1897 trug sich Bernhard Brinkhaus aber doch mit dem Gedanken,
das Werk zu vergrößern. Er suchte einen Ingenieur, der über Erfahrungen
verfügte im Bau einer Fabrik für Bettbarchant und Federköper. Die
Erweiterung des Werkes Warendorf machte der Firma unvorhergesehene
Schwierigkeiten. Das Fabrikgelände lag zum großen Teil im
Überflutungsgebiet. Bei den regelmäßigen Überschwemmungen der Ems
strömte das Wasser nördlich der Fabrikgebäude durch die zur Fabrik
gehörenden Wiesen, die deshalb nicht zur Bebauung freigegeben werden
konnten. Die Flut ergoss sich in den „Gelben Kolk“. Erst 1935 mit der
Emsregulierung wurden diese Wiesen aufgeschüttet.
Da die Verhandlungen mit den Wasserbaubehörden sich sehr
schwierig gestalteten, entschloss man sich, ein geeignetes Gelände von
22 Morgen in Sassenberg zu kaufen. Ein wichtiger Gesichtspunkt bei
dieser Entscheidung war auch, dass es auf dem Lande leichter war,
Arbeitskräfte zu bekommen, als in Warendorf. Zu dieser Zeit blühte in
den alten Weberorten Sassenberg und Freckenhorst die Plüschweberei auf
Handwebstühlen, das ließ auf Facharbeiter für die Zukunft hoffen.
Ein Werk mit 400 Webstühlen wurde geplant. Da das Stammwerk
unbelastet dastand und aus den Reihen der Gesellschafter genügend
zinsgünstiges Kapital besorgt werden konnte, bedeutete die Finanzierung
von 270 000 Mark kein großes Problem. Sparkassen war es laut Gesetz
verboten, Gelder für Industriebauten herzugeben.
Das
Sassenberger Zweigwerk wurde um die Jahreswende 1898/99 mit 30 Arbeitern
eröffnet. Die Zahl der Weber erhöhte sich im Laufe des Jahres auf 80.
Immer mehr Plüsch-Handweber gaben auf, weil sich auch hier die
mechanische Weberei allmählich durchsetzte und die Handweberei
unrentabel machte. Außerdem wurde die Fabrikarbeit als weniger
anstrengend empfunden.
Anfang des neuen Jahrhunderts setzte eine Flaute ein, sodass
die Arbeitsstunden gekürzt werden mussten. Ende 1903 ging es dann wieder
bergauf, bald herrschte wieder Vollbeschäftigung und man suchte nach
Expansionsmöglichkeiten. Die fanden sich 1904 bei der Firma „Ludorff &
Neuhaus“ nach dem frühen Tod des Gesellschafters Neuhaus.
Brinkhaus kaufte die Firma mit Inventar für 57 000 Mark, baute hier eine
Türkisch-Rot-Garnfärberei und holte sich sogar tschechische Fachkräfte,
die in Warendorf wegen ihres fremdartigen Aussehens die „Türken“ genannt
wurden. Leider konnte keine zufriedenstellende Qualität erzielt werden,
denn das Emswasser eignete sich nicht zum Färben von Türkischrot. Die
Färberei war so groß ausgelegt, dass sie sich nur mit Fremdaufträgen
gerechnet hätte und die setzten aber hohe Qualität voraus.
1909 wurde die Färberei stillgelegt. Die hohen Investitionen
waren verloren. Die frei gewordenen Hallen wurden für die
Arbeitsvorbereitung benutzt.
1906
setzte eine ungewohnt hektische Entwicklung bei Brinkhaus ein. Ein
Zweigwerk in Freckenhorst sollte errichtet werden. Hier hatte sich die
Plüsch-Handweberei am längsten gehalten, weil es lange schwierig gewesen
war, einen guten Plüsch maschinell herzustellen. Jetzt wurde aber die
Industrialisierung sowohl von der Gemeindeverwaltung als auch vom
Landrat gefördert, um die zunehmende Verarmung der Bevölkerung zu
beenden. Die ersten mechanischen Plüschwebereien nahmen ihre Tätigkeit
auf. Deshalb nahm die Firma Brinkhaus gerne das Angebot der Gemeinde an
und erwarb ein Bauterrain von ca. 7 Morgen zum Drittel des Wertes. Die
Fabrik wurde nach modernsten Maßstäben von der Firma Manz aus Stuttgart
erbaut, einem Spezialunternehmen zur Errichtung von Textilwerken. 1907
entstand unter maßgeblicher Unterstützung der Stadt und einiger Bürger
(Heinrich Wolff und Herr Bücker) auch eine Gesellschaft zur Beschaffung
von Strom. Die Lokomobile stand auf dem Gelände am Groneweg, wo Theodor
Kreimer 1913 seinen Betrieb erbaute.
1908 trat Fritz Brinkhaus (1875-1946 verheiratet mit
Käti geb. Ludwig (aus Düsseldorf) als Teilhaber in die Firma ein. Er
brachte eine hohe Kapitalbeteiligung mit, die höchst wichtig für die
Einrichtung des Zweigwerkes Freckenhorst war. Nach dem Besuch des
Gymnasium Laurentianum hatte er eine Ausbildung im Hotelfach in Köln
absolviert, denn eigentlich wollte er ins Hotelfach gehen.
1911 trat auch Hermann Josef Brinkhaus, der Sohn des Inhabers
Bernhard Brinkhaus, in die Firma ein. So hatte der Seniorchef Bernhard
Brinkhaus eine vielköpfige Unterstützung aus der dritten Brinkhaus
Generation. Die Firma entwickelte sich gut. Der Transport der Fertigware
wurde sehr erleichterte durch den Bau der Westfälischen Landeseisenbahn,
die 1900 durch die Strecke
Warendorf-Neubeckum
den Anschluss an das Ruhrgebiet schaffte. Die Firma Brinkhaus
beschäftigte nun 100 Mitarbeiter im Stammwerk Warendorf, 110 in
Sassenberg und 50 in Freckenhorst, von denen ein Drittel weiblich war.
1911 fällte die Geschäftsleitung eine bahnbrechende
Entscheidung: Brinkhaus konzentrierte sich nun auf das neue Produkt
„Inlett“, das spezifisch Brinkhaussche Qualitätsprodukt. Das brachte den
durchschlagenden Erfolg. Es war zunehmend schwierig geworden, bei der
großen Anzahl der Produkte den modischen Anforderungen zu genügen. Vor
allem der bisher produzierte westfälische gestreifte Bettbarchent erwies
sich als viel zu schwer und konnte nur noch auf dem Lande verkauft
werden. Die Städter bevorzugten das leichtere und elegantere schlesische
Inlett. Mit dem neuen eleganten Brinkhaus-Inlett gelang der Durchbruch.
Die H. Brinkhaus-Inlettwebereien gehörten schon vor dem Ersten Weltkrieg
zu den führenden Fabrikationsunternehmen in Deutschland.
1913 schied Paul Brinkhaus als Teilhaber wieder aus, um bei
seinem Schwiegervater und Onkel Hugo Brinkhaus in Paris als
Geschäftsführer tätig zu werden.
Als
im August 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, standen die drei
Brinkhaus-Werke in voller Blüte. Es liefen 400 Webstühle und die
Belegschaft war auf 400 Mitarbeiter angewachsen. Am Tag der Mobilmachung
kam alles zum Stillstand, die wehrfähigen Männer der Familie Brinkhaus
eilten an die Front, sogar der Senior Bernhard Brinkhaus wurde trotz
seines hohen Alters (57) als Rittmeister d.L. zum Kriegshilfsdienst
verpflichtet und nach Sedan geschickte. Sämtliche Textilfabriken wurden
gleich bei Kriegsausbruch geschlossen, was sich aber bald als völlige
Verkennung der Lage erwies, denn es gab weder einen Mangel an
Arbeitskräften, noch gab es Rohstoffmangel, da die Fabriken sich ein
auskömmliches Lager angelegt hatten. Darum nahmen im Oktober, also 2
Monate nach Kriegsausbruch, sämtliche Webereien ihre Arbeit wieder auf.
Schnell waren alle Webstühle voll beschäftigt mit Heeresaufträgen wie
Zwirntuche, Hosentaschen-Tuche und Stoffe für Verbandspäckchen.
Erst Anfang 1916 wurde der Rohstoffmangel spürbar und brachte
die Produktion in den Zweigwerken zum Erliegen. Im Stammwerk in
Warendorf wurde auf 30 Stühlen das restliche Inlettgarn aus
Friedenszeiten verwebt. Als Mitte 1916 wieder Heeresaufträge
hereinkamen, konnte auch in Sassenberg wieder gewebt werden. Im
Stammwerk Warendorf nutzte man diese Zeit der Flaute, um eine
Umstrukturierung durch Umbauten in den Fabrikationshallen durchzuführen.
Eine kluge Entscheidung und eine wichtige Voraussetzung für den
Wiederanfang nach dem Kriege.
1918, bei Kriegsende, lagen alle Werke brach. Die Menschen
waren in Sorge und Elend den Nachkriegswirren preisgegeben. Die
Verantwortlichen in der Firma Brinkhaus setzten nun alles daran, ihren
aus dem Krieg zurückkehrenden Betriebsangehörigen ihre alten
Arbeitsmöglichkeiten wieder zur Verfügung zu stellen. Der Warenhunger in
der Bevölkerung war groß, auch aus diesem Grund sollten die Betriebe
schnell wieder in Gang kommen. Bis 1919 wurde die Zwangsbewirtschaftung
fortgesetzt und auch die Kohle-Not machte der Firma zu schaffen.
Viel schwieriger war die Beschaffung von hochwertiger
Baumwolle, denn alle Garnvorräte waren aufgebraucht. Um die dafür
notwendigen Geldmengen zu beschaffen, verkaufte Brinkhaus einen Teil des
Firmengeländes in Sassenberg an Hülshörster und Fischer, die frühere
Weberei Ludorff und Neuhaus in Warendorf an die Lederfabrik Kühn und die
gesamte Weberei in Freckenhorst an die Eisengießerei Julius Trebing aus
Velbert. So konnten Monat für Monat immer mehr Webstühle in Betrieb
genommen werden. Brinkhaus-Inlett wurde wieder ein begehrter Artikel.
Als 1922 immer deutlicher wurde, dass die deutsche Mark
unaufhaltsam einem Währungsverfall entgegenging, entschloss sich die
Geschäftsleitung, die bisherige offene Handelsgesellschaft H. Brinkhaus
in eine Kommanditgesellschaft H. Brinkhaus mit angeschlossener
Betriebs-Aktiengesellschaft umzuwandeln. Die Kommanditgesellschaft
übernahm sämtliche Aktien der A.G. Sie bekam einen Aufsichtsrat,
bestehend aus Bernhard Brinkhaus, Vorsitzender, Ww. Hermine Brinkhaus
und RA Dr. Fritz Brockhues aus Köln.
Zu Vorstandsmitgliedern wurden bestellt: Fritz Brinkhaus,
Hermann Josef Brinkhaus und Gerhard Brand (seit 1910 leitender
technischer und kaufmännischer Mitarbeiter).
Das Katastrophenjahr 1923 riss auch die Firma Brinkhaus mit in
seinen Strudel. Der Verfall der Reichsmark brachte die Betriebe zum
Erliegen. Im Herbst arbeitete nur noch die Warendorfer Weberei und das
auch nur an zwei Tagen in der Woche. Auch die wertbeständigen
Notgeldscheine, die durch Goldanleihen gedeckt waren, brachten keine
Rettung. Erst am 20. November 1923 gelang eine Stabilisierung durch die
Einführung der Reichsmark.
Jetzt ging es wieder aufwärts, die Vertreter nahmen ihre
Tätigkeit wieder auf, der Nachholbedarf war groß. Im März 1927 konnte
die 1908 gebaute Webereianlage Freckenhorst wiedergekauft werden.
Zunächst wurden dort 100 Mitarbeiter beschäftigt. Viele moderne
Webstühle von der Firma Schweizer Roscher wurden angeschafft, sodass die
Firma Brinkhaus Anfang der 1930er Jahre ca. 700 Mitarbeiter zählte.
„Ketting und Einschlag“ 1950-1963 Werkzeitung der
Inlettwebereien
H. Brinkhaus Warendorf, Sassenberg, Freckenhorst
Paul Leidinger: Hermann Josef Brinkhaus (1819-1885) und die
Anfänge der Industrialisierung in Warendorf Verlag Aschendorff
Münster 1996
Chronik der Familie Ostermann
Hermann Josef Brinkhaus und Dr. Paul Casser:
„Vom Werden und Wachsen der Brinkhaus Inlettwebereien“
Warendorf 1991