Aufsehen erregte der Bau der Wiemannschen „Villa Sophia“ in den
70er Jahren des 19. Jahrhunderts. Solch ein repräsentatives Haus war
seit der Errichtung der Katzenbergerschen Villa an der Klosterstraße 7
(1812) nicht mehr gebaut worden. Neu war
auch,
dass Eduard Wiemann diesen Wohnsitz für sich und seine Gemahlin Sophia
außerhalb der Innenstadt, also vor den Toren der Stadt, erbauen ließ. Er
legte den Grundstein für die zukünftige Bebauung des ausgedehnten
Gartengeländes im nördlichen Stadtfeld.
Der wohlhabende Textilkaufmann Eduard Wiemann
(1817-1898) wurde 1847 von seinem Freund Hermann Josef Brinkhaus als
Partner für sein Textilunternehmen gewonnen. Das Unternehmen firmierte
unter dem Namen „Brinkhaus und Wiemann“. Aus den freundschaftlichen
Banden wurden familiäre, als Eduard Wiemann 1851 Sophia Ostermann (etwa
1827-1903) heiratete. Sie war die jüngere Schwester von Johanna, der
Ehefrau von Hermann Josef Brinkhaus. Beide Mädchen waren in dem
prächtigen Haus an der Ritterstraße 692 heute Klosterstraße 7 bei ihren
Großeltern, dem preußischen Hofrat Dr. med. Franz Josef Katzenberger
(1767-1836) und seiner Gemahlin Anna Elisabeth geb. Schmitz (1781-1849),
aufgewachsen.
Die „Mechanische Weberei Brinkhaus und Wiemann“ entwickelte
sich zu einem erfolgreichen Unternehmen, was Eduard Wiemann in die Lage
versetzte, sich um 1870 diese repräsentative Villa in der
neoklassizistischen Architektur der Gründerzeit zu errichten. Er
verpflichtete bedeutende Architekten, die die Villa am noch
unbesiedelten Emstor innen und außen reich mit Stuck, Gemälden,
Schnitzereien, prachtvollen Kaminen und Plastiken verzierten.
An der Freitreppe begrüßten den Besucher zwei 160 cm große
allegorische Figuren, die Göttin der Kunst und Musik und die Göttin der
Dichtkunst und Literatur. Zwei kleinere, 130 cm große Musen schmückten
die Ecken der Balustrade. Die „Villa Sophia“ war mit prachtvollen Räumen
und Stuck verzierten Sälen im Stil des Rokokos und des Empire
ausgestattet und bot viele Jahre lang den Rahmen für ein glanzvolles
gesellschaftliches Leben und bereicherte Kunst und Kultur in Warendorf.
Ein Haus mit so viel Pracht und Eleganz, mit einem
repräsentativen Park nach englischem Vorbild, der bis zum Alten Emsarm
reichte und von bekannten Gartengestaltern im Stil eines klassischen
Englischen Gartens angelegt worden war, das war eine neue Dimension für
Warendorf. Sophia Wiemann war eine begnadete Gastgeberin, glanzvolle
Fest wurden gefeiert. Die „Villa Sophia“ wurde zum kulturellen Zentrum,
in der besonders Musik und Literatur der Klassik und Romantik gepflegt
wurden.
Am
16. Juni 1898 starb Eduard Wiemann im Alter von 81 Jahren nach einem
erfolgreichen und erfüllten Leben. Er wurde im Mausoleum, das im Park
der „Villa Sophia“ erbaut worden war, bestattet. Sophia Wiemann wurde
auch dort nach ihrem Tode 1903 beigesetzt.
Da
die Ehe der Wiemanns leider kinderlos blieb, vererbte das Ehepaar
Wiemann die Villa an die Clemensschwestern aus Münster. Der Orden
richtete 1903, nach dem Tod von Sophia Wiemann, in der „Villa
Sophia“ ein Pflegeheim für betagte Clemensschwestern ein, das
„Sophienstift“ genannt wurde. 70 Jahre lang gehörten diese Schwestern
zum Stadtbild von Warendorf und erfreuten sich hoher Beliebtheit. Die
Auflagen des Testamentes, die Villa in unverändertem Zustand zu
erhalten, befolgten die Schwestern strikt. 1972 zogen die
Clemensschwestern zurück ins Mutterhaus nach Münster. Die „Villa Sophia“
wurde für die symbolische eine Mark an die Stadt Warendorf verkauft.
Einen anderen Käufer gab es nicht. In der Villa war in all den Jahren
ein großer Sanierungsstau aufgelaufen. Die elektrischen Leitungen waren
noch über Putz verlegt, Wasserrohre mussten saniert werden und vieles
mehr. Die alte Pracht war aber unversehrt erhalten. Die Stadt Warendorf
sah sich nicht in der Lage,
die
Sanierungskosten und spätere Unterhaltungskosten zu finanzieren. Eine
so prachtvolle Villa entsprach auch nicht dem Zeitgeist,
Betonarchitektur war angesagt. So kam es 1974 zu dem Ratsbeschluss, das
„Sophienstift“ abzureißen. Von einigen Ratsmitgliedern, vom Heimatverein
und aus der Bürgerschaft kam energischer Protest, der zwar gehört wurde,
aber nichts ausrichten konnte. Das Denkmalschutzgesetz trat wenig später
in Kraft, zu spät für Warendorf, das ein unwiederbringliches Zeugnis der
Industrialisierung verloren hatte.
Ungläubig beobachteten viele Warendorfer Bürger den Abriss des
„Sophienstiftes“. Unverständnis und Zorn über diese Entscheidung
herrscht bis heute bei vielen Bürgern. Sogar das Mausoleum im Park, in
dem das Ehepaar Wiemann begraben war, wurde beseitigt. Heute erinnert
nur noch ein schlichter Findling im Sophienpark an das
Fabrikantenehepaar Wiemann.
Einzig die vier allegorischen Figuren und die zwei
Bronzehirsche aus dem Garten konnten gerettet werden. Sie wurden
eingelagert und vergessen. 15 Jahre später forschte die Ratsfrau Eugenie
Haunhorst nach dem Verbleib der Figuren und entdeckte sie im Bauhof, gut
gehütet, aber eingestaubt und stark beschädigt. Das Westfälische Amt für
Denkmalpflege in Münster stufte die griechisch-römischen Figuren als
wertvoll ein.
Diese allegorischen Figuren wurden vor über 100 Jahren von
der Firma Marche in Berlin Charlottenburg aus Ton gefertigt, in
einem Guss- und Blasverfahren. Der Restaurator Willi Wienstroer
aus Freckenhorst bekam die schwierige Aufgabe, die Figuren
wieder in ihren Originalzustand zu versetzen. Abgebrochene Köpfe
und Finger wurden wieder angesetzt, beschädigte Sockelstücke und
Gewandteile fachmännisch ergänzt, sodass die Figuren wieder
standfest wurden. Andere fehlende Teile wurden nicht ergänzt, da
keine gesicherten Erkenntnisse über das Aussehen vorlagen. Die
Hauptarbeit des Restaurators lag im Reinigen der Figuren von
Staubablagerungen und später aufgetragenen Farbschichten. Einen
schönen Platz fanden die vier allegorischen Figuren im Januar
1990 im heutigen „Sophiensaal“ an der Kurzen Kesselstraße. An
der Stirnwand sehen die Besucher noch heute die Göttin der Kunst
und Musik, zu erkennen an der Lyra und dem Notenblatt und die
Göttin der Dichtkunst und Literatur, die ein aufgeschlagenes
Buch trägt. Diese beiden Figuren sind 1,60 m groß und standen an
der Freitreppe der „Villa Sophia“.
An der Rückwand des Saales befinden sich die beiden 1,30 m
großen Musen, die die Balustrade der Villa schmückten: Die Göttin der
Handwerkskunst, zu erkennen an dem Amboss, der Hammer fehlt leider. Die
Göttin der Heilkunst ist zu erkennen an dem Kräuterbeutel, der
Äskulapstab fehlt.
In Erinnerung an die „Villa Sophia“ beschloss der
Kultur-Ausschuss am 12. Juni 2008, den Veranstaltungssaal in der
jetzigen Bücherei „Sophiensaal“ zu nennen, denn hier sind die letzten
Spuren der vergangenen Pracht der „Villa Sophia“ sichtbar.
Auch
die zwei Hirsche, die wie zwei Wächter vor dem Mausoleum im Park der
„Villa Sophia“ gestanden haben, konnten gerettet werden. Nach dem Abriss
des Sophienstiftes und des Mausoleums wurden sie erst eingelagert, dann
standen sie viele Jahre lang am Marienheim. Dort wurden sie leider oft
ein Opfer von Vandalismus. Die Geweihe wurden stark beschädigt, darum
verbrachten sie wieder viele Jahre lang ein tristes Dasein im Bauhof.
Vor einiger Zeit nun wurde ein schöner Platz auf dem Warendorfer
Friedhof gefunden, wo sie in einem geschützten Raum der Öffentlichkeit
zugängig sind.
Somit sind diese Hirsche ein Denkmal und Mahnmal für das die
vergangene Pracht der „Villa Sophia“.
Auf der gegenüberliegenden Seite der Sassenbergerstraße befand
sich der Nutzgarten der „Villa Sophia“; hier wurde Obst und Gemüse
angebaut und die vielfältigen Blumen für den üppigen Blumenschmuck in
der Villa. Die Straße in dem kleinen Baugebiet heißt „Am Sophiengarten“.
Bald als fromme Stiftung einem
Schwesternorden anvertraut,
wurde
es neulich unter Missachtung seines Kunstwertes
aus Nützlichkeitserwägungen
pietätlos zerstört.
Das beklagen die Stifter mit dem
Landeskonservator
und vielen Bürgern.
Unser Gebein deckt dieser zerbrochene Stein
des von uns errichteten Hauses.
Das schrieb Karl Theodor Kusenberg 1977 in seinem Buch
„Bleibende Gegenwart in antikem Gewande“
Text: Mechtild Wolff
Quellen:
„Das Sophienstift in Warendorf“ von Klaus G. Ring
in Warendorfer Schriften Heft 3 1973
„Villa Sophia - Erinnerung und Mahnruf“ von Wilhelm Veltmann
in Warendorfer Kiepenkerl Nr. 29 Dez. 1996
„Bleibende Gegenwart in antikem Gewande“ von Karl Theodor
Kusenberg,
Schnellsche Buchhandlung Warendorf 1977
Bilder:
Ehepaar Wiemann von Josef Ostermann
Außenansichten: Alfred Kaup
Mausoleum: Klaus G. Ring
Innenansichten: Westfälisches Amt für Denkmalpflege
Hirsche auf dem Friedhof: Mechtild Wolff
Bilder Nr.1 und 2: Archiv der Altstadtfreunde
Josef Ostermann, Allegorische Figuren: Mechtild Wolff,