Das Portrait:
Theo Sparenberg
Kinokönig und Tanz- und Anstandslehrer (2.5.1893 - 1.12.1968)
von Mechtild Wolff

 

Die Blütezeit des Kinos in Warendorf wird gewöhnlich mit dem Namen Theo Sparenberg in Verbindung gebracht. Der Pionier der Kinogeschichte unserer Stadt ist er allerdings nicht.

 

 

Das war Wilhelm Wiedau, der 1902 mit „Wiedaus Riesenkinematographen“ nach Warendorf kam. Anfangs wurden die Filme im Zelt auf dem Wilhelmsplatz gezeigt, später in Wirtshaussälen, oft in Verbindung mit Varieté-Vorführungen. Schon 1912 wurde im Saal des Gasthofs „Zum  weißen Ross“ das war Gasthof Heimann an der Oststraße, das „Lichtspielhaus Warendorf“

eingerichtet. Die häufig wechselnden Betreiber hatten es schwer. Sie standen unter der ständigen Beobachtung des „Vereins zur Bekämpfung der öffentlichen Unsittlichkeit“. Das Lichtspielgeschäft dümpelte vor sich hin.

Im August 1924 übernahm Theodor Sparenberg mit seinem Kompagnon Heinrich Heiker aus Freckenhorst das Lichtspielhaus an der Oststraße. Erstmalig führte ein Einheimischer das Kino, was in dem katholisch geprägten Landstädtchen einen Vertrauensbonus erwirkte.

Theo Sparenberg brachte schon Erfahrung mit. Er hatte bereits  vor dem Krieg als Pianist im Ahlener „Thalia Theater“ die Stummfilme mit Musik untermalt.

Der geschäftliche Erfolg blieb nicht aus, so konnten Sparenberg und Heiker schon im Frühjahr 1925 das „Warendorfer Lichtspielhaus“ an der Freckenhorster Straße eröffnen, das erste richtige Kino in der Kreisstadt. Die feierliche Einweihung des mit 318 Sitzplätzen ausgestatteten Lichtspielhauses war bereits ein gesellschaftliches Ereignis. Und das wusste Theo Sparenberg zu gestalten, denn seit 1919 war er auch Tanz- und Anstandslehrer. Über dem Lichtspielhaus hatte er nicht nur seine Wohnung, sondern auch einen Parkettsaal für den Tanzunterricht. Streng ging es zu in seinen Tanzstunden, seine Schüler sollten sich später doch nicht blamieren! Er war Zeremonienmeister und Kinokönig in einer Person. Schon Ende der 1920er Jahren hatte er sich eine Glatze scheren lassen, die er bis zu seinem Tod täglich vom Frisör polieren ließ. Gerne trug er Frack und Lackschuhe, so tänzelte er durch sein Städtchen - eine imponierende Erscheinung.

Nun hatte Warendorf also endlich ein Lichtspielhaus, das sich an den Großstädten orientierte.

Mit dem Betrieb dieses einen Kinos gaben sich die beiden Unternehmer aber nicht zufrieden. Mit ihrem mobilen Vorführgerät zogen sie auch weiterhin über die Dörfer und führten die Streifen in Gasthäusern auf. Theo Sparenberg untermalte die Aufführungen mit dem Klavier und sorgte für fröhliche Stimmung. Außerdem gehörten ihnen Lichtspielhäuser in Neubeckum, Wiedenbrück, Bünde, Rheda und Gütersloh. Anfang der 1930er Jahre trennten sich Sparenberg und Heiker. Sparenberg führte die „Vereinigten Lichtspiele Warendorf-Neubeckum“ weiter, während Heiker die anderen übernahm. Warendorf indes blieb „der schlechteste Platz weit und breit im Kinobesuch“. Sowohl der Pfarrer als auch der Bürgermeister wünschten, dass nur moralisch einwandfreie Darbietungen gezeigt wurden. Die überall anders üblichen Filme, insbesondere die Aufklärungsfilme, konnten in Warendorf nicht gezeigt werden. Das kostete Sparenberg sehr viel Geld, denn der Einkauf der Filme lief weiterhin gemeinsam.

Die Probleme wurden während der Weltwirtschaftskrise besonders groß, sodass Sparenberg mehrfach um Stundung der Lustbarkeitssteuer ersuchte.

1932 erregten die ersten Tonfilme immense Aufmerksamkeit und brachten mit zahlreichen Operettenfilmen einen wahren Schub für das Lichtspielhaus.

1933, nach der Machtergreifung der Nationalsozialsten, änderte sich das Lichtspielwesen grundlegend. Der Film wurde rücksichtslos für Propagandazwecke genutzt. Sehr bald war die Filmindustrie verstaatlicht, auch die kleinen Kinobetriebe waren den NS-Propagandisten bedingungslos ausgeliefert. Es gab aber auch Vorteile: Durch die auf Hochtouren laufende Propaganda, erhöhten sich die Zuschauerzahlen rasant und die Kinobesitzer profitierten finanziell von der staatlichen Filmpolitik. Theo Sparenberg konnte nun den hohen Schuldenberg, der durch die teuren Ton-Licht-Geräte entstanden war, abbauen und trug sich mit Neubauplänen, die aber kriegsbedingt in der Schublade liegen bleiben mussten.

Während des Zweiten Weltkrieges erlebte auch das Warendorfer Provinzkino einen so großen Ansturm, dass im Zuschauerraum Notsitze aufgestellt werden mussten. Seine Tochter Mary war schon lange seine rechte Hand, sie konnte alles. Jetzt musste sie auch die Arbeit des eingezogenen Filmvorführers übernehmen.

 Nach Kriegsende durfte Sparenberg im „Warendorfer Lichtspielhaus“ erst nur Filme für die amerikanische und britische Besatzung und für polnische Zivilisten zeigen. Mit dem zuständigen Offizier Mr. James wurde schnell Freundschaft geschlossen, das machte manches einfacher. Der erste Kunde war aber ein Neger, der mit einem halben Pfund Kaffee auf der Eingangstreppe saß und unbedingt einen Film gucken wollte. Gott sei Dank war vor der Befreiung ein Film mit Kristina Söderbaum nicht abgeholt worden, der wurde ihm als einzigen Zuschauer gezeigt - ein halbes Pfund bewirkte eben Wunder. Er applaudierte begeistert und kam mit seinen Kameraden wieder, die ebenfalls mit Naturalien bezahlten. Die konnte man gut gebrauchen, denn bei den Verleihern in Düsseldorf musste immer etwas nachgeholfen werden.

Ab dem 30. Juli 1945 waren wieder Vorstellungen für die deutsche Bevölkerung zugelassen. Wie gut, dass der getreue Filmvorführer zwar mager, aber gesund aus der Gefangenschaft entlassen worden war, denn bei der Warendorfer Bevölkerung bestand ein so großes Bedürfnis nach Kultur und Ablenkung vom tristen Alltag, dass der Ansturm kaum zu bewältigen war.

Die Vorführung der Wochenschau war in den Nachkriegsjahren obligatorisch, eine Umerziehungsmaßnahme für die deutsche Bevölkerung.

1950 verwirklichte Theo Sparenberg endlich seine Pläne, ein neues Kino zu bauen, und zwar am Wilhelmsplatz an genau der Stelle, wo Wilhelm Wiedau 1902 in einem Zelt mit den Kinovorführungen begonnen hatte. Sparenberg überließ Planung und Durchführung dem Düsseldorfer Architekten Hans Rüttgers, einem ausgewiesenen „Spezialisten für Filmtheaterbau“. Als Auflage der Stadt musste eine Bühne und ein Orchestergraben gebaut werden, sodass das Lichtspielhaus auch für Konzerte und Theateraufführungen genutzt werden konnte.

Ein Namenswettbewerb wurde ausgeschrieben. Erster Preis: 100 Mark. Unter den Einsendungen fand sich: „Usse Kino“, „Pumpernickel“, „Teutonia Theater“ „LiKuThe“ (Licht-Kunst-Theater) und vieles mehr. Das Rennen aber machte „Theater am Wall“ - eine gute Wahl.

 

Die Einweihung war ein pompöses Fest. Im Foyer hingen Lorbeerkränze, Reden wurden gehalten und die Hautevolee staunte: In der großen Garderobe gab es eine spezielle Abteilung für Pelzmäntel! Und oben neben dem Vorführraum war eine Privatloge eingebaut, damit die hohe Geistlichkeit, die Lehrerschaft, die Stadtverordneten und die Presse sich hier ungestört ein filmkünstlerisches Urteil bilden konnten. Bürgermeister Heinermann bedankte sich beim Hausherrn „für die Schaffung dieses Musentempels“. Mary organisierte alles in ihrer bordeauxroten Uniform mit Goldlitze und Vater machte die Honneurs. Der „Föhn“ mit Hans Albers begeisterte das hochwohllöbliche Publikum, genauso wie der Vorfilm „Der Haushahn“ von Walt Disney.

Dieses Kulturzentrum wurde eine große Bereicherung für Warendorf. Theo Sparenberg organisierte Gastspiele, Konzerte, Schlager-paraden.

Schon 1951 wurde der Filmclub gegründet, der seinen Mitgliedern mindestens einmal monatlich einen künstlerisch bedeutsamen Film zeigte, der dann anschließend diskutiert wurde. Der Student Dieter Krusche, ein später sehr bekannter Filmpublizist, führte den „Tag des guten Films“ ein.

Der Warendorfer Öffentlichkeit durfte auch jetzt nicht jeder Film gezeigt werden. Er musste vom „Filmdienst“ der „Katholischen Filmzentrale Deutschlands“ mit 1 oder 2 bewertet worden sein. Kategorie 3 hieß „Abzuraten wegen sittlich oder religiös gefährdenden Einflusses“. Die gute Zusammenarbeit mit Kirche und Stadtspitze wollte Theo Sparenberg natürlich nicht aufs Spiel setzen, darum verzichtete er notgedrungen auf manchen guten Umsatz.

Und trotzdem waren die 1950er Jahre die besten Jahre des Kinos. Das Filmtheater war trotz seiner Größe mit 549 Plätzen meistens bis auf den letzten Platz ausverkauft. Ein besonderes Ereignis war der Freitagabend, wenn die neuen Filme anliefen. Jetzt kam die Kleinstadtprominenz, aufs Feinste gekleidet, denn dieser Abend war ein gesellschaftliches Ereignis. Die Plätze wurden für das ganze Jahr abonniert. Im Foyer begrüßte der befrackte Theo Sparenberg die Gäste, an seiner Seite Mary im Nerzjäckchen. Alles hatte Stil - den hatten die Warendorfer ja schließlich bei ihrem Tanzlehrer Sparenberg gelernt.

An normalen Tagen kamen viele Besucher mit Bussen von den Dörfern, lange Listen mit Vorbestellungen lagen an der Kasse. Beim Sturm auf die Kasse ging auch mal die Trennscheibe zu Bruch. Alle verfügbaren Stühle wurden zusätzlich in die Gänge gestellt.

Einen Schock versetzte dem Kinobesitzer ein schöner Nachmittag im September 1954 - das Kino blieb leer. Er schickte seine Tochter los, sie sollte gucken, was denn los war im Städtchen. Und wirklich, der Kirchplatz war schwarz von Menschen. Der Radiohändler Kiskemper hatte einen Fernsehapparat auf seine Fensterbank gestellt: Die Fußball-Weltmeisterschaft wurde übertragen. Das war der Anfang vom Ende - aber vorerst verdrängte man das kommende Unheil. Es gab so viele neue Wichtigkeiten: Sonder- und Werbeveranstaltungen brachten zusätzliche Einnahmen, die Reichenbacher und der Jagdverband feierten im Kino und ganz wichtig die zunehmende Anzahl von Kulturveranstaltungen. Der Kulturring hatte gute Schauspiele, Kabaretts und Musiktheater mit berühmten Stars im Programm. Noch heute verbreiten die leicht verblichenen Star-Photos an den Wänden im Foyer des Theaters etwas vom Duft der großen, weiten Welt. Einmal jährlich ließen die Wiener Sängerknaben in ihren Matrosenanzügen ihre glockenhellen Stimmen erklingen.

Theo Sparenberg blieb der richtige Niedergang des Kinos erspart. Im Alter sah er nicht mehr so gut. Die Etikette blieb aber immer gewahrt. Bei wichtigen Vorstellungen stand Mary im Foyer neben ihm und flüsterte ihm die Namen der Gäste zu, damit er sie formvollendet begrüßen konnte.

Am 1. Dezember 1968 starb Theodor Sparenberg - an einem Sonntag wurde er geboren, an einem Sonntag ist er gestorben. „Ein Sonntagsjunge ist er sein ganzes Leben lang geblieben“, sagt liebevoll seine Tochter Mary.

Die schwierigen Jahre hat Mary allein bewältigt und das Theater über Wasser gehalten, bis es nicht mehr ging. 1967 waren schon die Kammerspiele auf der Freckenhorst Straße geschlossen worden, 1980 schlossen sie auch die Pforten des „Theaters am Wall“. Gott sei Dank hat Mary Meyer-Sparenberg der Versuchung widerstanden, es in einen Supermarkt zu verwandeln. Ihr großer Wunsch war es, das Theater als Kulturstätte zu erhalten. Ihre Geduld hat sich gelohnt. 1990 kaufte die Stadt Warendorf das marode Filmtheater. 1992 wurde es unter Denkmalschutz gestellt und 1999 dann endlich gründlich saniert.

Theo Sparenberg hätte sicher seine helle Freude daran, dass sein „Theater am Wall“ heute wieder genau so prächtig aussieht, wie bei der Einweihung 1950 und dass es mit lebendigem Kulturleben gefüllt ist.

 

Widmung an Clementine Göcke (h. Mitte)

von Hermann Gustav Brinkhaus (v. Mitte):

 

Zur Erinnerung an den in den Herbstferien 1923

abgehaltenen Tanzkurs

bei Prof. Dr. h.c. Sparenberg

 

 

 

 

 

Quellen: „Geschichte der Stadt Warendorf“ Band 3

          „Kino in Warendorf“ von Wilhelm Grabe S. 295 ff

und     „Warendorfer Kiepenkerl“ Heft 28 Juni 1996

 

 

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