Einen besonderen Beitrag zur Erforschung des jüdischen Lebens in Warendorf leistete am Donnerstag der Heimatverein Warendorf im „Tapetensaal“ des Hauses Klosterstraße 7. Sein stellvertretender Vorsitzender, Dr. Ekkehard Gühne, sprach über das Thema: „Die jüdischen Schüler des Gymnasium Laurentianums“
Warendorfs alte Lateinschule wurde 1820 als Höhere Bürgerschüle wiederbegründet und stieg 1856 zum Gymnasium auf, damals eines von insgesamt nur 16 in der Provinz Westfalen. Heute gibt es allein 14 Gymnasien in Münster.
Schon 1823 erscheint mit Emanuel Leffmann der erste jüdische Schüler. Bis weit in das 20. Jahrhundert hinein gehörten Juden ganz selbstverständlich zur Schulwirklichkeit.
Insbesondere den Abiturienten unter ihnen widmete sich der Vortrag, den 19 von ihnen sind ab 1865 namentlich bekannt. Nur sehr wenige von ihnen verblieben in Warendorf. Mit einiger Mühe aber konnte ein Großteil ihrer Lebensläufe rekonstruiert werden, so dass auch Typisches deutlich wurde.
Während etwa ein Drittel der Abiturienten des späteren 19. Jahrhunderts Priester werden wollte, dominierte bei den Juden, die offensichtlich den sozialen Aufstieg, den Zugang zur bürgerlichen Welt suchten, die Medizin, mit der auch viele besonders erfolgreich wurden.
Ein Levi Falk z. B. („Abi“ 1865) wurde Chefarzt des Marienhospitals in Hamm, Jacob Katzenstein (1864-1921), Sohn des hiesigen jüdischen Lehrers, gar Privatdozent in Berlin. Nicht selten engagierten sich diese Ärzte im kulturellen Leben; einige heirateten nichtjüdische Frauen, einige wenige ließen sich taufen (fast immer „evangelisch“) und brachen damit mit ihrer jüdischen Vergangenheit.
Außerhalb der Medizin versuchten sich nur wenige. Da gab es Juristen, z. B. David Raphael (1862-1925), den es nach Westpreußen verschlug, oder auch Kaufleute, z. B. Heinz Lehmann (* 1903) von der Brünen Brede, der bis zu seiner Emigration als Versicherungsagent in Warendorf verblieb. Bezeichnenderweise finden sich nur unter diesen Nichtmedizinern direkte Opfer des Massenmordes. Der Rechtsanwalt Erich Simons (Abitur 1915) wurde mit seiner Familie in Auschwitz ermordet; Wilhelm Stern (ebenfalls Abitur 1915), zuletzt Kaufmann in Recklinghausen, wurde 1942 nach Riga deportiert.
Den Medizinern, die 1933 noch leben, gelang allesamt die Auswanderung nach Palästina, Südafrika oder in die USA, z. B. Paul Elsberg (1907-87) oder Kurt Cohen (1906-58), der sich in Südafrika eine Existenz aufbaute.
Die Umstände glichen aber oft nicht einer simplen Reise. Albert Simons (1894-1955) z. B., ein profilierter Krebsforscher, Privatdozent, verlor seine Stelle an der Berliner Charité. Trotz seiner vollständigen Ertaubung wagte er einen Neuanfang in Palästina, erlernte noch das Hebräische und starb nach langem Leiden selbst an Krebs.
Manche persönlichen Schicksale kamen an diesem Abend zur Sprache, eingebettet in rund anderhalb Jahrhunderte der Kriege und Diktaturen, die besonderts das 20. Jahrhunderts beherrschten und viele Menschen zu Opfern machten, nicht nur Juden.
Ein sehr interessiertes, erfreulich zahlreiches Publikum folgte den Ausführungen und steuerte am Ende manche Frage und Bemerkung bei, die deutlich machten, dass das Thema „jüdisches Leben“ nicht nur in Bezug auf Warendorf noch lange nicht erschöpft ist.
Der Heimatverein lädt alle Interessierten zu einem Vortrag ein. Im „Tapetensaal“ des Hauses Klosterstraße 7 spricht am kommenden Donnerstag (21.11.) ab 19.30 Uhr Dr. Ekkehard Gühne über das Thema „Die jüdischen Schüler des Gymnasium Laurentianum Warendorf“. Im Jahre 1820 wird die alte Warendorfer Lateinschule als Höhere Bürgerschule wiederbegründet, 1856 wird sie Gymnasium und zählt bis heute zu den wichtigen Institutionen unserer Stadt. Erstmals 1823 besucht sie ein Jude: Emanuel Leffmann (1809-78), der später eine der wichtigsten Warendorfer Baumwollwebereien betreibt. Der letzte jüdische Schüler wird Paul Spiegel sein, der 2006 als Vorsitzender des „Zentralrates der Juden in Deutschland“ und als Warendorfer Ehrenbürger verstorben ist. Dazwischen liegen zahlreiche weitere Schüler, von denen knapp dreißig namentlich bekannt sind, insbesondere Abiturienten. Einigen besonders interessanten Lebenswegen will der Vortrag nachgehen. Er berührt damit auch anderthalb Jahrhunderte deutscher Geschichte mit ihren Höhen und Tiefen. Die Schrecken des „Dritten Reiches“ bleiben nicht ausgespart, werden doch zwei Abiturienten Opfer des Massenmordes, andere werden in die Emigration gedrängt. Es soll aber auch deutlich werden, dass jüdisches Leben in Warendorf und Deutschland viel komplexer ist, als dass es vorschnell auf die Zeit des Nationalsozialismus verengt werden sollte.