespielt wurden. Besonders beliebt waren die
Kartenspiele. Für die Billardspieler stand ein separater Billardraum
bereit.
Bei gut betuchten Gutsbesitzern hatte das gesellschaftliche
Leben im Club Harmonie einen so hohen Stellenwert, dass sie eine
Winterwohnung in Warendorf unterhielten, um am regen Clubleben
teilnehmen zu können. Die schlechten Wegeverhältnisse hätten ihnen sonst
den Besuch im Club Harmonie nur selten möglich gemacht.
In ihren Jugenderinnerungen an Warendorf erzählt Hanni
Ewringmann über die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihr Vater Hugo
Ewringmann war von 1904-1924 Bürgermeister der Stadt Warendorf. Nach
Dienstschluss ging er gern in den Club, um ein Gläschen Bier zu trinken
und eine Partie Billard mit dem Fabrikanten Brinkhaus zu spielen. Mit
dem Postdirektor Hiepe diskutierte er die Weiterentwicklung des
Emsstädtchens und Kaufmann Jülkenbeck drängte immer wieder darauf, dass
die geplante Wasserleitung endlich gebaut werden sollte. Landrat
Gerbaulet rauchte die lange Pfeife mit ihm und beide überlegten, wie ein
Elektrizitätswerk zu finanzieren sei, damit auch Warendorf mit
elektrischem Strom versorgt werden konnte. In zwangloser Atmosphäre
wurden hier viele fruchtbare Gespräche geführt.
All diese Annehmlichkeiten konnten nur gewährleistet werden,
weil der Hausverwalter, der Kastellan, zusammen mit seiner Frau für den
reibungslosen Ablauf im Club-Haus sorgte. Er wohnte im Haus und stand
immer zur Verfügung.
Die wesentlichen Aufgaben waren aber auf die Mitglieder des
Direktoriums verteilt: Da gab es schon zur Gründungszeit neben dem
Direktor, den Sekretär, den Zeremonienmeister, den Ökonomen, den 1.
Kellermeister, der für die Weinvorräte zuständig war, den 2.
Kellermeister, der immer frisches Bier bereithielt, den Kassierer, den
Bibliothekar, den Musikdirektor und den Garteninspektor. An jedem 1.
Werktag des Monats fand die Generalversammlung statt, auf der alle
wichtigen Entscheidungen für den Club getroffen wurden.
Der
Höhepunkt des gesellschaftlichen Lebens war das Stiftungsfest am 6.
Januar. Dieser Dreikönigsball war auch 1910 der Glanzpunkt des 100
jährigen Jubiläums. Die Herren erschienen vorschriftsmäßig im Frack und
mit weißen Glacéhandschuhen und die Ehefrauen und Töchter glänzten in
großer Abendgarderobe. Die Damen durften anfangs nur die Bälle und
Konzerte im Club besuchen. Später wurde ihnen erlaubt, an den
Nachmittagen Damengesellschaften im Damenzimmer abzuhalten und mit ihren
Familien sonntags nachmittags im Saal oder in der Damenhalle im Garten
Kaffee zu trinken. Seit 1927 wurden auch alleinstehende Frauen als
außerordentliche Mitglieder aufgenommen.
Schon bei Anlegung des Gartens 1811 wurde eine Kegelbahn
eingerichtet, um den Mitgliedern dieses gesunde und unterhaltende Spiel
zu ermöglichen. Zuerst war die Kegelbahn unter freiem Himmel, später
wurde sie sogar überdacht.
1880 wurde im Garten eine Damenhalle errichtet, die leicht
verändert erhalten ist. Außerdem gab es von 1923-1928 einen
Lawn-Tennisplatz im Club-Garten, der besonders von den Damen gern
benutzt wurde.
Bis zum ersten Weltkrieg behielt die Gesellschaft Harmonie ihre
hohe gesellschaftliche Bedeutung in Warendorf. Ab 1914 wurde mit
Rücksicht auf die Kriegszeit von gesellschaftlichen Veranstaltungen
abgesehen. Nach dem Krieg belebte sich das Clubleben wieder, zumal viele
Aktivitäten gemeinsam mit dem Tennisclub stattfanden. Die Inflation
Anfang der 1920er Jahre bedeutete eine weitere schwere Belastung für die
Gesellschaft. Eine Verschärfung der Situation trat durch die
Machtübernahme Hitlers ein. Clubgesellschaften galten den neuen
Machthabern grundsätzlich als reaktionär und unzuverlässig. Um die
Machthaber zufrieden zu stellen, wurden Clubräume für Versammlungen der
NSDAP zur Verfügung gestellt. Das bewahrte den Verein aber nicht davor,
dass 1935 von der Partei die Herausgabe des gesamten Clubhauses an der
Münster-straße gefordert wurde. Das war eine indirekte Aufforderung zur
Auflösung der Gesellschaft. Ab 1936 wurden die Veranstaltungen der
Harmonie von der SA gezielt gestört, Scheiben des Harmoniegebäudes
wurden eingeworfen, geparkte Autos beschädigt und Beleidigungen
ausgerufen: „Alle Mitglieder der Harmonie sind Lumpen!“ Die Tatsache,
dass mehrere Club-Mitglieder der NSDAP angehörten, half der Gesellschaft
nicht. Um sich der Auflösung von Seiten des Regimes zu entziehen kam es
zu einer Fusion zwischen dem Tennisclub und der Harmonie, denn
Sportvereine waren unverdächtig und entsprachen der
national-sozialistischen Ideologie. Man feierte nun zusammen, wenngleich
die unbeschwerte Festfreude Vergangenheit war.
1941 wurde die Gesellschaft Harmonie als „Brun-Warendorp-Haus“
in eine NS- Gesellschaft umgewandelt, die sich an der
nationalsozialistischen Kulturpflege beteiligen sollte. Dr. Rohleder
hatte diesen Namen vorgeschlagen. Brun Warendorp entstammte einem
Warendorfer Geschlecht und war im 14. Jahr-hundert Bürgermeister von
Lübeck gewesen.
In die Clubräume zog nun die Kreisbauernschaft ein, zwei Räume
waren mit einem Kindergarten belegt und 1943 wurden auch die Bestände
des Kreismuseums eingelagert. Sogar die Kegelbahn wurde von einer in
Münster ausgebombten Firma belegt. Dem Club blieb nur ein Raum zum
Unterstellen seiner Möbel. An Clubaktivitäten war wegen des Krieges
sowieso nicht zu denken.
Nach Kriegsende, am 13. Januar 1948 wurde die „Gesellschaft
Harmonie“ beim Amtsgericht Warendorf als Nr. 1 im Vereinsregister wieder
eingetragen. Die Satzung von 1931 trat wieder in Kraft. Dem
Nationalsozialismus war es nicht gelungen, den Clubgedanken
auszulöschen. Der neue Anfang war schwer. Das Clubhaus stand der
Gesellschaft zwar wieder zur Verfügung, aber die Gesellschaft Harmonie
konnte die hohen Unterhaltskosten und die fälligen Reno-vierungskosten
für das gesamte Haus nicht mehr aufbringen. Durch die Währungsreform
hatte der Club sein gesamtes Barvermögen verloren. Darum entschloss sich
die Gesellschaft zu einer Vermietung an den Kreis Warendorf, der den
Saal, das Damenzimmer, das frühere Bibliothekszimmer und den dahinter
liegenden Raum für das Kreisheimatmuseum zu einem Mietzins von 158,00 DM
monatlich anmietete. Ein Glücksfall für die Harmonie, denn der Kreis
beteiligte sich maßgeblich an der Renovierung des Saales, der im 2.
Weltkrieg während der Nutzung durch die Landesbauernschaft sehr gelitten
hatte. Schon damals hatte der Provinzialkonservator das Harmonie-Gebäude
zu einem Bauwerk öffentlichen Interesses erklärt.
Bis zur Eröffnung des Museums vergingen noch zwei Jahre. In
dieser Zeit standen die Räume aber nicht leer. Die Raumknappheit der
Nachkriegsjahre weckte viele Begehrlichkeiten. Das Aufbaugymnasium
erteilte hier seinen evangelischen Religionsunterricht, Studienrat
Klessing gestaltete Schulaus-stellungen und sogar der Kreis hielt hier
gelegentliche Sitzungen des Kreistages ab.
Für das neue Kreisheimatmuseum war diese Unterbringung in dem
klassizistischen Gebäude ein Glücksfall, denn solch ein eindrucksvolles
Domizil hatte das Museum noch nie gehabt. Unter der Leitung von Josef
Goeken wurde es zu einer großen Bereicherung des Warendorfer
Kulturlebens. Auch Warendorfer Künstler bekamen Gelegenheit, hier ihre
Werke auszustellen. Ich erinnere mich noch gerne an die
Krippenwettbewerbe, die in den 1950er Jahren in der Vor-Weihnachtszeit
stattfanden. Auch Schüler gestalteten Krippen aus Ton, Holz, Stoff oder
Plasteline, die in einer feierlichen Preisverleihung prämiert wurden.
Die heimischen Musiker konnten hier in gediegener Atmosphäre mit kleinen
Konzerten ihr Können präsentieren.
Gegen Ende der 1950er Jahre verschärften sich die finanziellen
Probleme des Gesellschaftsclubs wieder. Der Erhalt des Hauses verschlang
viel Geld, zumal jetzt noch das Dach undicht war und ein Anstrich des
Hauses anstand.
Der Vorstand des Vereins suchte einen finanzstärkeren Mieter,
der 1960 mit der Deutschen Bank gefunden wurde. Nach schwierigen
Verhandlungen, in denen sogar der Abriss des Gebäudes und kompletter
Neubau in Erwägung gezogen wurde, zog die Deutsche Bank 1962 mit ihren
Geschäftsräumen ein. Der Saal und die Nebenräume blieben dadurch in
ihrem Originalzustand erhalten.
1977 beendete die Deutsche Bank das Mietverhältnis und ein
Antiquitäten-geschäft zog ein. Für das Kulturleben in Warendorf war das
eine schöne Lösung, denn nun fanden in dem wunderschönen Saal wieder
Ausstellungen und romantische Konzerte statt, die gerne besucht wurden.
Nun sind seit vielen Jahren die Räume an ein Modegeschäft vermietet. Die
Warendorfer Bürger können täglich die Schönheit des ehemaligen
Ballsaales bewundern.
Für
das Clubleben steht nur noch das „Herrenzimmer“ zur Verfügung, jetzt
„Gesellschaftszimmer“ genannt und das Kaminzimmer, früher Billardzimmer.
Im Kaminzimmer befindet sich ein alter Warendorfer Küchenkamin, ein
prächtiger Renaissance-Kamin aus Baumberger Sandstein. Der Fries ist mit
dem Namen und der Hausmarke des Besitzers geschmückt und zeigt die
Jahreszahl 1552. Der friesartige hohe Steinrahmen des Kamins ruht auf
weit ausladenden Kragsteinen und tritt im Gegensatz zu den hölzernen
Rauchfängen relativ gering aus der Wand hervor.
Die etwas jüngeren Volutenkragsteine ent-stammen dem
Pagenstecherschen Hause auf der Freckenhorster-Straße. Sie zeigen das
Wappen mit dem geflügelten Pferd und den drei Stech-palmenblättern. Das
weist auf den Namen Pagenstecher hin. Er bedeutet (page = Pferd) soviel
wie: Der Mann, der vom Pferde aus mit der Lanze sticht.
Der Renaissance-Kamin aus dem Haus Freckenhorster-Straße 27
gehörte seit 1552 der Familie Hughe. Sie waren Kupferschmiede und
prägten für die Stadt im 16. Jahrhundert die Kupfermünzen. Dieser
bedeutende alte Küchen-Kamin kam wohl 1932 in den Besitz der
Gesellschaft Harmonie, als das Haus Freckenhorsterstraße 27 von der
Familie Eselgrim an die Sparkasse verkauft wurde, die es dann abriss, um
das große Sparkassengebäude zu errichten.
Trotz aller Bedrängnisse und aller gesellschaftlichen
Veränderungen ist die Gesellschaft Harmonie bis heute ein lebendiger
Gesellschaftsclub geblieben.
In der Mitte des Gartens stand eine prächtige
Blutbuche, die bei der Anlage des Clubgartens 1854 gepflanzt wurde. Sie
wurde gegen den Willen der Besitzer 1937 von Landrat Gerdes in das
„Naturdenkmalbuch des Kreises Warendorf“ eingetragen. 1960 wurde die
Blutbuche von der Stadt Warendorf als Naturdenkmal eingetragen. 2016
musste sie leider wegen eines Pilzbefalls gefällt werden.
Die alte Gaslaterne im Garten ist eine der letzten Zeitzeugen der Gasbeleuchtung in Warendorfs Straßen. Nicht überlebt hat die Kegelbahn, die beim Bau des Hauses an der östlichen Mauer eingerichtet wurde. Zuerst war die Kegelbahn unter freiem Himmel, später wurde sie sogar überdacht. Heute ist sie leider abgerissen, sie musste dem Bau von Parkplätzen weichen.
1880 wurde im Garten eine Damenhalle errichtet. Sie wurde im
Laufe der vielen Jahrzehnte vielfach verändert und dem Zeitgeschmack
angepasst.
die Damenhalle um heute und um 1920
Quellen:
Wilhelm Zuhorn: Die Gesellschaft Harmonie zu Warendorf
1810-1910
Johannes Nowak: Die Geschichte der Gesellschaft Harmonie
1910-1970
Hanni Ewringmann: Meine Jugenderinnerungen an Warendorf
Bilder: Bildarchiv des Kreises Warendorf, Archiv Wolff
Text: Mechtild Wolff
Wenn ich die wunderschön blühenden Apfelbäume sehe, erinnere ich
mich an die glücklichen Augen meines Vaters, wenn er diese
Frühjahrspracht sah. Natürlich erfreute er sich an dem strahlenden
Weiß der Blüten, aber er hatte auch schon die reiche Apfelernte im
Sinn.
Wir hatten selbst in unserem Garten nur wenige
Obstbäume, darum verfolgte Vater mit großem Interesse das Gedeihen der
Äpfel an den Chausseebäumen. Die Landstraße von Warendorf zum Klauenberg
war an der Nordseite mit Apfelbäumen bepflanzt. An der Südseite verlief
seit 1887 die Eisenbahnstrecke. Nach dem 1. Weltkrieg, also in den
Zwanziger Jahren, war unsere Familie Nutznießer dieser
volkswirtschaftlich sehr weisen Anpflanzung. Die ohne Schnitt im
Wildwuchs stehenden Bäume wuchsen prächtig und trugen Äpfel
verschiedener Sorten.
Von der Kreisstraßenbauverwaltung in Warendorf
wurden die Apfelbäume zur Zeit der Reife versteigert. Vorher war das
Pflücken streng verboten. Äpfel aufsuchen durfte man allerdings. Hatte
es in der Nacht gestürmt, weckte uns unsere Mutter um 6 Uhr in der Früh.
Mein älterer Bruder Otto und ich fuhren dann eilig in Richtung
Klauenberg, mit leeren Taschen an den Fahrrädern. Wir mussten einige
Kilometer weit herausfahren, denn es nutzten viele Leute diese gute
Gelegenheit der Fallobsternte. An einem „guten Baum“ – wir wussten
genau, wo die leckeren Äpfel wuchsen – füllten wir schnell unsere
Taschen und radelten schwer bepackt wieder heim. Zu Hause war dann nur
noch Zeit für ein
eiliges
Frühstück, denn wir durften nicht zu spät zur Schule kommen.
Äpfel waren ein sehr wichtiges Lebensmittel in der damaligen Zeit. Jeden Tag gab es zum Mittagessen frisches Apfelmus und auf den sonntäglichen Kaffeetisch gehörte ein selbstgebackener Apfelkuchen. Durch seine gute Lagerfähigkeit war der Apfel im Winter der wichtigste Vitaminspender. „An apple a day keeps the doctor away!“ Diesen englischen Spruch kannten wir damals schon.
Am Tag der Apfelbaum-Versteigerung versammelten sich viele Menschen an der Klauenberger Chaussee. Unser Vater ersteigerte immer einen Block, etwa vier bis fünf Bäume. Wenn er Glück hatte, bekam er die mit den „guten Äpfeln“. Boskop war besonders beliebt, denn die Äpfel konnte man bis Ostern lagern – sofern sie nicht schon gegessen waren. Die ersteigerten Bäume mussten am gleichen Tag abgeerntet werden, danach waren alle Bäume zum Ernten für jedermann freigegeben.
Nach dem Mittagessen wurde bei uns der Bollerwagen mit einer Leiter, zwei Apfelpflückern und mit Taschen beladen. Zwei Kinder zogen den Bollerwagen über die Landstraße Richtung Klauenberg, die anderen kamen mit den Fahrrädern. Gut, dass wir fünf Kinder hatten, jetzt wurden alle helfenden Hände gebraucht.
Hatten
wir die für uns markierten Bäume gefunden, ging es eifrig ans
Pflücken und Aufsuchen. Die Pflückäpfel wurden vorsichtig in den
Bollerwagen gepackt, die Falläpfel kamen in die Taschen. Zur
Kaffeezeit kam unsere Mutter mit dem Fahrrad und brachte uns
Reibekuchen und Saft, ein wohlverdienter Schmaus. Waren unsere Bäume
abgeerntet, zogen wir mit dem hochgefüllten Bollerwagen und schweren
Taschen am Fahrrad gen Heimat. Wir hatten einen anstrengenden, aber
einträglichen Familienausflug erlebt.
Zu Hause füllten wir die Apfelregale im kühlen Keller und waren stolz, für den Wintervorrat gesorgt zu haben.
Wie
stolz waren wir, als wir vor 50 Jahren unseren ersten
Kühlschrank bekamen. Erfindergeist und die Elektrifizierung
hatten den Schritt vom Eisschrank zum Kühlschrank gemacht. Der
Eisschrank war etwa ab 1900 eine nützliche Einrichtung für
Hotels und Großbetriebe.
Diese
Kühlmöglichkeit wurde durch Eis, natürliches und später
künstliches, möglich gemacht. Auch in einigen Privathaushalten
gab es diese recht unförmigen Eisschränke, die sehr teuer waren.
Der Nutzraum war klein, denn dieser Schrank wurde mit Eis
gefüllt.
Aber woher kam das Eis? In Warendorf war das Wasser der Ems hier
sehr nützlich. Ich gehe mit meiner Erzählung zurück in die
20er-Jahre. Die Winter waren damals sehr kalt, 20 Grad unter 0
waren damals keine Seltenheit. Die Ems war wochenlang
zugefroren. 1927 und 1928 konnten wir über drei Wochen lang auf
der zugefrorenen Ems Schlittschuh laufen. Natürlich oberhalb des
Wehres, also liefen wir von der Emsbrücke bis zur Herrlichkeit
oder bis zu Bauer Sechelmann in Vohren. Unterhalb der Stadt gab
es den Emskamp, einen toten Emsarm am Münstertor, am Ende der
Fischerstraße gelegen. Ein etwa drei Meter breiter Uferweg
trennte diesen alten Emsarm von der nördlich vorbeifließenden
Ems.
Bei
jedem Hochwasser füllte sich der Emskamp bis zum Rand mit Wasser
aus der Ems. Auf diesem stehenden Gewässer bildete sich bei
Frost eine dicke Eisdecke..
Der Eiskellerbesitzer Ahlke heuerte Kötter und Landwirte an, die
sogenannten Eisbauern, die in mühevoller Arbeit dieses Eis in
seinen Eiskeller brachten. Die starken Männer sägten oder
sprengten Löcher in die Eisdecke und zogen mit Eisharken die
großen Eisstücke heraus und brachten sie oft mit schwerem Gerät
an Land.
Große Kastenwagen wurden mit dem Eis beladen. Zwei dicke,
schwere Belgier Pferde mussten harte Arbeit leisten, wenn sie
den Wagen die hartgefrorene Böschung am Emskamp hochzogen. Mit
anspornenden Zurufen und Peitschengeknall ratterte das
Pferdefuhrwerk dann über die Brinkstraße, den Wilhelmsplatz,
durchs Münstertor, über den Münsterwall, um die Neue Kirche
herum und durch die Hohe Straße zu Ahlkes Eiskeller an der
Kolkstiege. Diese mit Eis beladenen Wagen donnerten mehrmals am
Tage über das gefrorene Steinpflaster an unserem Haus vorbei und
erregten immer wieder das Interesse von uns Kindern. Wir liefen
hinter dem Wagen her bis zum Emskolk und beobachteten voller
Spannung, wie das Eis durch Fensterlöcher über Holzrutschen in
die Tiefe des Kellers befördert wurde. Setzte Tauwetter ein,
wurden die Fenster des Eiskellers schnell zugemauert.
Dieser Eiskeller war so kalt, dass die Eisblöcke bis zum
nächsten Winter gefroren blieben.
Bis heute ist der fensterlose Bau des Eiskellers an der
Kolkstiege zu sehen. Besonders im Sommerhalbjahr brachte die
Nutzung des Eises Arbeit und Verdienst. Im Innenhof der Firma
Ahlke an der Lüningerstraße wurde die schwere Eisentür zum
Eiskeller geöffnet und das Eis nach Bedarf herausgeholt.
Eisschränke mussten regelmäßig mit neuem Eis befüllt werden. Die
Versorgung klappte auf Bestellung. Ein starker Mann brachte den
dicken Eisblock ins Haus. Als Schutz gegen die Kälte und das
Tropfwasser hatte er über der linken Schulter einen Lederschurz.
Darauf legte er das großes Stück Eis, später eine Eisstange,
etwa 40-50 cm lang und 15 cm im Durchmesser. Sie wog bis zu 45
kg und wurde mit 2 Eisenharken hochgehievt.Hauptabnehmer waren
Restaurants, Hotels und Fleischereien, aber auch Apotheken und
Krankenhäuser. Lebensmittelvorräte und Medikamente hatten durch
die Kühlung eine wesentlich längere Haltbarkeit. Getränke, vor
allem das Bier, wurden schon damals gern gekühlt getrunken.
Diese so genannten Eiskisten baute jeder Betrieb nach Bedarf.
Gut isoliert und immer mit Eis gefüllt waren sie die Vorstufen
für die Kühlschränke. Diese Art der Kühlung war mit viel Arbeit
verbunden, aber man war froh, eine Kühlmöglichkeit zu haben.
Erst durch die Elektrifizierung im ganzen Land entwickelte die
Industrie ein breites Angebot an Kühlschränken, Kühltruhen und
großen Kühleinrichtungen.Man macht sich heute keinen Begriff
mehr von der Mühe, die es noch vor 50 Jahren kostete, die
täglichen Lebensmittel kühl und haltbar zu machen. Im Sommer
gehörte es zu den täglichen Notwendigkeiten, nach jeder Mahlzeit
die Lebensmittel in den Keller zu tragen. Im Winter stellte man
sie draußen auf die Fensterbank.
Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke
wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs in
einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern auf.
Im Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen
aus ihrem Leben im Warendorf der 1920er Jahre
aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von 103
Jahren.
Bild: Archiv der Altstadtfreunde Warendorf
alle Rechte vorbehalten: Eugenie Haunhorst 2006
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Das Dezentrale
Stadtmuseum
ist in der Regel an Sonn- und Feiertagen von 15:00 - 17:00 Uhr
geöffnet.
Der Eintritt ist frei.