Die literarischen Vorlagen zu neuem Leben erweckt
Warendorf (gl). Stolz wird er gewesen sein, dieser Hofrat Dr. Franz Joseph Katzenberger, als sein 1812 erbautes Haus in der heutigen Klosterstraße in den Jahren 1823/24 aus dem fernen Paris Bildtapeten für seinen Salon erhielt. Und sicherlich wird er manches Mal träumerisch diese wunderbaren Bilder betrachtet haben, die da von den Abenteuern des alten Griechen Telemachos sowie von dem Glanz des alten Inkareiches erzählen, das Pizarro mit seinen Spaniern zerstörte. Etwas von dieser Träumerei fing am Samstag im Tapetensaal ein Abend des Heimatvereins Warendorf ein, der eine erfreuliche Resonanz fand.
Norbert Funken, Vorsitzender des Heimatvereins, hatte es sich nicht nehmen lassen, die literarischen Vorlagen dieser Tapeten aufzuspüren und damit zu neuem Leben zu erwecken.
Telemächos etwa kennen wir als Sohn des Odysseus aus Homer. Die Manufaktur Dufour & Leroy in Paris griff aber eher auf den gleichnamigen Roman des französischen Bischofs Fenelon zurück, der ihn nach 1693 für den französischen Thronfolger schrieb, auf dass dieser erkenne, wie ein idealer Herrscher zu handeln hat, beispielsweise wenn er in den Irrgarten der Liebe gerät. Telemachos droht da auf der Insel der Nymphe Kalypso zu straucheln, beherrscht nicht das Spiel der Verstellungen und wechselnden Koalitionen. Sein Lehrer Mentor bringt ihn aber wieder auf die rechte Bahn, was eine längere Leseprobe amüsant verdeutlichte.
Stoff genug bietet auch der Untergang des Inkareichs in Peru. Besondere Menschenfreundlichkeit zeichnete die goldgierigen Spanier hier nicht aus, aber auch das Reich mit seinen grausamen Menschenopfern empfiehlt sich trotz seiner hohen Kultur nicht als Idealstaat. Der Franzose Jean Francois Marmontel (1723-99) griff das Thema in seinem Roman „Les Incas" auf. Bevor allerdings dessen Sicht der Dinge zu Wort kam, breitete Norbert Funken ein wenig den historischen Hintergrund aus, und zwar mit Auszügen aus der Romantrilogie „Die weißen Götter" (1918) von Eduard Stucken (1865-1936), der sich besonders den religiösen Vorstellungen widmete, die den Spaniern ihr böses Handwerk erleichterten.
Marmontel interessiert sich weniger für die politische als viel mehr für die rein menschliche Ebene des Geschehens. Und hier diente als Beispiel der Missio Las Casas, der bei einem „frisch getauften" Inka Nächstenliebe praktisch werden lässt. Dieser verzeiht einem Spanier, den erwürgen der Inka allen Grund gehabt hätte. Religion im Sinne von Menschlichkeit siegt.
Beim Träumen darf sich hörende Verstand auch ein eine Auszeit nehmen, so auch an diesem Abend.
Die Lücke füllte Kammermusik für Flöte, Klavier und Violoncello, bedient von Dr. Ekkehard Gühne, Klaus Kemmer und KIaus Dinger. Mit Werken von Adall Gyrowetz (Trio in A-Dur, Op Nr. 3) und Ignaz Pleyel (Tri( D-Dur, Op. 16 Nr. 6) erklang Musik, die zur Entstehungszeit der Tapeten sehr beliebt war, aber schon wenig später vergessen wurde, so dass das Trio auf Kopien alter Drucke von 1801-1812 zurückgreifen musste. Daß diese geistreiche, liebenswürdige Musik den Dornröschenschlaf nicht verdient hat, machte anspruchsvolle Interpretation wohl deutlich: träumerische Musik für einen träumerischen Abend.
Die Glocke, 19. 6.
2006
Bilder: Foto Studio Alfred Kaup