Am
„Tag des offenen Denkmals“ hat das Dezentrale Stadtmuseum etwas ganz
Besonderes anzubieten. Es werden in allen Museumsobjekten
Stickmustertücher aus den verschiedenen Zeitepochen gezeigt.
Das eigene Stickmustertuch war noch für unsere
Großmütter der größte Stolz. Schon im Alter von etwa 8 Jahren begannen
die Mädchen auf Übungsläppchen Stickmuster zu sticken, um dann später
das eigene Stickmustertuch individuell zusammenstellen zu können. Auf
diesen Sticktüchern aus feinem Leinen fanden sich alle Muster und
Techniken, die später für das Besticken der Aussteuer gebraucht wurden.
Das Kennzeichnen der Wäsche durch ein Monogramm war
früher notwendig, weil alle Wächestücke nach dem Waschen auf der
Gemeindewiese gebleicht wurden. Monogramme erleichterten das
Wiederfinden der Wäschestücke.
Viele
dieser Sticktücher sind bis heute erhalten geblieben, weil jede Frau
diesen Schatz sorgsam verwahrte, oft in Hutschachteln, wo die
lichtempfindlichen naturgefärbten Seidenstickgarne vor dem Verbleichen
gut geschützt waren. Ein Stickmustertuch war ein Kunstwerk und kein
Gebrauchsgegenstand und somit auch nicht dem Verschleiß ausgesetzt.
Stickmustertücher sind ein wichtiger Aspekt der
Sozialgeschichte der Mädchenerziehung. Sowohl im Elternhaus als auch in
der Schule spielte die Vermittlung von Handarbeitstechniken eine
wichtige Rolle. Mädchen aus den unteren sozialen Schichten erlernten das
Nähen, Stricken, Sticken und Stopfen, um später im Haushalt die
anfallenden Flick- und Näharbeiten ausführen zu können. Mädchen aus der
Oberschicht erhielten in Höheren Töchterschulen und Pensionaten eine
„standesgemäße Ausbildung“. Sie erlernten neben den schöngeistigen
Fächern und der französischen Sprache auch die „feinen Handarbeiten“,
wie die Weißstickerei, das Häkeln feinster Durchsätze für die Bettwäsche
und das Klöppeln. Sie sollten befähigt werden, einem Haushalt vorstehen
zu können und einen feinen Salon zu führen.
Im großbürgerlichen Haus an der Klosterstraße 7
sind am Tag des offenen Denkmals Stickmustertücher aus der Zeit des
Biedermeier zu sehen.
Das Zeitalter des Biedermeier ist gekennzeichnet
durch den wirtschaftlichen Aufstieg des Bürgertums und durch seinen
Rückzug in die Häuslichkeit. Ein typisches Beispiel ist das Haus
Klosterstraße 7, das der Geheimrat Dr. Katzenberger zu dieser Zeit mit
handgedruckten französischen Bildtapeten schmückte. Diese beschauliche
Häuslichkeit hatte auch Auswirkungen auf die Rolle der Frau.
Erwerbsarbeit kam für die bürgerliche Frau nicht in Betracht. Das hätte
die gesellschaftliche Stellung des Mannes gemindert. Beständiger Fleiß
und emsige Arbeit waren jedoch ein hohes Ideal, denn „Frauenhände dürfen
nicht ruhn“!
Die Frauen des gehobenen Bürgertums beschäftigten
sich mit Luxusarbeiten, die dekorative Funktion hatten, vornehmlich mit
dem Sticken.
Im Fabrikantenwohnhaus Bispinck an der
Münsterstraße 19 werden Stickmustertücher des Jugendstils gezeigt,
passend zu der dekorativen Ausstattung dieses Hauses im Stil des
Historismus, mit den prachtvollen farbigen Stuckdecken und seinen
original erhaltenen Jugendstilfenstern.
In dieser Zeit gab es schon die ersten
Stickvorlagen für die Stickmustertücher, sodass sich die Motive mehr
vereinheitlichten. Andererseits sind auch Einflüsse aus dem Ausland zu
bemerken. Die Europäer waren schon immer fasziniert von allem Fremden,
vor allem von der Hochkultur in China.
Stickmustertücher der ärmeren Leute
im Gadem am Zuckertimpen 7
und im Torschreiberhaus Oststraße 59
Die Frauen der ärmeren Schichten mussten
zwangsläufig die notwendigen Handarbeiten erledigen. Spinnen, Weben,
Nähen und Stricken galten als der Erwerbszweig der armen Leute.
In Preußischen Schulen wurde die Arbeit an den
Sticktüchern vereinfacht. Auf schon gesäumtem Stramin wurden mit
türkischrotem Garn das Alphabet und die Zahlenreihe von 1-10 gestickt.
Plattstich und Buntstickerei waren unnötiger Luxus.
Der Handarbeitsunterricht diente in erster Linie
der Diziplinierung der Mädchen. Äußerlich sauber ausgeführte Arbeiten
lassen auch auf „innerliche Sauberkeit“ schließen.
Der Lehrplan verlangte zwei Mustersticktücher: ein
Weißsticktuch mit Monogrammen und ein Zeichentuch mit dem Alphabet und
mit Zahlen und mit dem eingestickten Namen.
Außerdem wurde in preußischen Schulen ein
Mustertuch mit Stopfen und Flicken angefertigt.
Die
Betonung lag ganz auf dem Nützlichen, die Mädchen sollten auf ihre
spätere Rolle als Hausfrau vorbereitet werden. Für Kreativität und
individuelle Gestaltung blieb kein Raum mehr. Die Schülerinnen hatten
den Anweisungen der Handarbeitslehrerin Folge zu leisten. Trotzdem hatte
jedes Sticktuch seine eigene Note. Auch aus dieser Zeit findet man nicht
zwei Stickmustertücher, die identisch sind.
Das Stickmustertuch wurde ab 1918 aus dem
Handarbeitsunterricht verbannt, weil es den reformpädagogischen
Bestrebungen im Wege stand.
Heute sind Stickmuster-tücher wieder sehr in Mode
gekommen. Nach alten Vorlagen werden wunderschöne Reproduktionen
gestickt.
Mechtild Wolff und Gisela Gröne
September 2011
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