Geburtshaus von Paul Schallück |
Am Vortag, dem Fronleichnamstag, 16. Juni 2022, gestaltet der
Heimatverein eine Gedenkfeier, die an seinem Geburtshaus an der Hohen
Straße 24 um 17 Uhr beginnt. In dem neben dem Schallück-Haus liegenden
kleinen Park am Emskolk werden Klaus Gruhn, Norbert Funken und Dr. Paul
Leidinger aus Leben und Werk des bedeutenden Nachkriegsschriftstellers
berichten. Es werden genügend Sitzgelegenheiten bereitstehen.
Er
war einer der bedeutenden Schriftsteller der Nachkriegsjahre. Seine
Neigung zur Literatur hatte er vom Vater mitbekommen, der als Buchbinder
im Verlag Schnell beschäftigt war, der auch dessen Schriften als
Heimatdichter veröffentlichte. Heinrich Schallück (1894–1972) war
verheiratet mit Olga (1901–1989), die er im Ersten Weltkrieg in
russischer Kriegsgefangenschaft in Sibirien kennengelernt hatte. Auf
abenteuerliche Weise floh er mit ihr über Wladiwostok, China und Indien
nach Warendorf in Westfalen. Mutter Olga hat ihren Sohn Paul am
stärksten geprägt:
Als
Russin, die sich zeitlebens mit der deutschen Sprache schwertat und als
gläubige Frau der Ostkirche fiel es ihr schwer, sich in Warendorf zu
integrieren und von Seiten der Bürger schlugen ihr Unverständnis und
Misstrauen entgegen. Es war die Zeit zwischen den Weltkriegen: Der Erste
Weltkrieg - Russland gehörte zu den Kriegsgegnern - war noch nicht
vergessen, der Versailler Vertrag brachte das Land in wirtschaftliche
Nöte, die Inflation bahnte sich an. Für Ausländer, die in der Stadt
heimisch werden wollten, fühlte man weder Verantwortung noch Mitgefühl.
Fremde blieben Fremde in unserem Land; man duldete sie, hielt aber eine
innere Distanz. Den jungen Sohn Paul prägte diese Haltung, er tat sich
schwer mit seiner Heimatstadt, „in der er geboren und die ihn
großgezogen hat“. In seinen Schriften ist
dies
zu spüren: es fielen harte Worte und es wurde ihm heftig heimgezahlt.
Dachte man in Warendorf nicht an die Worte der Dichterin
Droste-Hülshoff, mit denen sie die Judenbuche“ einleitet und vor
gedankenlosen Urteilen warnt: „Wer wagt es, …zu wägen jedes Wort, das
unvergessen in junge Brust die zähen Wurzeln trieb?“ Am Ende einer
unseligen Auseinandersetzung haben sich beide Seiten, die Bürgerschaft
und der Schriftsteller, versöhnt. Bei seinem letzten Besuch in seiner
Vaterstadt stellte er mit Genugtuung fest: „Man ist mir freundliche
begegnet und man hat mich nicht mit Pferdeäppeln beworfen.“ Die Stadt
hat, allerdings viele Jahre später, eine Straße und den großen Saal des
Theaters am Wall nach Paul Schallück benannt.
1940 besuchte Schallück für wenige Monate das Gymnasium
Laurentianum, wurde 1941 zur Wehrmacht verpflichtet, also mit 18 Jahren,
und kam 1946, im Krieg in Frankreich verwundet, nach monatelanger
Kriegsgefangenschaft, nach Warendorf zurück. Fünf Jahre später
veröffentlichte er seinen ersten Roman: „Wenn man aufhören könnte zu
lügen“, danach die Erzählung „Weiße Fahnen im April“, eine erdachte
Begebenheit, die er in Warendorf spielen ließ.
Die erste öffentliche Auszeichnung war der
Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis. 1934 vom damaligen Regime gestiftet
und damit schwer belastet, wurde er nach dem Krieg vom
Landschaftsverband Westfalen übernommen und ist für „herausragende
Leistungen“ westfälischer Literaten gedacht. Schallück nahm 1955 diesen
Preis an, doch mit den vor ihm Geehrten wollte er nicht in einem Atemzug
genannt werden und ein westfälischer Heimatdichter wollte er auch nicht
sein!
Er setzte sich bewusst von jeder Heimatliteratur, von dem, was
Autoren vor ihm über das Vaterland, über Bodenständigkeit, über stolze
Eichen und ebensolche Männer geschrieben hatten, ab. Er ging auf
Konfrontationskurs, bemängelte die Nachkriegspolitik und die unkritische
Haltung der Bevölkerung zu dem, was in den Jahren seit 1933 die Menschen
stumm und verlogen gemacht hatte. Die Spannungen nahmen zu, Schallück,
mittlerweile nach Köln gezogen, wo er Germanistik studierte,
lehnte eine Einladung nach Warendorf ab.
1959
erschien sein bekanntestes Werk, der Roman Engelbert Reineke. Der
Fischer Verlag brachte es als Taschenbuch heraus, ungewöhnlich für
eine Erstausgabe, und machte es so in mehreren Auflagen mit 40.000
Exemplaren einer breiten Leserschaft bekannt. Die Handlung spielt in
einem Ort mit Namen Niederhagen. Schallück gab unumwunden zu – und der
ortskundige Leser merkt es auch sofort – damit ist Warendorf gemeint.
Vielleicht haben sich
die Leser zunächst auch gefreut, vertraute Örtlichkeiten
anzutreffen. Vom Schwarzen Kolk ist die Rede, vom Kriegerdenkmal auf dem
Marktplatz und immer wieder von der Promenade, umsäumt von duftenden
Linden.
Doch es ist eine scheinbare Idylle. Hinter den „weißgekalkten
Fassaden“ versteckt sich eine Bürgerschaft, die nichts aus der grausamen
Vergangenheit gelernt hat. Die sich „vor einen Karren“ hat spannen
lassen, „bekränzt zum Kirchweihfest einer neuen Religion. Und das braune
Kalb haben sie umtanzt …und die Fahnen geschwenkt“. Das tat weh, das
weckte Empörung, der Autor wurde zum „Nestbeschmutzer“ abgestempelt.
Schallück hält dagegen:
Literatur muss „hervorlocken aus der Dämmerung des Nichtsehens,
hervorrufen aus Stumpfheit und Gleichgültigkeit…Rücksicht (wäre)
Bestätigung des Bekannten, des eingewöhnten Geschmacks, ist Erstarrung“.
Der Dichter Siegfried Lenz schrieb über Schallück: „So
direkt, so ungeduldig und anklägerisch
hat wohl kein Schriftsteller der Nachkriegszeit nach dem
Verbleib der Wahrheit gefragt.“
Das taten mit Schallück auch andere. In der Gruppe 47, einer
Vereinigung junger Literaten, der er angehörte, erhoben viele warnend
und beschwörend ihre Stimme, doch nicht in den alten Bahnen
dahinzudämmern und im Wohlstand das neue Goldene Kalb anzubeten.
Wolfgang Borchert, Günther Grass und Heinrich Böll, freundschaftlich
verbunden mit Schallück, sind die bekanntesten Mahner in dieser Zeit.
Der
Roman „Engelbert Reineke“ spielt im roten Backsteingebäude des alten
Laurentianum. Hauptfigur ist ein Lehrer mit dem Spitznamen
Beileibenicht, der sich, mal versteckt, indem er Heinrich Heine zitiert,
mal offen gegen das Naziregime stemmt, sich für Gedankenfreiheit und
Selbstbestimmung einsetzt und dies mit Verhaftung und Ermordung bezahlen
muss.
Das Vorbild dieser Romanfigur ist Jans Lübbers, dem Schallück
mit diesem Roman ein Denkmal setzen wollte.
Mit „Don Quichotte in Köln“ schrieb Paul Schallück
seinen zweiten, allerdings diesmal erfolglosen Roman. Bekannter
geblieben sind die zahlreichen Reden und Aufsätze, in denen er zu
aktuellen Problemen der jungen deutschen Republik Stellung bezog.
Honoriert wurde das mit zahlreichen Ehrungen und Preisen. Paul Schallück
verstarb 1976 mit nur 54 Jahren in Köln.
Der Roman „Engelbert Reineke“ mit den Parallelen zu Warendorf,
den bekannten Orten und ihrer stimmungsvollen Beschreibung, in denen
Schallücks Liebe zu seiner Heimatstadt mitschwingt, bildet den
Schwerpunkt der Gedenkstunde, die der Heimatverein am kommenden
Donnerstag (Fronleichnam) anbietet. Treffpunkt um 17 Uhr ist Schallücks
Geburtshaus an der Hohen Straße 24.
Norbert Funken
Clara
Schmidt
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