Geschichte der Firma H. Brinkhaus  1879-2011
von Mechtild Wolff
Teil 3: Von den 30er Jahrern  bis zu den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts

Das „Dritte Reich“

Mit der Wahl Adolf Hitlers kamen schwere Zeiten auf die Firma zu. In der 1934 erlassenen Faserstoffverordnung wurde die Beimischung von Zellwolle angeordnet. Das Wirtschaftssystem der Nationalsozialisten machte es der Textilindustrie immer schwerer, die hochwertige Baumwolle aus den USA und Ägypten einzuführen. Notgedrungen stieg man auf Zellwolle um. Auch für die aufwändige Türkisch-Rot-Färberei fehlten die Rohstoffe. Aber Not macht erfinderisch! Das von den IG-Farben entwickelte Indra-Rot erwies sich als lichtechter und leichter herzustellen.

Die Autarkiebestrebungen und Devisenbeschränkungen der Nationalsozialisten wurden ein gefährlicher Hemmschuh für die Textilindustrie und versprachen für die Zukunft nichts Gutes.

Mit der Einführung der allgemeinen Wehrplicht wurden dem Betrieb wichtige Fachkräfte entzogen. Dieser Aderlass konnte kaum kompensiert werden. Die wöchentlichen Arbeitsstunden wurden auf 28 herabgesetzt. Die doppelverdienenden Ehefrauen mussten laut Anordnung entlassen werden, genau so die Alten. Ein schmerzlicher Aderlass erfahrener Arbeitskräfte. 1936 sank die Belegschaft von 700 auf 500 Mitarbeiter.

Trotz der schwierigen Geschäftslage, oder vielleicht gerade deswegen, formierte sich 1934 aus der Belegschaft heraus mit einem Trommler- und Pfeiferkorps eine 36 Mann starke Werkskapelle, die von dem kaufmännischen Angestellten Josef Brockamp geleitet wurde. Sie wurde ein wichtiger Teil der Betriebsgemeinschaft, die bei Betriebsfest, Jubiläen und Festlichkeiten für die richtige Stimmung sorgte.

 

Wieder Krieg!

Der 2. Weltkrieg war eine Zeit härtester Prüfung. Mit vielen Werksangehörigen teilte Hermann Josef Brinkhaus das Schicksal, schon im September 1939 als aktiver Soldat an die Front ziehen zu müssen. Sein Vetter Hermann Gustav hielt die Stellung in der Geschäftsleitung. Er wurde am 2. Dezember 1939 Prokurist der Firma. Wegen der schweren Erkrankung seines Vaters Fritz Brinkhaus musste er während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren die Verantwortung für die Firma allein tragen. Dabei kamen ihm seine gründliche berufliche Ausbildung und sein betriebswirtschaftliches Talent gut zustatten. Nach seinem Abitur hatte er eine dreijährige Ausbildung in führenden Einzelhandelsgeschäften in Oldenburg und in Berlin absolviert. Am Technikum für Textilindustrie in Reutlingen studierte er zwei Semester, in einer englischen Textilmaschinenfirma und in Bielefeld sammelte er Erfahrungen im technischen Bereich. Seit 1933 hat er  eine gründliche Ausbildung in allen Abteilungen der Firma Brinkhaus durchlaufen. Nun stand er vor einer äußerst schwierigen Situation. Für die Weiterführung des Betriebes standen ihm nur wenige berufserfahrene Mitarbeiter zur Verfügung. Im Stammwerk in Warendorf liefen noch 60 Stühle, das Werk in Sassenberg stand schon seit Oktober 1939 still, das Freckenhorster Werk wurde erst am 15. Mai 1942 stillgelegt und beschlagnahmt.

Inlett wurde nur noch in mäßigem Umfang herstellt und auch das nur aus reiner Zellwolle und in der vom Reich vorgeschriebenen Einheitsqualität. Das Fabrikationsprogram beschränkte sich bald auf Zeltbahnstoffe und Tarnstoffe für die Wehrmacht. Im Frühjahr 1944 sollten behelfsmäßige Volksgasmasken hergestellt werden, was aber wegen der Zerstörung der vorgeschalteten Zulieferfirmen nicht mehr zum Tragen kam.

 

Die schwierigen Nachkriegsjahre

Trotz der zwangsweisen Einquartierung fremder Firmen auf den Firmengeländen, die zum Teil erst 1949 herausgeklagt werden konnten, hielten sich die Kriegsschäden in Grenzen. Völlig sinnlos wurde Ostern 1945 kurz vor dem Einmarsch der Alliierten die benachbarte Emsbrücke gesprengt. Dabei gingen fast alle Glasscheiben im Stammwerk zu Bruch. Kurz darauf besetzten die Amerikaner den Betrieb in Warendorf, während Sassenberg und Freckenhorst verschont blieb. In den ersten wirren Nachkriegstagen wurde der Warendorfer Betrieb von Fremdarbeitern, befreiten Kriegsgefangenen, aber auch von Bewohnern der Stadt geplündert. Den Rest der geretteten Fertigwaren beschlagnahmten die Besatzer! Viele Jahre lang wurden die Privathäuser der Firmeninhaber und die Betriebswohnungen beschlagnahmt, der Betrieb durfte nicht betreten werden.

Nach sechs Wochen räumten die Besatzer die Firma und die Instandsetzungsarbeiten konnten beginnen. Mit 30 alten, erfahrenen Webern startete der Neubeginn, der am 6. August durch das „Permit to Re-Open“ der Geschäftsleitung die Möglichkeit gab, Inlett, Matratzendrell und Bettwäsche zu weben. Es durfte aber nur nachts von 9 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gearbeitet werden, damit der Nachtstrom ausgenutzt wurde. Wegen der Ausgangssperre durfte die Belegschaft das Betriebsgelände nachts aber nicht verlassen. Ab dem 19. September 1945 durfte das Telefon für Ortsgespräche wieder benutzt werden. Erst ab Juli 1947 konnten Ferngespräche oder Auslandsgespräche geführt werden und Auslandstelegramme aufgegeben werden.

Das größte Problem aber stellte die unzureichende Versorgung mit Kohle und Baumwollgarn dar. Da die hochwertige Baumwolle für Inlett ganz fehlte, webte man Zellwoll-Inlett, Nesselgewebe, Blauköper, Hemdentuche etc. Viel Zeit und Energie musste aufgewendet werden für das Ausfüllen der Bezugscheine, der endlosen Fragebögen und Meldeformulare und der Beachtung der behördlichen Vorschriften. Einen nicht zu unterschätzenden Vorteil in dem Dschungel der wenig zugängigen deutschen Behörden und englischen Verwaltungsstellen war die Tatsache, dass in den ersten Nachkriegsjahren sowohl die Regierungsbehörde als auch das Landeswirtschaftsamt seinen Sitz in Warendorf hatte.

Als hätte sich alles gegen Warendorf verschworen, brachte die Ems im Februar 1946 die größte Überschwemmung aller Zeiten. Die Firma Brinkhaus als direkter Anlieger hatte riesige Schäden, der Websaal, die Büros, alles stand 80 cm unter Wasser. Es dauerte sechs Wochen lang, ehe die Produktion wieder beginnen konnte.

In dieser schwierigen Zeit starb am 6. März 1946 der Seniorchef Fritz Brinkhaus nach langem Leiden im Alter von 71 Jahren. 40 Jahre lang war er ein verdienstvolles, allseits beliebtes und geachtetes Mitglied der Geschäftsleitung gewesen. das Wohlergehen seiner Belegschaft hatte für ihn immer einen hohen Stellenwert. Da Haus Bleiche noch von der Besatzungsmacht belegt war, wurde er im Konferenzzimmer der Firma aufgebahrt. An dem Trauerzug nahmen neben den zahlreichen Familienangehörigen und der gesamten Belegschaft, die damals aber noch unter 100 Mitarbeiter zählte auch viele Warendorfer Bürger teil. Auswärtige Trauergäste und Geschäftsfreunde fehlten allerdings ganz wegen der schwierigen Transportsituation. Auch Hermann Josef Brinkhaus konnte nicht an der Beisetzung teilnehmen. Er war im September 1945 im Zuge einer automatischen Verhaftungswelle von den Siegermächten verhaftet worden und ins Zuchthaus nach Münster verschleppt worden. Seine Teilnahme am Kriegsgeschehen als Offizier wurde ihm zum Verhängnis. Erst nach 18 monatiger Internierungshaft wurde er im März 1947 wieder entlassen. Seine Pläne für den Wiederaufbau und Ausbau des Werkes haben ihn in dieser schwierigen Zeit aufrechterhalten.

In seiner Abwesenheit übernahm sein Bruder Hermann Bernhard (genannt Käpten) Brinkhaus, der zweite Sohn des ehemaligen Seniorchefs Bernhard Brinkhaus, die Verantwortung in der Geschäftsführung. Nach seiner aktiven Zeit als Seeoffizier war er 1923 in die Firma eingetreten und hatte als Vertreter im Münsterland und im Ruhrgebiet für gute Umsätze gesorgt. An seinem Geburtstag am 19. April 1947 trat er als Prokurist in die Geschäftsleitung ein.

Der bisherige Prokurist Hermann Gustav Brinkhaus wurde in der Nachfolge seines Vaters Fritz Brinkhaus geschäftsführender Gesellschafter. 1947 konnte Brinkhaus sein Spitzenprodukt Inlett wieder in bewährter Qualität herstellen. Für Exportverpflichtungen nach England, in die USA und die Türkei bekam man die hochwertige Baumwolle. Allmählich konnte auch die Inlandserzeugung davon profitieren. Das war dringend notwendig, denn der Nachholbedarf war riesig. Die kriegsbedingten Verluste waren erheblich, dazu kamen die vielen Flüchtlinge und Vertriebenen, die sich ganz neu einrichten mussten.

Mit dem Ende des Krieges 1945 waren die deutschen Ostgebiete, insbesondere das Textilzentrum Schlesien weggebrochen. Die Textilindustrie hatte dadurch 60% ihrer früheren Kapazität eingebüßt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Firma Brinkhaus zum Branchenführer in Deutschland und der Welt aufstieg.

Die Nachfrage nach dem beliebten Produkt Inlett überstieg das Angebot bei Weitem. Mit aller Kraft arbeitete die Firma Brinkhaus am Wiederaufbau der drei Werke. Nicht nur viele alte Betriebsangehörige bekamen wieder Arbeit, auch Hunderte Heimatvertriebene wurden in die Belegschaft aufgenommen. Die schlesischen Fachkräfte waren ein Glücksfall für diese schwierigen Aufbaujahre.

Ernst Rackwitz aus Halbau in Schlesien trat im November 1947 als technischer Leiter in das Unternehmen ein. 1949 war er der erste Familienfremde, der Prokura bekam. Er hat viele Jahrzehnte das Unternehmen entscheidend mit geprägt. Entscheidend für die Fortentwicklung war die Währungsreform am 21. Juni 1948 und damit der Übergang in die freie Marktwirtschaft. Die Arbeit lohnte sich wieder und Produktionsmöglichkeiten konnten voll ausgenutzt werden. Die Waren gingen direkt nach der Produktion in den Verkauf und wurden innerhalb weniger Tage bezahlt. Es ging mit Riesenschritten aufwärts!

1949 trat Hermann Dieter Brinkhaus, der Sohn des Seniorchefs Hermann Josef, in die Firma ein. Nach zweijähriger Vertretertätigkeit kam er ins Stammwerk nach Warendorf. Auf dem Lande war das Potential an Arbeitskräften noch groß, die für die Textilindustrie gewonnen werden konnten.

Schon 1950 waren die Aufbau- und Instandsetzungsarbeiten im Stammwerk und auch in Freckenhorst und Sassenberg abgeschlossen. Ein Drittel der Gesamt-Inlett-Fabrikation der jungen Bundesrepublik kam nun aus Warendorf und Umgebung, dem größten Inlett-Zentrum Deutschlands. Das war Anlass genug, jetzt auch eine Werkzeitung heraus zu geben, die „Ketting und Einschlag“ genannt wurde. Sie ist für uns heute eine wahre Fundgrube!

Auch am äußeren Erscheinungsbild wurde 1951 gearbeitet. Der wachsende Umsatz erforderte eine größere LKW Flotte, die Garagen brauchten. Entlang der Straße Zwischen den Emsbrücken erbaute der bekannte münsteraner Baumeister Heinrich Bartmann ein Garagenhaus mit einem liebenswerten Pförtnerhäuschen.  Zur Straßenseite vermittelt das Gebäude den Eindruck eines Wohnhauses, die rückwärtige Front ist durch die großen Garagentore geprägt. So gelang es der Firma Brinkhaus, den „Charakter der Stadt zu wahren, ohne neuzeitliche Entwicklungen aus den Augen zu verlieren.“

 

 

Die Geschichte der Firma Brinkhaus im Überblick
Teil 1: Von der Gründung 1879  bis in das frühe 20. Jahrhundert
Teil 2: Vom Beginn des 20. Jahrunderts bis in die 30er Jahre: Das Zweigwerk Sassenberg
Teil 3: Von den 30er Jahrern  bis zu den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts

 

 

Quellen:

„Ketting und Einschlag“ 1950-1963 Werkzeitung der Inlettwebereien

H. Brinkhaus Warendorf, Sassenberg, Freckenhorst

 

Paul Leidinger: Hermann Josef Brinkhaus (1819-1885) und die Anfänge der Industrialisierung in Warendorf  Verlag Aschendorff Münster 1996

 

Chronik der Familie Ostermann

Hermann Josef Brinkhaus und Dr. Paul Casser:

„Vom Werden und Wachsen der Brinkhaus Inlettwebereien“ Warendorf 1991

Mechtild Wolff 2013

 

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