Am 17. Juni 2022 wäre Paul Schallück 100 Jahre alt geworden. Am Vorabend lud der Heimatverein Warendorf zu einer eher ungewöhnlichen Geburtstagsfeier an seinem Geburtshaus und im direkt daneben liegenden Park am Emskolk ein. Paul Schallück, ein berühmter Sohn der Stadt Warendorf, einer der bedeutendsten Schriftsteller der Nachkriegszeit, der in vielen Romanen, Erzählungen und Hörspielen seine eigenen leidvollen Kriegserfahrungen ungeschönt darstellte.
Ein Kurzportrait von Paul Schallueck, verfasst von Norbert Funken, finden Sie hier
Sein Leben und Werk beleuchteten und erklärten Klaus Gruhn und Norbert Funken aus den verschiedensten Blickwinkeln in sehr interessanten Vorträgen:
Klaus Gruhn (links) und Norbert Funken (rechts)
„O Warendorf, Idylle meiner frühen Jahre,
wo ich als frohes Kind gespielt,…
Der Ort, wo Himmelslicht auf jeder Szene liegt
Und wo die Phantasie das Herz in süßen Frieden wiegt…“
Sie haben es sicher herausgehört: Das ist nicht Schallück. Es
sind Verse von Christoph Bernhard Schlüter, geb. 1801 in Warendorf,
Förderer der Dichterin A. v. Droste-Hülshoff.
„Ernst die Männer, hold die Frauen,
kräftig schaffen, fromm Gebet!
…
Mög‘ des Glückes Himmel blauen,
Heimat, golden dir und stet!
Vermutlich wird Ihnen diese vierte Strophe des Gedichtes „Stadt
in Wiesen“ bekannt sein, der Text ist von Anton Aulke. Auch damit ist
eine falsche Spur gelegt, wenn wir heute, am 100. Geburtstag Paul
Schallücks, dem Warendorfer Schriftsteller nähern wollen.
Aber Umwege können auch zum Ziel führen:
Denn solche Verse über seine Heimatstadt flossen nicht aus
seiner Feder.
„So kann das Leben doch nicht sein,
so zwischen Pult und sattem Mahl,
so ohne jeden Feuerschein,
und ohne jede Lebensqual.
Kein Drängen in der breiten Brust
Zu unerstiegnen hohen Zielen …
Nur wiederkaun, was andern schmeckte…
Warum nicht mal vom Lande springen
In den verteufelt wilden Fluss?
Warum nicht um sich selber ringen
In jugendheilgem Wuterguss?
[1]
Das klingt programmatisch, rebellisch nach Sturm und Drang. Er
wollte nicht, wie in Schillers Räuber zu lesen ist, „zu ewger Blindheit
verdammt“ sein
[2].
Wie Heinrich Heine, den Schallück in seinen Texten und vor
allem im Roman Engelbert Reineke immer wieder zitiert und als sein
Vorbild anzunehmen ist, nimmt er sich vor,
„Ein neues Lied, ein besseres Lied,
o Freunde, will ich euch dichten!“
[3]
Er wollte von idyllischen Gassen, verträumten Winkeln, hohen
Giebeln und dem silbern glänzenden Fluss zwischen Heide und Moor nichts
wissen. Das romantisierende Bild einer
„Stadt in Wiesen, Stadt in Gärten …
Vor der Linden Duft umzittert,
von des Ackers Ruch umzittert …[4]
widersprach seinen literarischen Grundsätzen.
Damit musste er beim Warendorfer Bürgertum anecken. Er ging
bewusst das Risiko ein, wie Heinrich Heine sein Vaterland zu
verlieren, wie sein Freund Heinrich Böll von den Kölner „scheel“
angesehen zu werden oder, literarisch eine Stufe tiefer, Joseph Winkler,
Schamoni und Jägersberg von Münsteranern ignoriert zu werden. Das nahm
Schallück in Kauf. Sein Dogma lautete:
Die Künste, und dazu gehört auch die Literatur, müssen„hervorlocken aus
der Dämmerung des Nichtsehens, hervorrufen aus Stumpfheit und
Gleichgültigkeit. Sie dürfen keine Rücksicht nehmen. Rücksicht ist
Bestätigung des Bekannten, des eingewöhnten Geschmacks, ist Erstarrung.“[5]
[1] Paul Schallück, Im Joche des Pedanten
in: Warendorfer Schriften, Bd. 13-15 (1985), S. 185
[2] F. Schiller, Die Räuber (Moor im 5.
Akt, letzter Auftritt)
[3] H. Heine, Deutschland – Ein
Wintermärchen in: Heines Werke, Berlin (Aufbau Verlag),1981,
Bd, 2, S. 94
[4] A. Aulke, Stadt in Wiesen in: Anton
Aulke, Münsterland, Warendorf (Schnell) 1967,
S. 41
[5] P. Schallück, Anmaßung in: Paul
Schallück, Moment mal! Köln (Nyland) 2003, S. 10
Warendorf und Paul Schallück – eine dramatische Geschichte.
Eine Auseinandersetzung, die mit harten Bandagen ausgeführt wurde, aber
zu einem versöhnlichen Ende geführt hat....
Die vollständige Rede zum 100. Geburtstag Paul Schallücks von Norbert Funken lesen Sie hier
Am 17. Junli 1922 wurde Paul Schallück als jüngstes von drei
Kindern des Buchdruckers Heinrich Schallück und seiner Frau Olga
Alexandrowna Nowikowna in Warendorf geboren. Im Alter von nur 53 Jahren
starb er in Köln am 29. Februar 1976. In den fünfziger Jahren des 20.
Jahrhunderts gehörte er zu den herausragenden Autoren der jungen
Bundesrepublik Deutschland, und seine Stimme blieb bis zu seinem Tod im
Bereich der Prosa und Lyrik, der Essayistik und des Feuilletons
beachtet.
Paul Schallück bezeichnete die Verwundbarkeit als ein
Grundmotiv seines Lebens und Schreibens. Der Vater hatte nach dem Ersten
Weltkrieg von einer in jeder Hinsicht abenteuerlichen Flucht aus der
Kriegsgefangenschaft in Sibirien durch asiatische Länder den Indischen
Ozean und das Mittelmeer seine junge russische Frau mit in die wenig
verständnisvolle westfälische Heimat gebracht. Er war Drucker in dem
Traditionsverlag von Carl Leopold, im Verlag Schnell also. Der Sohn Paul
wurde 1935 Schüler im Herz-Jesu Missionshaus in Boppard und danach in
Hiltrup bei Münster, um selbst Missionar zu werden. Als die Schule der
Patres 1940 von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, kam er, wie
er es formulierte, „als Fremder an das Laurentianum“, also an die
Traditionsschule seiner Heimatstadt. Sein autobiografisches Zeugnis
davon erschien unter dem Titel „Meine Monate am Laurentianum“ 1979
in der Festschrift der Schule „Von der Lateinschule zum Gymnasium
Laurentianum 1329-1979“.
Als erster Schüler seiner Klasse wurde Paul Schallück noch 1941
zum Kriegsdienst einberufen. Beim Rückzug der deutschen Truppen
verwundete ihn 1944 am Pont Neuf in Paris die Kugel eines Partisanen
schwer. Seine Erzählung „Am Ufer der Seine“ schildert 1955 diese
Augenblicke. Fortan wird sein Hinken Symbol für das Schicksal seiner
Generation und die Verwundbarkeit des Menschen. Dass Paul Schallück
einige Jahre später in Paris die Ehe mit einer Französin einging, weist
vor diesem Hintergrund ebenfalls über die persönliche Lebensentscheidung
hinaus auf einen hoffnungsvolleren Neubeginn.
Sein Erstlingsroman 1951 trug den Titel „Wenn man aufhören
könnte zu lügen“. Mit diesem Roman und den danach in enger Folge
erscheinenden Kurzgeschichten und Erzählungen traf Schallück den Nerv
der Zeit. Der Roman spielt in einer Studentenclique im Nachkriegsmilieu
einer deutschen Universitätsstadt und ist insofern ein früher Typus des
Campusromans. Er erinnert auch an Ernest Hemingways Schilderungen einer
„verlorenen Generation“. In der enttäuschten idealistischen Hauptfigur
Thomas und dem mehrfach gespiegelten Motiv der Verwundung findet man
autobiographische Einfärbungen, ebenso wie in der Studentenbude, die
sein damaliger Freund Engelbert Schücking als „Matratzengruft“
geschildert hat.
Die folgenden Romane, „Ankunft null Uhr zwölf“ und „Die
unsichtbare Pforte“ können wir hier nur erwähnen. Sie zeichnen in
dunklen Grautönen ein Bild des deutschen Kriegs- und Nachkriegspanoramas
in Schicksalen einer jungen Generation. Nur erwähnen können wir auch die
öffentlichen Ehrungen, die Schallück zuteil wurden, nachdem er 1947
Mitglied der „Gruppe 47“ geworden war. 1953 wurde er Preisträger der
Zuckmayer-Stiftung, 1955 erhielt er den
Annette-von-Droste-Hülshoff-Preis und 1973 schließlich den
Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund. Schallücks Stimme und Urteil
gewannen auch über Zeitschriftenessays, über die Kulturredaktion des WDR
und seine Tätigkeit als Chefredakteur von „Dokumente. Zeitschrift für
übernationale Zusammenarbeit“ Gewicht. Im Anschluss an die Verleihung
des Droste-Preises an Schallück entwickelte sich 1956 eine heftige
öffentliche Polemik um das Westfälische in seinem Werk und um den
Begriff der Heimatliteratur. Als 1965 seine Satire „Warendorfer Pferde“
in der Anthologie „Atlas. Zusammengestellt von deutschen Autoren“
erschien, kam es auch zu einer öffentlichen Kontroverse um Paul
Schallück hier in seiner Heimatstadt Warendorf.
Wir aber wollen einen etwas genaueren Blick auf sein Hauptwerk werfen....
Die vollständige Rede zum 100 Geburtstag Paul Schallücks von Klaus Gruhn lesen Sie hier