Elisabeth Schwerbrock war eine Dame, wie Madame Pappritz sie sich
gewünscht hätte, liebenswürdig und immer korrekt und elegant gekleidet.
Ihr Auftreten strahlte Würde und Ernsthaftigkeit aus.
Elisabeth Schwerbrock mit André Marie
Durch ihre Heirat mit Josef Schwerbrock (1882-1956)
war sie aus Freren nach Warendorf in das alteingesessene Textilhaus
Schwerbrock am Krickmarkt gekommen. Mit den Jahren wurde sie die gute
Seele des Geschäftes und entwickelte das Textilhaus zum ersten Modehaus
am Platze. Der hohe Anspruch, den sie an sich selbst stellte, galt auch
für ihre Angestellten. Auch die Verkäuferinnen zeichneten sich durch
äußerste Liebenswürdigkeit und Sachkunde aus. Sie wussten genau, was die
Kundschaft, die aus dem gehobenen Bürgertum kam, erwartete. All diese
Frauen wollten „etwas darstellten“ in Warendorf und durch ihre Kleidung
zeigen, dass sie zur Oberschicht gehörten. Natürlich führte das Modehaus
Schwerbrock nur Markenware von wohlrenommierten Firmen.
Wenn zu Mariä Himmelfahrt die Altstadt mit roten
Bungen beleuchtet und die Schaufenster festlich geschmückt wurden, war
das Schaufenster des Modehauses Schwerbrock ein besonderer
Anziehungspunkt, denn die Warendorfer wussten, dass Frau Schwerbrock in
jedem Jahr ein ganz besonderes Marienbildnis ausstellte und es mit einer
traumschönen Blumendekoration schmückte.
Neben ihren vielseitigen Aufgaben als Geschäftsfrau
wollte Elisabeth Schwerbrock sich aber auch für ihre Heimatstadt
engagieren.
Schon 1929 wurde sie für das Zentrum zur Stadtverordneten gewählt. Bei
den Kommunalwahlen 1933 zogen wieder zwei Zentrums-Frauen in das
Stadtparlament: die 59jährige Clara Schmidt und die 47jährige Elisabeth
Schwerbrock. Aber die politischen Verhältnisse änderten sich. Es zeigte
sich bald, dass sich alle Ratsmitglieder der NSDAP unterordnen mussten.
„Nickköpper“ wollten sie nicht werden, darum legten Clara Schmidt und
Elisabeth Schwerbrock ihr Mandat nieder.
Schwerbrocks
Schaufenster zu Mariä Himmelfahrt
Während der Zeit der braunen Diktatur versuchte Elisabeth
Schwerbrock nach Kräften, den in Not geratenen Warendorfern zu helfen.
Selbst von der Gestapo ließ sie sich nicht einschüchtern. Sie musste
sich verschiedentlich vor NS-Gerichten verantworten, aber mit ihrer
Hartnäckigkeit und ganz sicher auch mit ihrem Charme hat sie ihren Kopf
immer wieder aus der Schlinge gezogen. Es wird ihrer tiefen Religiosität
gewesen sein, die ihr dieses Stehvermögen gab.
Mit dem Kriegsende war diese tägliche Gefahr zu Ende, die Not
der Menschen aber war nicht behoben. Die Stadt war überfüllt mit
Evakuierten aus den zerbombten Großstädten, Wohnraum war gar nicht mehr
verfügbar, der Kampf ums tägliche Brot wurde Normalität, die Wasser- und
Elektrizitätsversorgung reichte nicht aus und die völlig veraltete
Kanalisation brach vielfach zusammen. Gut, dass viele Häuser noch eine
eigene Senkgrube hatten.
Nach dem Krieg kamen sehr überraschend neue Herausforderungen auf das Landstädtchen Warendorf zu. Es gab auch hier viele DPs, Displaced Persons, also ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, die während des Krieges unter oft erbärmlichen Bedingungen in der Kriegswirtschaft oder auf Bauernhöfen hatten arbeiten müssen. Wohin mit diesen etwa 10.000 DPs? Kurzerhand wurden die Hengste des Landgestüts auf die Deckstationen ausquartiert und das Gestüt und die ehemalige Reit- und Fahrschule an der Tönneburg wurden zu Sammelunterkünften umfunktioniert. Hier warteten dann die 10.000 DPs der verschiedensten Nationen auf ihre Rückführung in ihre Heimat. Sie kampierten auf engstem Raum auf Strohlagern in den Pferdeboxen, die Hygienebedingungen waren unsäglichen. Die Versorgungslage war im ganzen Land verheerend, darum klauten die DPs, was sie bekommen konnten. Es ging ums Überleben! Im Gestüt brannten überall Kochfeuer. Alle hölzernen Einbauten des historischen Landgestüts wurden verfeuert, ebenso die Bilder, Bücher und Akten und wichtige Dokumente. Die Zerstörungen im Gestüt waren beträchtlich.
Ankunft der Flüchtlinge am Warendorfer Bahnhof
Bis
September 1945 waren schon viele DPs in ihre Heimat rückgeführt worden,
sodass die Tönneburg als Unterkunft reichen musste. Das Landgestüt wurde
geräumt, denn es musste nun zum zentralen Auffanglager für Flüchtlinge
und Vertriebene aus dem Osten, vornehmlich aus Schlesien und Ostpreußen,
eingerichtet werden. Die Pferdeboxen wurden gesäubert und mit frischem
Stroh bestreut. Für die Kranken wurden Notbetten aufgebaut.
Am 21. Oktober 1945 traf der erste „Elendszug“ mit 1606
Flüchtlingen ein. Diesen Menschen fehlte es an allem, hier war schnelle
Hilfe gefragt. Die englischen Besatzungstruppen hatten den katholischen
Elisabeth-Verein um Hilfe gebeten. Die Vorsteherin Elisabeth Schwerbrock
und Anni Carlé machten sich auf die Suche nach einer freiwilligen
Hilfstruppe. Sie gingen in die Familien und baten vor allem die jungen
Mädchen um Mithilfe. Diese waren zwar schon dienstverpflichtet, aber
erklärten sich trotzdem bereit, bei der ersten Versorgung der
Flüchtlinge zu helfen. Da diese Einsätze fast ausschließlich nachts
stattfanden, hatte Elisabeth Schwerbrock von der englischen
Besatzungsmacht ein kleines Auto, einen VW, zur Verfügung gestellt
bekommen, um die jungen Helferinnen in den Nachtstunden sicher nach
Hause bringen zu können.
Etwa jede zweite Nacht trafen nun Güterzüge mit etwa 1000
Menschen in Warendorf ein. Unter menschenunwürdigen Bedingungen waren
diese Flüchtlinge im Rahmen der Massenvertreibung aus dem Osten in den
Westen transportiert worden. Von den 25 kg Gepäck, das sie bei ihrer
Vertreibung hatten mitnehmen dürfen, war in den meisten Fällen nicht
viel übrig geblieben. Zu oft waren sie auf ihrem langen Weg ausgeraubt
worden. Der Fußmarsch der Flüchtlinge vom Bahnhof in Warendorf zum
Landgestüt wurde begleitet von der Polizei, vom Roten Kreuz und von
Helfern. Viele Flüchtlinge schafften den Weg nur mit letzter Kraft. Im
Gestüt war die große, allerdings ungeheizte Reithalle der erste
Sammelplatz. Das ganze Gelände war erfüllt von einem Stimmengewirr in
den Dialekten der verlorenen deutschen Ostgebiete.
Welch ein Lichtblick! In den hinteren Räumen der Halle war eine
Küche eingerichtet, wo belegte Brote geschmiert wurden und heiße Suppe
für alle bereit stand. Das Essen wurde in der Volksküche im Marienheim
gekocht. An langen Tischen gaben die jungen Helferinnen die gehaltvolle
Suppe aus. Für viele Flüchtlinge war das die erste warme Mahlzeit seit
Tagen. Leider waren auch hier die Vorräte begrenzt und die jungen
Mädchen an den Ausgabetischen mussten sehr aufpassen, dass nicht die
Schwächeren, vor allem die Mütter mit den kleinen Kindern,
zurückgedrängt wurden. Jeder kämpfte ums eigene Überleben. Sehr bald
sahen Frau Schwerbrock und Frl. Carlé, die alles organisierten, dass
männliche Hilfe notwendig war, um die Schlangen vor den Tischen zu
überwachen.
Bis September 1946 wurden 48.500 Ostvertriebene durch das
Durchgangslager geschleust, eine immense logistische Aufgabe. Wie gut,
dass es Frauen wie Elisabeth Schwerbrock und Anni Carlé gab, die sich
dieser schwierigen Aufgabe annahmen. Traf ein Flüchtlingstransport ein,
und das war immer mitten in der Nacht, standen diese Frauen mit am
Bahnhof, um sich der besonders Hilfs-bedürftigen anzunehmen. Alle
Ankommenden wurden registriert, unter der Leitung des Kreisarztes mit
DDT Pulver entlaust, die Kranken versorgte ein Notfalldienst und alle
bekamen eine erste provisorische Bleibe im Landgestüt. Nach zwei bis
drei Tagen wurden die Flüchtlinge dann auf die Gemeinden des Kreises
Warendorf verteilt, wo sie eine neue Heimat finden konnten.
Nach
Kriegsende wurde auch die Politik in Warendorf zu neuem Leben erweckt.
Am 29.4.1946 ernannte die Militärregierung die ersten Stadtbeiräte.
Elisabeth Schwerbrock gehörte zu den 14 Stadtbeiräten der neu
entstandenen CDU, deren Mitbegründerin sie war. Auch in den ersten
demokratisch gewählten Stadtrat wurde sie am 15.9.1946 gewählt. Die
Flüchtlings- und Vertriebenenfragen waren eines der größten Probleme der
Stadt. Darum wurde ein Flüchtlingsamt eingerichtet. Die Leitung übernahm
der ehemalige Stadtkommandant Oberst Hans Winkel, der sich Ostern 1945
bei der Übergabe der Stadt zusammen mit Theodor Lepper und Heinrich Blum
sehr verdient gemacht hatte. Dem Flüchtlingsbeirat gehörten auch
Elisabeth Schwerbrock, Josef Heinermann, Heinrich Blum und Theodor
Westermann an.
Um der Flüchtlingsproblematik Herr zu werden, setzte die
Militärregierung einen Flüchtlingsausschuss ein. Er bestand je zur
Hälfte aus Flüchtlingen und Einheimischen. Die Stadt wurde in zehn
Betreuungsbezirke aufgeteilt. Jedes Beiratsmitglied war für einen Bezirk
persönlich verantwortlich. Im September 1946 übernahm der Flüchtling
Heinrich Windelen den Vorsitz des Beirates, Elisabeth Schwerbrock wurde
seine Stellvertreterin.
Auch bei der Kommunalwahl von 1948 wurde Elisabeth Schwerbrock
mit großer Mehrheit wieder in den Rat der Stadt Warendorf gewählt und
sie war sehr froh, dass Josef Heinermann von allen Parteien zum
Bürgermeister gewählt wurde. Sie wusste, dass er ein offenes Ohr für die
Nöte der Menschen hatte.
Reg. Präsident Hackethal überreicht das Bundesverdienstkreuz |
Stadtdirektor Mertens gratuliert zum Bundesverdienstkreuz |
Bis 1956 war Elisabeth Schwerbrock Ratsherrin, den Ausdruck
Ratsfrau gab es damals noch nicht. Dann beendete sie ihre Tätigkeit im
Rat, wo sie mittlerweile Alterspräsidentin war. Die Warendorfer mussten
Abschied nehmen von der Ratsherrin, die immer korrekt gekleidet im
klassischen schwarzen Kostüm zu den Ratssitzungen kam und die den
offiziellen Anlässen dieser Männergesellschaft durch ihre elegante
Erscheinung mit großen Hüten ein festliches Gepräge gab.
Zu ihrem 70. Geburtstag am 3. Februar 1956 ehrte die
Bundesrepublik Deutschland diese engagierte Frau mit dem
Bundesverdienstkreuz. Fünf Jahre später zeichnete die Kirche sie mit dem
Orden „Pro ecclesia et pontifice“ aus.
Landrat Dr. Höchst gratuliert zum Ehrenring |
Am
Vorabend der Vollendung ihres 80. Geburts-tages, am 2. Februar 1966,
wurde Elisabeth Schwerbrock in einer außerordentlichen Ratssitzung im
historischen Ratssaal vom Bürgermeister Dr. Hans Kluck der Ehrenring der
Stadt Warendorf verliehen. Damit fand ihre unermüdliche Arbeit zum Wohle
der Bürgerschaft auch in ihrer Heimatstadt eine gebührende Anerkennung
und Würdigung. Die Liste ihrer politischen Arbeitsbereiche in über 40
Jahren war lang. Sie reichte vom Wohnungsausschuss über den
Hauptausschuss, den Schulausschuss, das Kuratorium für das Marienheim
und für die Altenstube, den Zweckverband zur Errichtung einer
Gedächtniskapelle bis zum Gewerbeausschuss und ganz vielen Ausschüssen
mehr.
Nach Beendigung des Ratsmandates stellte Elisabeth Schwerbrock
sich noch bis 1974 als sachkundige Bürgerin im Wohlfahrts- Wohnungs- und
Fürsorge-ausschuss zur Verfügung und im Kuratorium für das Marienheim.
Natürlich blieb sie Vorsitzende des Elisabeth-Vereins und der Caritas.
Wegen ihres großen sozialen Engagements wurde sie im Volksmund gern „die
hl. Elisabeth“ genannt. Bis ins hohe Alter war es für die
Ehrenringträgerin selbstverständlich, dass sie an allen offiziellen
Veranstaltungen teilnahm.
Elisabeth Schwerbrock starb am 22. Januar 1984 im Alter von
fast 98 Jahren und wurde unter großer Anteilnahme der Bevölkerung in der
Schwerbrockschen Familiengruft auf dem Warendorfer Friedhof begraben.
In dem neuen Baugebiet an der Dr.-Rau-Allee wurde als
Erinnerung an diese engagierte und verdienstvolle Bürgerin eine Straße
nach ihr benannt, die „Elisabeth-Schwerbrock-Straße“.
Neujahrsempfang mit Bürgermeister Heine
Zeitzeugen
Geschichte der Stadt Warendorf Band II S. 201 ff
Elisabeth Ketteler-Zuhorn: Warendorf zum Kriegsende und die
ersten Flüchtlingszüge in Warendorfer Schriften Band 33-35 2005
Heinrich Temme, Bürgermeister i.R.: Warendorf in der Zeit von
1890-1950
in „750 Jahre Warendorf“ S. 72
Peter Wild: Flüchtlinge auf Herbergssuche heute und damals „Die
Glocke“ vom 24.12.2014
Text: Mechtild Wolff