Erlebte Geschichte in Warendorf
Die Apfelernte an der Chaussee nach Klauenberg
von Eugenie Haunhorst 

Bald ist es wieder soweit und die ersten Äpfel können geerntet werden. Dann erinnere ich mich mit Vergnügen an die Apfelernte in meiner Jugend. Schon beim Anblick der wunderschön blühenden Apfelbäume im Frühjahr strahlten die Au­gen meines Vaters. Er freute sich an dem weißen Blütenmeer, das eine reiche Apfelernte versprach.

Wir hatten in unserem Garten nur einen Apfelbaum, das war viel zu wenig für die große Familie. Darum verfolgte Vater mit großem Interesse das Gedeihen der Äpfel an den Chausseebäumen. Neben der Landstraße von Warendorf nach Klauenberg verlief an der Südseite die Eisenbahnstrecke, die Nordseite war mit Apfelbäumen bepflanzt.

Nach dem 1. Weltkrieg, also in den 1920er Jahren, waren wir Nutznießer dieser sehr klugen Bepflanzung der Landstraße mit Apfelbäumen der verschiedensten Sorten, die ohne Pflegeschnitt im Wildwuchs üppig wuchsen und reiche Ernte trugen. Diese Apfelbäume wurden von der Kreisstraßenbauverwaltung in Warendorf zur Zeit der Reife versteigert. Vorher war das Pflücken streng verboten. Äpfel aufsuchen durfte man allerdings. Hatte es kurz vor der Ernte in der Nacht gestürmt, weckte uns unsere Mutter um 6 Uhr in der Früh und mein älterer Bruder Otto und ich fuhren dann eilig in Richtung Klauenberg, mit großen Taschen an den Fahrrädern. Wir mussten früh da sein, denn viele Leute nutzten diese gute Gelegenheit der Fallobsternte. An einem „guten Baum“ – wir wussten genau, wo die leckeren Äpfel wuchsen – füllten wir schnell unsere Taschen und radelten schwer bepackt wieder heim. Zu Hause war dann nur noch Zeit für ein eiliges Frühstück, denn wir durften nicht zu spät zur Schule kommen.

Sehr spannend war es, wenn endlich der Tag der Apfelbaum-Versteigerung gekommen war. Viele Warendorfer versammelten sich dann an der Klauenberger Chaussee. Unser Vater ersteigerte immer einen ganzen Block, etwa vier bis fünf Bäume. Wenn er Glück hatte, bekam er die Bäume mit den „guten Äpfeln“. Boskop war besonders beliebt, denn diese Äpfel konnte man – leicht angeschrumpelt - bis Ostern lagern.

Die ersteigerten Bäume mussten am gleichen Tag abgeerntet werden, denn am nächsten Tag wurden alle Apfelbäume zum Ernten für jedermann freigegeben. Also beluden wir nach dem Mittagessen den Bollerwagen mit einer Leiter, zwei Apfelpflückern und großen Taschen. Zwei Kinder zogen den Bollerwagen über die Landstraße nach Neu-Warendorf, die anderen kamen mit den Fahrrädern. Gut, dass wir fünf Kinder hatten, jetzt wurde jede helfende Hand gebraucht.

Hatten wir die für uns markierten Bäume gefunden, ging es eifrig ans Pflücken und Aufsuchen. Die Pflückäpfel packten wir vorsichtig in den Bollerwagen, die Falläpfel kamen in die Taschen.Zur Kaffeezeit kam unsere Mutter mit dem Fahrrad und brachte uns Reibekuchen und Saft, ein wohlverdienter Schmaus.

Waren unsere Bäume abgeerntet, zogen wir mit dem hochgefüllten Bollerwagen und den schweren Taschen am Fahrrad gen Heimat. Wir hatten einen anstrengenden, aber einträglichen Erntenachmittag gehabt und waren redlich müde. Aber zu Hause mussten erst die Äpfel im kühlen Keller vorsichtig in die Apfelregale gelegt werden und wir mussten aufpassen, dass sie kleine Druckstellen bekamen, denn dann faulten sie leicht. Nach getaner Arbeit waren wir stolz, für einen reichhaltigen Wintervorrat gesorgt zu haben.

Mutter kontrollierte die Äpfel jeden Tag und sortierte die angefaulten heraus. Die wurden sofort zu Apfelmus verarbeitet und zu jedem Mittagessen stand frisches Apfelkompott auf dem Tisch und sonntags gab es natürlich einen selbstgebackenen Apfelkuchen. Ja, Äpfel waren ein wichtiges und preiswertes Lebensmittel der damaligen Zeit.

Durch seine gute Lagerfähigkeit war der Apfel im Winter der wichtigste Vitaminspender. „An apple a day keeps the doctor away!“ diesen englischen Spruch kannten wir damals schon.

 

Die Autorin Eugenie Haunhorst geb. Göcke wurde 1912 in Warendorf geboren und wuchs in einer Lehrerfamilie mit vier Geschwistern auf. Im Alter von 90 Jahren begann sie, Erinnerungen aus ihrem Leben im Warendorf der 1920er Jahre aufzuschreiben. Sie starb 2016 im Alter von 103 Jahren.

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