Sehr geehrter Herr Pesch,
vielen Dank für Ihre Antwort auf meine Mail vom 22. Juli 2021. Ich hatte
Ihnen bezüglich der
Hochwasserrisiken in Warendorf geschrieben, weil ich davon ausgehe, dass
für Sie und auch für
alle politisch Verantwortlichen in Warendorf es selbstverständlich ist,
sich für Warendorf
einzusetzen und auch Gefahren von unserer Stadt abzuwenden. So ist eine
gemeinsame
Zielrichtung vorhanden. Das ist gut so und erleichtert das Gespräch.
Dies gilt auch für die
Verbesserung der Hochwassersicherheit in bzw. für Warendorf. Gerne nehme
ich Ihre
Einladung an, mich mit Anregungen, aber auch mit Bedenken einzubringen.
Nehmen Sie
bereits diesen Brief als Beitrag zu diesem Prozess.
Über die Wege zum Ziel Hochwasserschutz gibt es unterschiedliche
Vorstellungen. Dies gilt
insbesondere für die Planungen zu „Neuen Ems“. Auch wenn der
Planfeststellungsbeschluss
für den westlichen Teil der „Neuen Ems“ rechtskräftig und es auch
politisch so beschlossen ist,
stellen sich viele Fragen:
1. Grundsätzliche Aspekte: ich möchte zunächst schlaglichtartig unter
Zitierung aktueller Artikel
grundsätzliche Fragen ansprechen:
„Wir werden Maßnahmen implementieren müssen, um Hochwasser zu
verhindern, zum
Beispiel Entsiegelung, ….. oder Raum für die Flüsse. Wir können uns
aktiv schützen, mit
Deichen und Mauern zum Beispiel. Aber man kann eben auch eine andere
Strategie fahren, um
sich anzupassen, zum Beispiel …. generell eine darauf ausgelegte
Bauweise.
Ein ganz wichtiger Aspekt bei den Maßnahmen ist ganz sicherlich die
Raumplanung. Sie ist der
effektivste Schutz vor Hochwasserkatastrophen. Denn der Fluss oder das
Meer sind nicht die
Bösen, sondern die Leute bauen dort, wo der Fluss einst ausgeufert ist.
Sie haben ihn auch oft
verengt. (HOCHWASSERSCHUTZ»Verhindern, schützen, anpassen« Lars Fischer,
www.spektrum.de/news/hochwasser-verhinder n-schuetzen-anpassen/1899532
artikel vom
28.7.2021 abgerufen am 28.7.2021)
„In den letzten Jahren und Jahrzehnten wurde – zu Recht – kritisiert,
dass viele Flüsse und
sogar Bachläufe in Mitteleuropa in ein enges Korsett gezwängt wurden:
Gewerbe- und
Wohnsiedlungen wurden ebenso wie Straßen in ehemaligen Auenlandschaften
gebaut, die zum
natürlichen Überflutungsbereich der Fließgewässer gehören. Stattdessen
errichteten die
Wasserbaubehörden Dämme, die ebenjene Überschwemmungen verhindern
sollten, aber das
Problem durch erhöhte Fließgeschwindigkeiten einfach nur flussabwärts
verlagerten.“
(FLUTKATASTROPHE Kein hausgemachtes Hochwasser von Daniel Lingenhöhl
Artikel
vom 03.06.2013
www.spektrum.de/kolumne/flutkatastrophe-hochwasser-in-deutschland/
1197092 abgerufen am 28.7.2021) Berücksichtigt man diese Ausführungen,
die offenbar den
gegenwärtigen Stand der Wissenschaft darstellen, würde dies konkret für
Warendorf bedeuten:
die Brinkhausbrache sollte nach Abbruch der nicht verwendbaren
Industriebauten entsiegelt
werden; dabei würde gleichzeitig ein Naturraum entstehen, der im Falle
eines Hochwassers als
Ausgleichsfläche dienen könnte. Vorhandene Rasen und Baumbestände würden
dabei kaum
größere Schäden erleiden. Sinnvoll wäre vor allem eine Raumplanung, die
verhindert, dass dort
neu gebaut wird, wo der Fluss Schaden anrichten kann. Professor Stefan
Greiving vom Institut
für Hochwasserplanung der Technischen Universität Dortmund geht sogar
soweit, dass er beim
Hochwasserschutz im Sinne von Risikovorsorge nicht nur eine Bebauung in
Risikobereichen
ablehnt, sondern sogar in bestimmten Fällen sogar eine „Entsiedelung“
von gefährdeten
Flächen für notwendig hält. Es ist notwendig, hier auf Experten zu
hören. Die grundsätzliche
Aussage lautet insgesamt: in Risikogebieten darf nicht neu gebaut
werden.
2. Konkrete Fragen an das Konzept der „Neuen Ems“:
Die aktuelle Situation bei Hochwasser sieht so aus, dass anströmende
Wasser (durch Pfeile
dargestellt) durch Emssee und Flusslauf an der Stadt Warendorf vorbei
auf den Lohwall und
die dahinter liegenden Wiesen und Äcker geleitet werden (s. Bild):
Bei Extremhochwassern stellen sich zu den Planungen der „neuen Ems“
viele Fragen:
An Stelle 1: Wird bei (extrem) stark anströmendem Wasser an der
Abzweigstelle das Wasser
wirklich brav den vorgesehenen Weg nehmen oder (was wahrscheinlicher
ist) wird der
Wasserstrom nicht versuchen, auch die durch den kleinen Pfeil
angedeutete Richtung zu
nehmen? Vermutlich ist das Brinkhausgelände im Extremfall nicht wirklich
geschützt.
Zu Stelle 2: Was geschieht bei Extremhochwasser, wenn sich der reißende
Durchfluss durch
den Emssee und die starken Strömungen durch die „neue Ems“ vereinen? Die
Wassermengen,
die den Emssee durchfluten, reichen aktuell für den Durchfluss bei
stärkeren Hochwassern aus.
Was geschieht, wenn dieser Durchfluss und das Wasser der „Neuen Ems“
sich vereinen? Dann
entsteht doch wohl eine Superwelle, die insbesondere die Häuser auf der
Seeseite der Milter
Straße in Mitleidenschaft ziehen werden(4). Das Emstal in diesem Bereich
hat nur einen
gegebenen und nicht beliebig vergrößerbaren Querschnitt und kann nur ein
bestimmtes
Wasservolumen schadlos abführen. Leitet man Wasser aus dem aktuellen
Emslauf in Richtung
Emssee um, wird dieses in Kombination mit dem den Emssee flutenden
Wassern in andere
Bereiche gelangen. Bei extremen Hochwasser wird dann der Bereich von
Sassenberger und
Milter Straße durch Hochwasser betroffen sein. Reicht der Durchlass der
Brücke über den
Emssee aus, ein auf diese Weise gesteigertes Hochwasser ohne einen
Rückstau abführen zu
können? Sind dann Schäden an der Brücke zu befürchten oder ist gar ein
Rückstau mit kaum
kalkulierbaren Folgen möglich? Ist der gewünschte Schutz der Emsinsel
durch
Überschwemmung anderer Gebiete erkauft? Das kann doch keiner wollen.
Zu Stelle 3: Noch problematischer wird dies durch folgenden Aspekt: Bei
der Vereinigung der
Durchflüsse von Emssee und „Neuer Ems“ kann es bei Hochwassersituationen
auch zu
unkontrollierbaren Verwirbelungen und Strömungen an Stelle 3 kommen.
Welche Gewalt
werden diese Wirbel erzeugen? Werden dann Wasser die Häuser an der
Sassenberger Straße
und der Sophienpark (evtl. sogar bis hin zum Landgestüt) betroffen sein?
Im Falle eines
Schadens könnten hier Schadensersatzforderungen der Anlieger fällig
werden. Müssen dann zur
Verhinderung solcher Schäden im Bereich des Emssees Deichanlagen
errichtet werden, was
nicht der Idee eines städtischen Erholungsgebietes (Gartenschau!!)
entspräche? Sind solche
Eindeichungen evtl. sogar auch ohne Hochwasser notwendig? Schließlich
bildet die nördliche
Seite des Emssees ja den Prallhang, auf den die Fluten der „Neuen Ems“
auftrifft. Die ständige
Strömung der „Neuen Ems“ könnte die Nordseite des Emsseeparks und den
Sophienpark
gefährden.
Fragen über Fragen! Je intensiver ich mir die Planungen anschaue, desto
fragwürdiger wird das
ganze Projekt. Lassen sich die hier gestellten Fragen konkret und
sachlich beantworten? In der
Hydrologie werden hydrodynamische Computermodelle verwendet; noch
konkreter ist der Bau
eines Landschaftsmodells, das Wasserflüsse im „Miniaturmaßstab“
untersuchen lässt. Wäre es
nicht angebracht, hier sachlich und nüchtern ohne politische und
wirtschaftliche Vorgaben zu
untersuchen? Besser vorher prüfen als später den Schaden zu haben.
In meinem Brief bin ich auf den Aspekt Klimaschutz und Klimaanpassung
nur am Rande
eingegangen, sondern ich habe den Focus auf den Hochwasserschutz und die
„Neue Ems“
gerichtet. Ich gehe allerdings davon aus, dass die Veränderungen des
Klimas erhöhte
Anstrengungen im Hochwasserschutz notwendig machen und dass diese
Veränderungen es
notwendig machen, vorhandene Planungen in Frage zu stellen und sachlich
zu überprüfen.
Die Wiedernutzung heute bereits versiegelter Flächen im Bereich der
Industriebrache
Brinkhaus stellt doch wiederum eine Versiegelung dar und ist wohl kaum
ein Beitrag zum
Klimaschutz.
Mit freundlichem Gruß