Die Textilverleger in Warendorf
von Mechtild Wolff
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Als die Menschen noch in erster Linie von der Landwirtschaft lebten und
nur gelegentlich mehr Leinen webten, als sie selber verbrauchten,
brachten sie diese Leinenballen zum Verkauf auf den Markt oder gingen
sogar zu Fuß nach Münster, um einen besseren Preis zu erzielen. In der
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich der Beruf des
Webers. Um 1800 waren in Warendorf über 70 hauptberufliche Weber
registriert. Diese Familien hatten zwar noch Landwirtschaft, die Erträge
aus der Handweberei wurden aber immer wichtiger. Jetzt war Zeit Geld und
je mehr man weben konnte, umso besser konnte die Familie versorgt
werden. Deshalb bedienten sich die meisten Weber zum Verkauf des Leinens
eines Leinenhändlers, er konnte die Ware schneller verkaufen und
erzielte auch bessere Preise. Diese Händler nannte man Textilverleger.
Sie kauften von den Hauswebern die Leinenballen und bezahlten die Weber
nach der Menge und der Qualität der abgelieferten Leinwand. Die Verleger
verdienten am Handel recht gut, darum waren sie bestrebt, die Weber an
sich binden, indem sie ihnen das benötigte Garn zur Verfügung stellten
und ihnen bei Bedarf auch Vorschüsse zahlten. Gute Garnzuteilungen
hatten außerdem den Vorteil, dass der Verleger stets gleichwertige
Webwaren bekam. Mit dieser Leinwand fuhr der Verleger dann mit Pferd und
Wagen zu seinen Kunden, die weit verstreut waren bis ins Ruhrgebiet, bis
an die Nordsee und bis nach Holland und Belgien. Wenn alles verkauft
war, kam der Verleger mit prall gefüllter „Geldkatze“ zurück. Im Handel
liegt der Segen! So ist es heute, und so war auch schon früher. An den
repräsentativen Häusern, die sich die Leinenhändlerfamilien bauten,
konnte man das deutlich ablesen. Ihre Häuser lagen auch nicht in den
kleinen Straßen, wie die Gademe der armen Weber. Die Leinenhändler
bevorzugten die Hauptstraßen der Altstadt, den Marktplatz, die Emsstraße
und ganz besonders die Oststraße, die sich bis heute durch besonders
wohlhabende Häuser auszeichnet, ungewöhnlich für solch ein kleines
Landstädtchen. In Warendorf gab es damals viele Textilverleger, z.B. den
Leinenhändler Dünheuft an der Hohen Straße oder Heinrich Kleine und die
Familie Zumloh von der Oststraße, (Franz Josef Zumloh war der Stifter
des Josefs-Hospitals) oder den jüdische Leinenhändler Metz vom
Marktplatz.
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Ein elegantes Backsteinhaus im spätklassizistischen Stil
baute sich 1792/93 der Leinenhändler Matthias Schwicker am Krickmarkt 12
(Parfümerie Bunne). Auch das Haus des Leinenhändlers Zumnorde an der
Oststraße zeugt von solidem Wohlstand. In diesem Haus gibt es noch eine
Besonderheit: Wie die meisten Verleger lagerte Zumnorde seine
Leinen-ballen im 1. Stock seines Hauses. Darum wurde mitten im Haus ein
Aufzug für den Transport des Leinens eingebaut. Das war damals eine
bahnbrechende Neuheit.
Wie sah das Verlegerwesen in der Praxis aus?
Jeden Sonntag brachten die Weber die fertigen Ballen zu ihren
Verlegern. Die prüften die Ware und bezahlten die Weber nach der Menge
und der Qualität des Leinens. Diese Verleger waren keine beliebten
Leute, sie zahlten nur einen geringen Lohn und bei fehlerhafter oder
fleckiger Ware gab es Abschläge, ja manchmal bezahlten sie gar nichts,
was zu großem Unmut und tiefer Verzweiflung bei den Webern und ihren
Familien führte. So wurden die Textilverleger wohlhabend, die kleinen
Handweber aber blieben arme Schlucker. Sie lebten recht ärmlich in den
kleinen Gademen und waren von den Leinenhändlern abhängig. Nicht nur für
die Verleger war der Leinenhandel die Quelle ihres Wohlstandes, auch die
Fleischer, die Bäcker, die Wirte, die Schreiner, die Glaser und
natürlich auch die Goldschmiede und Zinngießer, sie alle waren abhängig
von dem florierenden Leinwandhandel in unserer Stadt.