Elisabeth Schwerbrock
geb. 3.2.1886 in Freren bei Lingen; gest. 22. 1. 1984 in Warendorf
1929-1956 Stadtverordnete in Warendorf
von Mechtild Wolff (2022)

Elisabeth Schwerbrock mit André Marie
Elisabeth Schwerbrock war eine Dame, wie Madame Pappritz sie sich gewünscht hätte, liebenswürdig und immer korrekt und elegant gekleidet. Ihr Auftreten strahlte Würde und Ernsthaftigkeit aus.

Durch ihre Heirat mit Josef Schwerbrock (1882-1956) war sie aus Freren nach Warendorf in das alteingesessene Textilhaus Schwerbrock am Krickmarkt gekommen. Mit den Jahren wurde sie die gute Seele des Geschäftes und entwickelte das Textilhaus zum ersten Modehaus am Platze. Der hohe Anspruch, den sie an sich selbst stellte, galt auch für ihre Angestellten. Auch die Verkäuferinnen zeichneten sich durch äußerste Liebenswürdigkeit und Sachkunde aus. Sie wussten genau, was die Kundschaft, die aus dem gehobenen Bürgertum kam, erwartete. All diese Frauen wollten „etwas darstellten“ in Warendorf und durch ihre Kleidung zeigen, dass sie zur Oberschicht gehörten. Natürlich führte das Modehaus Schwerbrock nur Markenware von wohlrenommierten Firmen.

Wenn zu Mariä Himmelfahrt die Altstadt mit roten Bungen beleuchtet und die Schaufenster festlich geschmückt wurden, war das Schaufenster des Modehauses Schwerbrock ein besonderer Anziehungspunkt, denn die Warendorfer wussten, dass Frau Schwerbrock in jedem Jahr ein ganz besonderes Marienbildnis ausstellte und es mit einer traumschönen Blumendekoration schmückte.

Neben ihren vielseitigen Aufgaben als Geschäftsfrau wollte Elisabeth Schwerbrock sich aber auch für ihre Heimatstadt engagieren.

Schwerbrocks Schaufenster zu Mariä Himmelfahrt
Schon 1929 wurde sie für das Zentrum zur Stadtverordneten gewählt. Bei den Kommunalwahlen 1933 zogen wieder zwei Zentrums-Frauen in das Stadtparlament: die 59jährige Clara Schmidt und die 47jährige Elisabeth Schwerbrock. Aber die politischen Verhältnisse änderten sich. Es zeigte sich bald, dass sich alle Ratsmitglieder der NSDAP unterordnen mussten. „Nickköpper“ wollten sie nicht werden, darum legten Clara Schmidt und Elisabeth Schwerbrock ihr Mandat nieder.

Während der Zeit der braunen Diktatur versuchte Elisabeth Schwerbrock nach Kräften, den in Not geratenen Warendorfern zu helfen. Selbst von der Gestapo ließ sie sich nicht einschüchtern. Sie musste sich verschiedentlich vor NS-Gerichten verantworten, aber mit ihrer Hartnäckigkeit und ganz sicher auch mit ihrem Charme hat sie ihren Kopf immer wieder aus der Schlinge gezogen. Es wird ihrer tiefen Religiosität gewesen sein, die ihr dieses Stehvermögen gab.    

Mit dem Kriegsende war diese tägliche Gefahr zu Ende, die Not der Menschen aber war nicht behoben. Die Stadt war überfüllt mit Evakuierten aus den zerbombten Großstädten, Wohnraum war gar nicht mehr verfügbar, der Kampf ums tägliche Brot wurde Normalität, die Wasser- und Elektrizitätsversorgung reichte nicht aus und die völlig veraltete Kanalisation brach vielfach zusammen. Gut, dass viele Häuser noch eine eigene Senkgrube hatten.

Nach dem Krieg kamen sehr überraschend neue Herausforderungen auf das Landstädtchen Warendorf zu. Es gab auch hier viele DPs, Displaced Persons, also ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die während des Krieges unter oft erbärmlichen Bedingungen in der Kriegswirtschaft oder auf Bauernhöfen hatten arbeiten müssen. Wohin mit diesen etwa 10.000 DPs? Kurzerhand wurden die Hengste des Landgestüts auf die Deckstationen ausquartiert und das Gestüt und die ehemalige Reit- und Fahrschule an der Tönneburg wurden zu Sammelunterkünften umfunktioniert. Hier warteten dann die 10.000 DPs der verschiedensten Nationen auf ihre Rückführung in ihre Heimat. Sie kampierten auf engstem Raum auf Strohlagern in den Pferdeboxen, die Hygienebedingungen waren unsäglichen. Die Versorgungslage war im ganzen Land verheerend, darum klauten die DPs, was sie bekommen konnten. Es ging ums Überleben! Im Gestüt brannten überall Kochfeuer. Alle hölzernen Einbauten des historischen Landgestüts wurden verfeuert, ebenso die Bilder, Bücher und Akten und wichtige Dokumente. Die Zerstörungen im Gestüt waren beträchtlich.


Ankunft der Flüchtlinge am Warendorfer Bahnhof

Bis September 1945 waren schon viele DPs in ihre Heimat rückgeführt worden, sodass die Tönneburg als Unterkunft reichen musste. Das Landgestüt wurde geräumt, denn es musste nun zum zentralen Auffanglager für Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten, vornehmlich aus Schlesien und Ostpreußen, eingerichtet werden. Die Pferdeboxen wurden gesäubert und mit frischem Stroh bestreut. Für die Kranken wurden Notbetten aufgebaut.

Am 21. Oktober 1945 traf der erste „Elendszug“ mit 1606 Flüchtlingen ein. Diesen Menschen fehlte es an allem, hier war schnelle Hilfe gefragt. Die englischen Besatzungstruppen hatten den katholischen Elisabeth-Verein um Hilfe gebeten. Die Vorsteherin Elisabeth Schwerbrock und Anni Carlé machten sich auf die Suche nach einer freiwilligen Hilfstruppe. Sie gingen in die Familien und baten vor allem die jungen Mädchen um Mithilfe. Diese waren zwar schon dienstverpflichtet, aber erklärten sich trotzdem bereit, bei der ersten Versorgung der Flüchtlinge zu helfen. Da diese Einsätze fast ausschließlich nachts stattfanden, hatte Elisabeth Schwerbrock von der englischen Besatzungsmacht ein kleines Auto, einen VW, zur Verfügung gestellt bekommen, um die jungen Helferinnen in den Nachtstunden sicher nach Hause bringen zu können.

Etwa jede zweite Nacht trafen nun Güterzüge mit etwa 1000 Menschen in Warendorf ein. Unter menschenunwürdigen Bedingungen waren diese Flüchtlinge im Rahmen der Massenvertreibung aus dem Osten in den Westen transportiert worden. Von den 25 kg Gepäck, das sie bei ihrer Vertreibung hatten mitnehmen dürfen, war in den meisten Fällen nicht viel übrig geblieben. Zu oft waren sie auf ihrem langen Weg ausgeraubt worden. Der Fußmarsch der Flüchtlinge vom Bahnhof in Warendorf zum Landgestüt wurde begleitet von der Polizei, vom Roten Kreuz und von Helfern. Viele Flüchtlinge schafften den Weg nur mit letzter Kraft. Im Gestüt war die große, allerdings ungeheizte Reithalle der erste Sammelplatz. Das ganze Gelände war erfüllt von einem Stimmengewirr in den Dialekten der verlorenen deutschen Ostgebiete.

Welch ein Lichtblick! In den hinteren Räumen der Halle war eine Küche eingerichtet, wo belegte Brote geschmiert wurden und heiße Suppe für alle bereit stand. Das Essen wurde in der Volksküche im Marienheim gekocht. An langen Tischen gaben die jungen Helferinnen die gehaltvolle Suppe aus. Für viele Flüchtlinge war das die erste warme Mahlzeit seit Tagen. Leider waren auch hier die Vorräte begrenzt und die jungen Mädchen an den Ausgabetischen mussten sehr aufpassen, dass nicht die Schwächeren, vor allem die Mütter mit den kleinen Kindern, zurückgedrängt wurden. Jeder kämpfte ums eigene Überleben. Sehr bald sahen Frau Schwerbrock und Frl. Carlé, die alles organisierten, dass männliche Hilfe notwendig war, um die Schlangen vor den Tischen zu überwachen.

Bis September 1946 wurden 48.500 Ostvertriebene durch das Durchgangslager geschleust, eine immense logistische Aufgabe. Wie gut, dass es Frauen wie Elisabeth Schwerbrock und Anni Carlé gab, die sich dieser schwierigen Aufgabe annahmen. Traf ein Flüchtlingstransport ein, und das war immer mitten in der Nacht, standen diese Frauen mit am Bahnhof, um sich der besonders Hilfs-bedürftigen anzunehmen. Alle Ankommenden wurden registriert, unter der Leitung des Kreisarztes mit DDT Pulver entlaust, die Kranken versorgte ein Notfalldienst und alle bekamen eine erste provisorische Bleibe im Landgestüt. Nach zwei bis drei Tagen wurden die Flüchtlinge dann auf die Gemeinden des Kreises Warendorf verteilt, wo sie eine neue Heimat finden konnten.

Nach Kriegsende wurde auch die Politik in Warendorf zu neuem Leben erweckt. Am 29.4.1946 ernannte die Militärregierung die ersten Stadtbeiräte. Elisabeth Schwerbrock gehörte zu den 14 Stadtbeiräten der neu entstandenen CDU, deren Mitbegründerin sie war. Auch in den ersten demokratisch gewählten Stadtrat wurde sie am 15.9.1946 gewählt. Die Flüchtlings- und Vertriebenenfragen waren eines der größten Probleme der Stadt. Darum wurde ein Flüchtlingsamt eingerichtet. Die Leitung übernahm der ehemalige Stadtkommandant Oberst Hans Winkel, der sich Ostern 1945 bei der Übergabe der Stadt zusammen mit Theodor Lepper und Heinrich Blum sehr verdient gemacht hatte. Dem Flüchtlingsbeirat gehörten auch Elisabeth Schwerbrock, Josef Heinermann, Heinrich Blum und Theodor Westermann an.

Um der Flüchtlingsproblematik Herr zu werden, setzte die Militärregierung einen Flüchtlingsausschuss ein. Er bestand je zur Hälfte aus Flüchtlingen und Einheimischen. Die Stadt wurde in zehn Betreuungsbezirke aufgeteilt. Jedes Beiratsmitglied war für einen Bezirk persönlich verantwortlich. Im September 1946 übernahm der Flüchtling Heinrich Windelen den Vorsitz des Beirates, Elisabeth Schwerbrock wurde seine Stellvertreterin.   

Auch bei der Kommunalwahl von 1948 wurde Elisabeth Schwerbrock mit großer Mehrheit wieder in den Rat der Stadt Warendorf gewählt und sie war sehr froh, dass Josef Heinermann von allen Parteien zum Bürgermeister gewählt wurde. Sie wusste, dass er ein offenes Ohr für die Nöte der Menschen hatte.

Reg. Präsident Hackethal überreicht
das Bundesverdienstkreuz
Stadtdirektor Mertens gratuliert zum Bundesverdienstkreuz

 

Bis 1956 war Elisabeth Schwerbrock Ratsherrin, den Ausdruck Ratsfrau gab es damals noch nicht. Dann beendete sie ihre Tätigkeit im Rat, wo sie mittlerweile Alterspräsidentin war. Die Warendorfer mussten Abschied nehmen von der Ratsherrin, die immer korrekt gekleidet im klassischen schwarzen Kostüm zu den Ratssitzungen kam und die den offiziellen Anlässen dieser Männergesellschaft durch ihre elegante Erscheinung mit großen Hüten ein festliches Gepräge gab.

Zu ihrem 70. Geburtstag am 3. Februar 1956 ehrte die Bundesrepublik Deutschland diese engagierte Frau mit dem Bundesverdienstkreuz. Fünf Jahre später zeichnete die Kirche sie mit dem Orden „Pro ecclesia et pontifice“ aus.

Landrat Dr. Höchst gratuliert zum Ehrenring

 

Am Vorabend der Vollendung ihres 80. Geburts-tages, am 2. Februar 1966, wurde Elisabeth Schwerbrock in einer außerordentlichen Ratssitzung im historischen Ratssaal vom Bürgermeister Dr. Hans Kluck der Ehrenring der Stadt Warendorf verliehen. Damit fand ihre unermüdliche Arbeit zum Wohle der Bürgerschaft auch in ihrer Heimatstadt eine gebührende Anerkennung und Würdigung. Die Liste ihrer politischen Arbeitsbereiche in über 40 Jahren war lang. Sie reichte vom Wohnungsausschuss über den Hauptausschuss, den Schulausschuss, das Kuratorium für das Marienheim und für die Altenstube, den Zweckverband zur Errichtung einer Gedächtniskapelle bis zum Gewerbeausschuss und ganz vielen Ausschüssen mehr.

Nach Beendigung des Ratsmandates stellte Elisabeth Schwerbrock sich noch bis 1974 als sachkundige Bürgerin im Wohlfahrts- Wohnungs- und Fürsorge-ausschuss zur Verfügung und im Kuratorium für das Marienheim. Natürlich blieb sie Vorsitzende des Elisabeth-Vereins und der Caritas. Wegen ihres großen sozialen Engagements wurde sie im Volksmund gern „die hl. Elisabeth“ genannt. Bis ins hohe Alter war es für die Ehrenringträgerin selbstverständlich, dass sie an allen offiziellen Veranstaltungen teilnahm.

Elisabeth Schwerbrock starb am 22. Januar 1984 im Alter von fast 98 Jahren und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in der Schwerbrockschen Familiengruft auf dem Warendorfer Friedhof begraben.

In dem neuen Baugebiet an der Dr.-Rau-Allee wurde als Erinnerung an diese engagierte und verdienstvolle Bürgerin eine Straße nach ihr benannt, die „Elisabeth-Schwerbrock-Straße“.

 


Neujahrsempfang mit Bürgermeister Heine

Quellen:

Zeitzeugen

Geschichte der Stadt Warendorf Band II S. 201 ff

Elisabeth Ketteler-Zuhorn: Warendorf zum Kriegsende und die ersten Flüchtlingszüge in Warendorfer Schriften Band 33-35 2005

Heinrich Temme, Bürgermeister i.R.: Warendorf in der Zeit von 1890-1950

in „750 Jahre Warendorf“ S. 72

Peter Wild: Flüchtlinge auf Herbergssuche heute und damals „Die Glocke“ vom 24.12.2014

Text: Mechtild Wolff

 

 

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